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Digitalisierung? Digital ist bei Lindner offenbar nur die Armbanduhr


Sprit statt Bit
Digitalisierung? Bei der FDP ein Treppenwitz

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 01.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Christian Lindner (r) ist designierter Finanzminister, Volker Wissing wird Verkehrsminister.Vergrößern des Bildes
Volker Wissing und Christian Lindner von der FDP: Digital ist bei Lindner offenbar nur die Armbanduhr. (Quelle: Michael Kappeler/dpa./dpa)

Alle reden über den Tankrabatt. Niemand redet über Digitalisierung. Auch der zuständige Digitalminister nicht, dabei ist das eines der zentralen Themen seiner Partei. Das macht fassungslos.

Heute Morgen fuhr ich zur Arbeit. Mit dem Rad. Das Wetter war stabil, meine Fitness auch. Also radelte ich trotz meines 9-Euro-Tickets sportiv an der Straßenbahn vorbei und ließ trotz Tankrabatts mein Auto stehen. Beide Entlastungsmaßnahmen im Kampf gegen die Inflation treten heute in Kraft.

Der Tankrabatt entpuppt sich allerdings schon jetzt als gar nicht mal so gute Werbung für die FDP, die ihn in einer Nachtsitzung der Ampel-Koalitionäre durchgesetzt hatte. Die Spritpreise sind nämlich – ein überraschender Zufall – in den letzten Tagen noch mal in die Höhe geschnellt. Der Rabatt bewahrt also quasi den Ist-Zustand im Portemonnaie.

Die FDP ist eine Partei der Autofahrer – das muss nicht verkehrt sein

Oder, kürzer gesagt: Er ist kein Rabatt. Was er aber ist: ein Symbol. Dafür, dass die FDP sich durchgesetzt hat, wieder mal. So wie auch schon in den Koalitionsverhandlungen, nach denen sie stolz verkünden konnte, dass es kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen geben wird.

Die FDP ist eine Partei der Autofahrer. Das muss nicht verkehrt sein, ich hab ja auch eines und weiß, dass im ganz überwiegenden Teil der Republik nicht im 5-Minuten-Takt U-Bahnen und Busse fahren. Nur, was die FDP ja auch sein will: die Partei, die für Digitalisierung steht. Aber auch das klappt nicht so recht.

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politik-Berichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich, ihr neues Blog findet man hier.

Fangen wir an bei dem Thema "Digitalministerium". Gibt es bekanntlich nicht in dieser Regierung. Wieder nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ginge auch anders. Es wäre auch möglich, ohne eigenes Ministerium aus der Pacman-Republik Deutschland eine moderne zu machen, die sich nicht schämen muss für ihre Rückständigkeit.

Nur hatte die FDP ein solches eigenständiges Ministerium gefordert. Im letzten Wahlkampf. Der geprägt war von der Pandemie. Und von etlichen Blamagen. Zum Beispiel von Gesundheitsämtern, die per Fax auf Daten zugreifen. Von Senioren, die verzweifelt am Telefon hingen in der Hoffnung auf einen heiß ersehnten Impftermin. Von Kindern, denen Arbeitsblätter von ihren Lehrern in den Briefkasten gesteckt wurden. Wenn es gut lief.

Die FDP kam an die Macht, das Ministerium hingegen kam nicht. Und jetzt kommt die Begründung, und Achtung, es ist keine Satire: Es sei zu schwierig, ein Gebäude in Berlin zu finden.

Digitales bleibt also im Verkehrsministerium angesiedelt, wie schon unter CSU-Mann Andi Scheuer: Dieses Ministerium führt jetzt ein FDP-Mann. Volker Wissing. Immerhin, könnte man denken, dann ist wenigstens die Partei dran am Thema, die auch dran sein will. Weil sie es verstanden hat. Weil sie weiß, dass nicht nur eine digitalisierte Verwaltung wichtig ist.

