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Nach Terroranschlag in El Paso: 8chan-Gründer will das Aus der Seite


Nach Terroranschlag in El Paso
8chan-Gründer will das Aus für die Spielwiese der Amokläufer

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 05.08.2019Lesedauer: 5 Min.
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Wegen Osteoporose sitzt Fredrick Brannon im Rollstuhl. Als radikaler Kämpfer für Meinungsfreiheit hatte er 8chan gegründet – und will heute das Ende der Seite.Vergrößern des Bildes
Wegen Osteoporose sitzt Fredrick Brannon im Rollstuhl. Als radikaler Kämpfer für Meinungsfreiheit hatte er 8chan gegründet – und will heute das Ende der Seite. (Quelle: YouTube 8chan/Montage: Benjamin Springstrow)

Es ist der Ort, wo Amokläufer und Attentäter bejubelt werden, wenn sie möglichst viele Leben zerstört haben: Auch der Massenmörder von El Paso kündigte seine Tat bei 8chan an. Dem Gründer der Plattform reicht es jetzt, und einem Dienstleister auch.

Zwei Tage nach dem Amoklauf mit 20 Toten im texanischen El Paso dachten einige Nutzer an Gebete für das vermeintliche Opfer. Es ging ihnen aber nicht um einen ermordeten Menschen, es ging ihnen um den Verantwortlichen für die Seite, auf der der Terrorist die bevorstehende Tat und seine Motive erklärte hatte. "Ich bete für Dich und für alle, die Meinungsfreiheit verteidigen", war am Montag auf Twitter zu lesen.

Es war eine Antwort an Ronald Watkins. Er ist Administrator von 8chan und mit seinem Vater Jim Watkins verantwortlich für den Ort, an dem seit März drei Amokläufer ihre Taten angekündigt haben. Und an dem solche Taten gefeiert werden. Der Attentäter von El Paso hatte auf der Seite am Freitag um 18.15 Uhr deutscher Zeit das Morden angekündigt, das rund 40 Minuten später tatsächlich begann. Höllisch nervös sei er, hatte er geschrieben, einen Brief seiner Schule hatte er mitgeschickt und sein Manifest. "Verbreitet das, Brüder."

"Macht die Seite dicht"

Vater und Sohn Watkins haben jetzt ein Problem bekommen. Der führende Anbieter für den Schutz vor Cyberattacken hat 8chan gekündigt, sie selbst haben die Seite am Montag zunächst vom Netz genommen. Es werden Forderungen immer lauter, dass das dauerhaft so bleibt. Mit an der Spitze steht dabei einer, der 8chan besonders gut kennt: Fredrick Brennan, US-Amerikaner, wohnhaft auf den Philippinen, hat 8chan geschaffen, weil ihn Forenschließungen auf der sehr ähnlichen Internetseite "4chan" geärgert hatten. Nun erklärt er auf Twitter und in Interviews: "Macht die Seite dicht." Er selbst kann das nicht mehr, er hat die Seite abgegeben.

Die Seite habe ein passendes Umfeld für Terroristen und Amokläufer geschaffen, erklärt Brennan am Sonntag auf Twitter: Auf 8chan posteten Täter ihre rassistischen und kruden Erklärungen, weil die Community Sympathie zeige für solche Taten und bereitwillig helfe, Botschaften der Mörder zu verbreiten. 8chan habe eine Erfolgsbilanz vorzuweisen in der maximalen Verbreitung von Manifesten solcher Täter.

Anfeuerung: "Hol den Highscore!"

Das zeigen drei Beispiele aus den vergangenen Monaten. Der Australier, der im März im neuseeländischen Christchurch in zwei Moscheen 50 Menschen getötet hatte, hatte vor der Tat seine Ideologie und Botschaft auf 8chan gepostet. "Hol den Highscore!", antwortete ihm jemand. Er sollte also so viele Menschen töten wie noch niemand vor ihm. Und der Attentäter von Christchurch hatte dort den Aufruf posten können, andere sollten es ihm nachmachen.

Dem folgte im April ein Mann in der kalifornischen Kleinstadt Poway. Er wollte in einer Synagoge ein Massaker anrichten. Nur aufgrund einer Störung an der Waffe blieb es bei einem Todesopfer. Enttäuschung und Geringschätzung auf 8chan waren die Folge.

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Als am Freitag nun der Attentäter von El Paso seine Tat ankündigte, bezog er sich in seiner verlinkten Erklärung zunächst auf den Christchurch-Attentäter. Im ersten Kommentar antwortete ihm jemand, das Board sei doch "eine Community des Friedens" – eine ironisch gemeinte Anspielung auf den Islam als "Religion des Friedens". Der zweite Kommentar war "Every Shabbat". Jeden Sabbat also, regelmäßig solche Taten – der Wunsch spricht immer wieder aus Postings.

Neues Motto: "Mach dir die Schande zu eigen"

Manches ist "nur" gewagtes "Spiel" mit Tabus. Sarkasmus und extrem düsterer Humor sind Foren wie 8chan eigen. Herauslesen lässt sich vor allem Zustimmung, unterscheiden lässt sich das kaum. Wer im Leben sonst keine Bestätigung bekommt, kann hier auf eine Idee kommen, wie er seinem Leben vermeintlich Bedeutung geben kann.

