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Genitalverstümmelung: In Deutschland rund 50.000 Opfer


Tag der Genitalverstümmelung
"Mädchenbeschneidung" auch in Deutschland ein Problem

Von dpa
Aktualisiert am 06.02.2018Lesedauer: 4 Min.
Eine 19-Jährige aus Somalia kämpft mit schweren Folgen von Genitalverstümmelung, die sie als kleines Kind erlitten hat. Auch in Deutschland leben viele Opfer dieser grausamen Praxis.Vergrößern des BildesEine 19-Jährige aus Somalia kämpft mit schweren Folgen von Genitalverstümmelung, die sie als kleines Kind erlitten hat. Auch in Deutschland leben viele Opfer dieser grausamen Praxis. (Quelle: Wolfram Kastl/dpa-bilder)
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In Deutschland leben fast 50.000 Mädchen und Frauen, die Opfer von "Mädchenbeschneidung" geworden sind. Das geht aus einer Studie des Bundesfamilienministeriums hervor.

In Deutschland ist die "Mädchenbeschneidung" verboten, doch es besteht die Gefahr, dass Mädchen während der Ferien im Ausland dieser Tortur unterzogen werden. Verbreitet ist Genitalverstümmelung unter anderem in Ägypten, Eritrea, Somalia, Äthiopien, Mali und dem Irak. Dabei wird die Klitoris ganz oder teilweise amputiert. In einigen Ländern werden auch die Schamlippen abgetrennt.

Die Mythen, mit denen die Verstümmelung der weiblichen Sexualorgane gerechtfertigt werden, sind zahlreich. Die Frauen, so heißt es, seien dann "reiner" und "schöner". Dabei geht es vor allem darum, ihren Sexualtrieb zu beschneiden und ihnen das Lustempfinden zu rauben.

"Die weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Sie verursacht unfassbare körperliche Qualen und seelisches Leid", erklärt der Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, Ralf Kleindiek. Zu einer umfassenden Aufklärung gehören neben Ursachenforschung, Methoden und medizinischen Aspekten vor allem die Akzeptanz von Folgeschäden bei Frauen. Und die sind erheblich – körperlich wie auch psychisch. Was das Verständnis erschwert: Letztere sind äußerlich kaum wahrnehmbar.

Schmerzen beim Urinieren, beim Geschlechtsverkehr und bei der Geburt

Wenn betroffene Frauen zu Dr. Cornelia Strunz in die Sprechstunde kommen, klagen sie oft über Schmerzen beim Wasserlassen. Einige von ihnen sind von der Beschneiderin so zugenäht, dass Geschlechtsverkehr kaum möglich ist, andere fürchten sich vor der Entbindung. "Manche Frauen möchten operiert werden, damit sie Kinder bekommen können, andere wollen einfach ihre Weiblichkeit zurückhaben", sagt die Ärztin. Im Berliner Krankenhaus Waldfriede berät die Generalsekretärin der "Desert Flower Foundation Deutschland" Opfer weiblicher Genitalverstümmelung. Ein Mal pro Monat treffen sich im Krankenhaus Frauen in einer Selbsthilfegruppe.

Zahl der Opfer in Deutschland steigt

Weibliche Genitalverstümmelung gilt in Deutschland seit 2013 als gefährliche Körperverletzung. In der Regel wissen Zuwanderer aus Staaten, in denen diese brutale Tradition immer noch verbreitet ist, dass die "Mädchenbeschneidung" hierzulande verboten ist. Was viele aber nicht wissen, ist, dass jemand, der in Deutschland lebt, seine Tochter auch nicht im Ausland verstümmeln lassen darf. "Sehr viele meinen, dass es, wenn sie es in ihrem Herkunftsland tun, nicht verboten ist", sagt Staatssekretär Kleindiek. Der Studie zufolge sind hierzulande zwischen 1.558 und 5.684 Töchter von Migranten von Genitalverstümmelung bedroht.

Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes sagt, durch den Zuzug der Flüchtlinge in den vergangenen drei Jahren sei nicht nur die Zahl der betroffenen Frauen hierzulande gestiegen. Auch das Risiko, dass Mädchen, die hier leben, diese Tortur erleiden müssen, sei gewachsen. Deshalb müsse jetzt mehr unternommen werden, um sie zu schützen.

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im hessischen Landtag, Daniela Sommer, kritisiert, es sei unzureichend, medizinische Maßnahmen von der Vorlage einer Asylberechtigung abhängig zu machen. Laut Ministerium werden aber nur dann Operationen von Krankenkassen übernommen.

572 Fälle von Genitalverstümmelung in Hessen erfasst

Beispielsweise sind 572 Fälle von Genitalverstümmelung im Jahr 2016 allein in Hessen erfasst worden. Das geht aus einer Antwort des Sozialministeriums in Wiesbaden auf eine Kleine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hervor. Die Dunkelziffer liege vermutlich aber deutlich darüber. Dem Ministerium zufolge werden in der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen nur Daten der gesetzlich Versicherten erfasst – sofern sie ein Arzt notiert hat.

In der polizeilichen Kriminalstatistik werden solche Fälle nicht eigens aufgelistet. Genitalverstümmelung fällt dort dem Ministerium zufolge unter den Oberbegriff der Körperverletzung. Zur Anzahl oder Herkunft der betroffenen Frauen könne daher nichts gesagt werden.

Regierung setzt auf Aufklärung und Entzug des Reisepasses

Die Bundesregierung setzt auf den Dreiklang "Aufklärung, Prävention und Strafverfolgung". Um zu verhindern, dass Eltern ihre Töchter im Heimatland einer "Ferienbeschneidung" unterziehen, ist Dezember 2016 eine Änderung des Passgesetzes beschlossen worden. Künftig kann Menschen, die für eine Genitalverstümmelung mit einem Mädchen oder einer Frau ins Ausland reisen wollen, der Pass entzogen werden.

Außerdem sollen Ärzte und andere Fachkräfte, die beruflich mit Migranten zu tun haben, Informationen erhalten. Frauen, deren Familien selbst aus Ländern stammen, in denen die weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird, sollen in den Exilgemeinden über die körperlichen und seelischen Schäden sprechen.

Einfach ist das nicht. Genitalverstümmelung sei "ein absolutes Tabu-Thema", sagt Tiranko Diallo vom Verein Mama Afrika. Ihre Eltern stammen aus Guinea, wo etwa 97 Prozent der Frauen "beschnitten" sind. Oberärztin Strunz hat viele Patientinnen aus Somalia. In dem ostafrikanischen Land wird vor allem die sogenannte Typ-Drei-Verstümmelung praktiziert, bei der nur noch eine winzige Öffnung bleibt. Sie sagt: "Die Frauen haben keine Sexualerziehung gehabt." Deshalb wüssten sie oft gar nicht so genau, wie der Körper einer nicht verstümmelten erwachsenen Frau aussieht.

Auch Beschneidung von Jungen ist umstritten

Während in vielen Ländern Afrikas Aktivisten gegen weibliche Genitalverstümmelung kämpfen, wird die Beschneidung männlicher Teenager etwa in Südafrika kaum hinterfragt. Sie gilt trotz mehrerer Todesfälle jedes Jahr als wichtiger Schritt zum Mannsein. Todesursachen sind entweder verpatzte Beschneidungen, unabsichtliche Amputationen, Infektionen oder Dehydrierung. Während Experten zufolge früher Beschneidungen durch erfahrene Stammesälteste durchgeführt wurden, wollen heute oft Quacksalber damit Geld verdienen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • dpa
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