Sondern auch eine valide Datenlage, ob in einer Pandemie oder in anderen Bereichen des Lebens. Auch der Kampf gegen Hassrede, die Bezwingung der Plattformbetreiber. Kurz: Die FDP gilt doch eigentlich als Partei, die mental im 21. Jahrhundert angekommen ist, nachdem mehrere unionsgeführte Regierungen es komplett vermasselt haben, oder?

Digitales kam bei Volker Wissings Finanzplanung fast gar nicht vor

Tja. Diese Woche ist Haushaltswoche. Jedes Kabinettsmitglied stellt seine Finanzplanung vor – und begründet diese inhaltlich. Das hat nun auch Volker Wissing getan. Und entweder seine Parteizugehörigkeit vergessen, seinen Ressortzuschnitt oder aber einen Teil seiner Redezettel: Das Thema "Digitales" kam so gut wie gar nicht und denkbar oberflächlich vor!

Und das in einer Woche, in der noch immer geredet wird über die peinlichen Ergebnisse, die Jan Böhmermann und sein "ZDF Magazin Royale" geliefert haben. 16 "Korrespondent*innen" der Sendung haben am selben Tag in allen 16 Bundesländern je sieben identische Hassverbrechen auf einer Polizeiwache vorgelegt. Die Ergebnisse der anschließenden Polizeiarbeit fielen höchst unterschiedlich aus. Sie zeigen, wie überfordert und auch unwillig man teilweise bei der Polizei ist, wenn es um die Ahndung von Hassverbrechen im Netz geht.

Innenministerin Nancy Faeser von der SPD will nun bessere Schulungen für die Polizisten. Das ist nie verkehrt, aber der erste Schritt wäre mal, dass diese Regierung endlich beweist, wie wichtig ihr alles mit dem Netz zu tun Habende ist. Dass Faeser sich quasi entzückt zeigte, weil es der Ampelkoalition gelungen war, Kontakt zu den Telegram-Verantwortlichen aufzunehmen, gehört auch in diese jetzt schon peinliche Aneinanderreihung. Den Kontakt hatte nämlich jemand von Google vermittelt. Aus eigener Kraft war das den Regierungsverantwortlichen nicht gelungen.

Radikalisierung passiert oft im Netz

Der Mann, der in Idar-Oberstein einen Tankstellenmitarbeiter erschossen hat, weil der ihn an die Maskenpflicht erinnert hatte, radikalisierte sich im Netz. Der Attentäter, der vergangene Woche 19 Kinder an einer US-Grundschule in Texas erschossen hat, radikalisierte sich im Netz. Der Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke radikalisierte sich im Netz.

Corona ist nicht weg. Die Gesundheitsämter könnten im Herbst oder Winter womöglich wieder an Wichtigkeit gewinnen. Noch immer hängen sie nicht flächendeckend am Netz. Die Zahlen steigen aktuell wieder.

Was auch steigt: die Inflation. Und zwar massiv. Strom, Lebensmittel, Mieten – für manche wird es eng und immer enger. Soziale Unruhen werden befürchtet. Wo werden soziale Unruhen angeheizt, wo sitzen die Brandbeschleuniger? Richtig: im Netz.

Es wäre langsam Zeit, dass diese Regierung in die Gänge kommt und nicht mehr auf Sicht fährt. Beziehungsweise von der Bremse runterkommt. Und damit meine ich nichts, was mit Autos zu tun hat. Da gibt man ja Gas.

Ein Ministerium hätte nicht geschadet, das zeichnet sich jetzt schon ab. Vielleicht, und das meine ich nur halb im Spaß, gibt es keines, weil man dort ja vernünftiges Internet bräuchte. Und auch das ist Mangelware in Deutschland. Oder, wie netzaffine Menschen es nennen: in Bangladesch. Sollte die FDP da nicht auch langsam Gas geben, wird es eng für sie: Dann droht neben einer Tankrabattblamage auch eine Digitalisierungsblamage. Dann wäre Blamage ihr Markenkern.

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