Offene Bewunderung für Amokläufer ist auf dieser Internetseite kein Phänomen der vergangenen Monate. Auf Kritik am Umgangston auf 8chan haben die Macher trotzig mit einem neuen Motto auf der Startseite reagiert: "Embrace infamy" steht auf der Startseite, "Mach dir die Schande zu eigen!"

Wenn es den 8chan-Betreibern ernst sei, dann hätten sie zumindest das Unterforum "/pol" zumindest vorübergehend schließen müssen, findet Gründer Brennan. Dort posteten die Attentäter.

Die Seite tue der Welt nichts gutes, so Brennan zur New York Times. 8chan zu schließen werde künftige Massenerschießungen nicht verhindern, sie seien vor allem ein gesellschaftliches Problem. Es helfe aber, wenn Seiten schwerer zugänglich seien, die zu Gewalt anspornen.

Gründer: "Ich will wieder normal Geld verdienen"

Das ist der eine Grund für seine Forderung nach dem Aus. Der andere ist persönlich: "Ich will wieder normal als freiberuflicher Entwickler Geld verdienen und in Frieden in meiner Freizeit Schrifttypen entwickeln können." Er hat die Seite zwar 2013 gegründet, angeblich im Rausch durch Drogenpilze, und aus Unzufriedenheit, weil der Gründer von 4chan, einer vergleichbaren Seite, Diskussionen sperrte. Er wurde damit zu einer Ikone der Meinungsfreiheit. Aber er habe 8chan 2016 an Watkins übertragen und Ende 2018 endgültig mit ihm gebrochen, erklärt er.

Wenn die Seite jedoch wieder einmal Schlagzeilen macht, werde das immer mit ihm verbunden. "Wenn ich gewusst hätte, wie übel Jim die Dinge regelt, hätte ich eher entschieden, die Seite dicht zu machen statt sie ihm zu überlassen", schrieb er in einem Internet-Forum.

Auch manche 8chan-Nutzer sind nicht glücklich über das, was in dem Politik-Bereich "/pol" passiert. Das Board "liefert bessere Argumente gegen weißen Nationalismus als die Antifa sich je erträumen könnte", schrieb ein Nutzer. "Babies erschießen, an Schulen und beim Shopping. '/pol' ist unbeliebter als Al Qaeda." Der Nutzer wird dafür vor allem beschimpft.

8chan-Nutzer schreiben von jüdischer Verschwörung

In dem Forum wird auch angezweifelt, ob der 21-jährige Attentäter wirklich einer der ihren war – zu wenig Judenhass in seinem Statement. Auf 8chan werden die Hassverbrechen in den Moscheen in Christchurch, in der Synagoge von Poway und im Einkaufszentrum in El Paso auch als Teil einer jüdischen Verschwörung dargestellt, um die Plattform schließen zu können.

Solche Versuche habe Qanon prophezeit, ein von Anhängern fast mythisch verehrter Verschwörungstheoretiker, der sich mit US-Präsident Donald Trump als Kämpfer gegen den "tiefen Staat" präsentiert. Es ist unklar, ob eine Gruppe oder eine Person hinter Qanon steckt, 8chan ist aber das wichtigste Sprachrohr.

Brennan zufolge könne es auch nur ideologische Gründe geben, 8chan zu betreiben. "Die Seite bringt kein Cent ein", schrieb er t-online.de. Schon zu seiner Zeit bis 2016 sei es schwierig gewesen, Werbekunden zu finden – und damals sei die Seite noch weniger problematisch gewesen. "Niemand will darüber etwas verkaufen." Monat für Monat würden Tausende Dollar verbrannt, um die Seite am Laufen zu halten.

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Schirm gegen DDoS-Angriffe ist weg

Bislang konnte die Seite dabei unter einem Schutzschirm des Unternehmens CloudFlare operieren. Es verhindert für Millionen Kunden, dass deren Seite mit massenhaften Zugriffen über Botnetze zum Absturz gebracht werden. DDoS-Attacken heißen diese Angriffe. Am Sonntag amerikanischer Zeit hat CloudFlare dann überraschend erklärt, 8chan den Schirm wegzuziehen.

Die Begründung für die Kündigung sei einfach, erklärte der CloudFlare-Chef Matthew Prince: "Sie haben bewiesen, dass sie Gesetzlose sind. Und die Gesetzlosigkeit hat etliche tragische Tode ausgelöst." 8chan war zunächst kurzzeitig offline, dann zog die Seite zu einem anderen Dienstleister um, es soll dort weitergehen.

Cloudflare hat das auch Widerspruch moderater Amerikaner eingebracht, Meinungsfreiheit als erster Verfassungszusatz hat in den USA enormen Stellenwert. Er hasse Rassismus, schreibt ein Nutzer als Antwort auf die Ankündigung. Aber er liebe die Redefreiheit mehr. "Die einzige Lösung für schlechten Gebrauch von Meinungsfreiheit kann nur mehr Meinungsfreiheit sein." In dem Attentäter-Board auf 8chan hat das nicht funktioniert, und Gebete für Administrator Ronald Watkins werden da auch nicht helfen.

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