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Delta-Variante: Kann der Sommereffekt die Mutante aufhalten?


Umstrittene Oxford-Studie
Wie groß ist der Sommereffekt auf die Delta-Variante?

  • Melanie Rannow
Von Melanie Rannow

Aktualisiert am 02.07.2021Lesedauer: 4 Min.
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Menschen im Englischen Garten in München: Ist das Risiko einer Corona-Infektion im Sommer wirklich geringer?Vergrößern des Bildes
Menschen im Englischen Garten in München: Ist das Risiko einer Corona-Infektion im Sommer wirklich geringer? (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Eine neue Studie sorgt für Aufsehen: Offenbar wurde der saisonale Effekt auf die Virusausbreitung deutlich unterschätzt. Bremst der Sommer Corona trotz Delta-Variante also weiter aus? Virologe Drosten warnt vor falschen Schlüssen.

Gemessen an der bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz scheint sich die Corona-Lage in Deutschland immer weiter zu entspannen. Der Wert liegt nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Mittwoch bei 5,2. Warum sich die Fallzahlen derzeit auf einem solch niedrigen Niveau befinden, hat nach Ansicht von Experten mehrere Ursachen.

Ein Grund für den starken Rückgang könnte die Wetterveränderung in den vergangenen Wochen sein. Vermutungen, dass warme Temperaturen die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamen, gibt es schon länger. Eindeutige Beweise wie bei Influenza und anderen Viren, die Atemwegserkrankungen verursachen, sind bei SARS-CoV-2 jedoch rar.

Schließlich fiel in Europa der Anstieg der Temperaturen im Frühjahr 2020 etwa mit umfangreichen Corona-Beschränkungen zusammen. Experten gehen dennoch davon aus, dass saisonale Faktoren wie Temperatur, Feuchtigkeit und Sonneneinstrahlung die Pandemieentwicklung durchaus beeinflussen – dies in Daten und Zahlen zu bemessen, sei aber schwierig.

Auch das RKI nennt die Saisonalität als möglichen Grund für die sinkenden Corona-Fallzahlen. Demnach könne sich das Virus in der kälteren Jahreszeit besser verbreiten als im Sommer, wenn sich die Übertragungsdynamik tendenziell abschwäche. Dies legt auch eine neue Untersuchung britischer Forscher nahe, die kürzlich auf dem Preprint-Server "MedRxiv" veröffentlicht wurde und für viel Aufsehen sorgte.

Oxford-Studie: Saisonaler Effekt deutlich unterschätzt

Wissenschaftler um Tomas Gavenciak von der Universität Oxford kamen zu dem Schluss, dass der saisonale Effekt auf die Corona-Ausbreitung bislang offenbar deutlich unterschätzt wurde. Das Coronavirus ist den Forschern zufolge im Sommer 40 Prozent weniger ansteckend als im Winter.

In ihrer noch nicht von Fachleuten geprüften Untersuchung werteten sie Daten des gesamten Jahres 2020 aus 143 europäischen Regionen aus, um den Zusammenhang zwischen der Jahreszeit und den Corona-Ansteckungen zu ermitteln. Die Effekte von Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht wurden dabei herausgerechnet.

Das Ergebnis: Die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus vom Höhepunkt des Winters bis zum Höhepunkt des Sommers sank um 42,1 Prozent. Der saisonale Effekt sei damit deutlich stärker als bisher vermutet, so die Forscher.

Die Studienautoren betonen, dass ihre Ergebnisse nicht im Widerspruch zu beobachteten Ausbrüchen im Sommer oder in den Tropen stünden. Trotz des errechneten Effekts könne sich das Coronavirus auch im Sommer und in konstant warmen Regionen vermehren.

Drosten analysiert Studienergebnisse und warnt vor falschen Schlüssen

Der Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Christian Drosten, kritisierte die zum Teil falsche Darstellung dieser Studie in den Medien. Die Untersuchung habe für Aufsehen gesorgt, da sie "einen deutlich größeren Sommereffekt annimmt als den, von dem man bisher ausgegangen war", sagte er im NDR-Podcast "Coronavirus-Update" vom 22. Juni 2021.

Seit Monaten seien Wissenschaftler von einem Saisonalitätseffekt des Coronavirus von rund 20 Prozent ausgegangen. Dass die Forschergruppe nun auf einen Wert von 40 Prozent komme, klinge "einigermaßen gewaltig", so Drosten. Doch das Ergebnis müsse differenziert betrachtet werden.

  • Erstens: Die Studie der britischen Forscher verfolge einen anderen Methodenansatz. Es handle sich dabei nicht um eine übliche epidemiologische Modellierung, sondern um eine Modellrechnung, die eher das Gesamtgeschehen betrachtet und viele Feinheiten auslässt.
  • Zweitens: Wie groß genau der Saisonalitätseffekt ausfällt, sei weiter unklar. "Wir kümmern uns gar nicht um die Größenordnung", sagte Drosten im Podcast. Eine Erklärung dafür zu finden, sei die eigentliche Aufgabe.
  • Drittens: Man könne laut Drosten keineswegs daraus ableiten, dass es gar keine Kontaktbeschränkungen und weitere Corona-Maßnahmen gebraucht hätte. Dass der Sommer die Pandemie schon von selbst erledige, sei völlig falsch. Der Saisonalitätseffekt dürfe daher nicht überschätzt werden.

Sommer allein bringt Pandemie nicht unter Kontrolle

Auch die Oxford-Forscher selbst schränkten ein, dass es weiter unklar sei, worauf genau dieser Sommereffekt zurückgehe. So könnten Faktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und UV-Strahlung die Virusstabilität, aber auch die Empfänglichkeit des Wirts und dessen Immunreaktionen beeinflussen. Zudem seien Verhaltensänderungen bei wärmeren Temperaturen und soziale Faktoren wie Schulferien mit einzubeziehen.

Diese Punkte betonte auch Virologe Drosten. Das Verhalten der Menschen sei der wichtigste Einflussfaktor auf den Pandemieverlauf, erklärte er im Podcast. Hinzu kämen die Corona-Maßnahmen sowie die voranschreitende Impfkampagne.

Saisonalität des Coronavirus nicht nur positiv

Natürlich beeinflusst auch das Wetter das Verhalten der Menschen. Die warmen Temperaturen ziehen sie nach draußen und es finden generell mehr Aktivitäten im Freien statt. Dort ist die Infektionswahrscheinlichkeit deutlich geringer als in Innenräumen.

Doch die Saisonalität des Virus ruft auch einen negativen Effekt hervor: Führt sie auf der nördlichen Erdhalbkugel im Sommer zu deutlich geringeren Fallzahlen, besteht hingegen im Herbst und Winter das Risiko einer hohen Corona-Welle, wenn die saisonalen Effekte wieder nachlassen. Darüber, dass Deutschland nach dem Sommer 2021 eine vierte Welle durchlaufen wird, sind sich die Experten weitgehend einig.

Es bleibt nur offen, wie heftig diese Welle ausfällt und ob sie durch die Impfungen gegen Covid-19 flach gehalten werden kann.

Corona-Varianten als unbekannter Faktor

Hinzu kommt noch eine weitere Gefahr: die Virusmutationen. Nach Ansicht von Experten könnten diese den Saisonalitätseffekt abschwächen. Der gewonnene Vorteil durch die saisonalen Effekte könnte von den infektiöseren Mutanten quasi "aufgefressen" werden, sagte der Virologe Ulf Dittmer vom Uniklinikum Essen bereits im Frühjahr mit Blick auf die kommenden Monate. Die saisonalen Effekte könnten dann nicht dafür ausreichen, dass der R-Wert langfristig niedrig bleibe.

"Die Saisonalität von Viren, die über die Atemwege verbreitet werden, ist ungeheuer komplex und lässt sich nicht an einzelnen Faktoren festmachen", so Dittmer. Eine Prognose sei daher schwierig.

Kann der Sommereffekt Delta aufhalten?

In Deutschland breitet sich aktuell die Delta-Variante aus. Vor dem Hintergrund der Oxford-Studie wies SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach darauf hin, dass ihre Saisonalität deutlich ausgeprägter sei als ursprünglich angenommen. Im Sommer sei demnach das Risiko, sich damit anzustecken, deutlich geringer als in der kälteren Jahreszeit.

Delta bezeichnet die zunächst in Indien gefundene Variante des Coronavirus B.1.617.2. Sie gilt als noch ansteckender als die Variante Alpha und gehört zu den besorgniserregenden Corona-Varianten.

Doch ob Delta tatsächlich auch durch den Saisonalitätseffekt abgeschwächt werden kann, lässt sich nicht vorhersagen. "Wir bleiben letztendlich dabei, dass wir weiter auf unser persönliches Verhalten achten müssen und Maßnahmen brauchen. Das schließt dann natürlich auch die Geimpften ein", resümiert Virologe Drosten im Podcast.

Und tatsächlich wird der Impffortschritt in der Bevölkerung eine entscheidende Rolle spielen. Die Delta-Variante führt Lauterbach zufolge zu einem schwereren Verlauf und ist zum Teil resistent gegen die Erstimpfung. "Aber ich hoffe, dass dann bei uns eben schon so viele doppelt geimpft sein werden, dass es keine so große Welle mehr gibt", sagte Lauterbach.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
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