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"Jeder sollte sich wegen Omikron VorrÀte anlegen"
Bund und LĂ€nder beraten ĂŒber die aktuelle Strategie zur EindĂ€mmung der Omikron-Variante. Was ist dazu nötig? Alexander KekulĂ© hat klare Forderungen.
Wie umgehen mit der Omikron-Variante des Coronavirus? Sie ist wesentlich ansteckender, aber scheint zu weniger schweren KrankheitsverlĂ€ufen zu fĂŒhren. Wieder berĂ€t die Politik darĂŒber. Was sagen Experten?
Der Epidemiologe Markus Scholz von der UniversitĂ€t Leipzig teilte auf t-online-Anfrage mit: "Leider gibt es bezĂŒglich des wichtigsten Parameters, nĂ€mlich wie stark die GefĂ€hrlichkeit der Omikron-Variante gegenĂŒber Delta reduziert ist, noch sehr hohe Unsicherheiten, sodass es nicht klar ist, wie schwer die Omikron-Welle sich auf das Gesundheitssystem auswirkt. Aufgrund der zu niedrigen Impfquote kann eine erneute Ăberlastung derzeit nicht ausgeschlossen werden. Zudem wird es aufgrund der hohen Fallzahlen wahrscheinlich auch erstmalig zu EinschrĂ€nkungen bei kritischen Infrastrukturen kommen. Ein Durchlaufenlassen der Omikron-Welle halte ich deshalb fĂŒr zu riskant:"
Was sagt der Virologe Alexander Kekulé? Er wird im Interview mit t-online deutlich.
t-online: Herr Kekulé, wie beurteilen Sie unsere momentane Lage unter Omikron?
Alexander KekulĂ©: Infektionen mit Omikron verlaufen, entgegen den vor Weihnachten geĂ€uĂerten Beurteilungen des Expertenrates und des RKI, in der Regel deutlich milder als die mit der Delta-Variante. Dies liegt nicht nur an der zunehmenden Immunisierung der Bevölkerung durch Impfungen und durchgemachte Infektionen, sondern auch an den verĂ€nderten Eigenschaften des Virus selbst.
Also prognostizieren Sie keine Ăberlastung des Gesundheitssystems?
Nicht in Bezug auf die Auslastung der Intensivbetten. In anderen LĂ€ndern, in denen die Omikron-Welle bereits wieder zurĂŒckgeht, kam es nicht zu Ăberlastungen der IntensivkapazitĂ€ten, wie sie bei uns von einigen meiner Kollegen befĂŒrchtet wird. Stattdessen konnten in Allgemeinstationen und Notaufnahmen die Patienten teilweise nicht mehr ausreichend versorgt werden.
Dies war zum einen durch eine groĂe Zahl leichter Omikron-FĂ€lle verursacht, die aufgrund der Warnungen von Behörden und Fachleuten trotz milder Symptome sicherheitshalber einen Arzt sehen wollten. In einigen Regionen der USA kam hinzu, dass viele Menschen zum Testen in die KrankenhĂ€user kamen, weil die PCR-KapazitĂ€ten der Labore erschöpft und kĂ€ufliche Selbsttest ausgegangen waren. Zum anderen, und das war die Hauptursache fĂŒr die Ăberlastungen, fiel in der Hauptphase der Omikron-Epidemie sehr viel medizinisches Personal durch Erkrankungen und QuarantĂ€nen aus.
Alexander KekulĂ© ist Professor fĂŒr Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-UniversitĂ€t Halle-Wittenberg. In der Corona-Pandemie
Wir sehen nicht die gleichen hohen Verdopplungszahlen wie in anderen LĂ€ndern. Woran liegt das?
Im Gegensatz zu fast allen anderen Industrienationen hatten wir in Deutschland bereits zu Beginn der Omikron-Welle sehr strenge GegenmaĂnahmen in Kraft gesetzt. Diese waren von Bund und LĂ€ndern im November mit groĂer VerspĂ€tung beschlossen worden und kamen zu spĂ€t, um auf die damalige Delta-Welle noch nennenswerten Einfluss zu nehmen. In gewisser Weise kann man also heute von GlĂŒck sprechen, dass die Politik im Herbst so spĂ€t agiert hatte.
Die Omikron-Welle wird deshalb im Vergleich zu anderen Industriestaaten bei uns flacher verlaufen. Das hat den Vorteil, dass die Inzidenz weniger stark ansteigt, also die schweren Erkrankungen, die es auch bei Omikron manchmal gibt, nicht alle auf einmal in den Kliniken auflaufen. Der Nachteil ist, dass die flachere Welle lĂ€nger dauert, das heiĂt wir werden möglicherweise erst nach vier bis sechs Wochen damit durch sein.
Werden wir auch unter Omikron einen Anstieg der schweren und sogar tödlichen VerlÀufe sehen?
Ja, leider. Die wirksamste MaĂnahme zur Vermeidung schwerer und tödlicher VerlĂ€ufe durch Omikron wĂ€re, das haben gerade veröffentlichte Studien der US-Gesundheitsbehörde CDC eindrucksvoll belegt, das priorisierte Boostern der Menschen ab 60 gewesen. FĂŒr diese Strategie, die ich ja vor Weihnachten dringend empfohlen hatte, ist es jetzt leider zu spĂ€t.
Stattdessen haben sich, entsprechend den öffentlichen Aufrufen, massenweise jĂŒngere Menschen die dritte Spritze geholt, wĂ€hrend noch fast ein Drittel der Altersgruppe ĂŒber 60 nicht geboostert ist. Die bei der Omikron-Variante weniger hĂ€ufigen, aber trotzdem unvermeidbaren Todesopfer werden weit ĂŒberwiegend Ă€lter als 60 Jahre und entweder geimpft ohne Auffrischung oder ganz ohne Immunschutz sein.
Wenn die Ăberlastung der IntensivkapazitĂ€ten nicht mehr unser gröĂtes Problem ist, was ist es dann?
Nach meiner Beurteilung stellt der Ausfall von Mitarbeitern in der Krankenversorgung, in der kritischen Infrastruktur und auch in anderen Bereichen des Arbeits- und Soziallebens fĂŒr die Gesamtbevölkerung eine gröĂere Gefahr dar als eine Ăberlastung der IntensivkapazitĂ€ten.
Unsere im Vergleich zu vergleichbaren LĂ€ndern etwas schlechtere Impfquote bei den ĂŒber 60-JĂ€hrigen wird durch eine deutlich höhere Zahl von Intensivbetten ausgeglichen, so dass es im Intensivbereich möglicherweise zu lokalen EngpĂ€ssen, aber nicht zu ernsten Versorgungsproblemen kommen wird. Auf Covid-Intensivstationen ist es auch vertretbar, wenn gut geschultes Personal bei einer leichten oder symptomfreien Corona-Infektion zur Arbeit kommt.
Aber Sie rechnen mit PersonalausfĂ€llen in groĂem Umfang?
Ein sehr hohes Ausfallrisiko besteht fĂŒr die medizinischen Versorgungsbereiche, wo zugleich mit einem erhöhten Aufkommen verunsicherter, aber nur leicht erkrankter Covid-FĂ€lle viele Mitarbeiter aufgrund eines positiven Corona-Tests oder einer angeordneten QuarantĂ€ne zu Hause bleiben mĂŒssen. Im ersten Fall, der so genannten "Isolierung" von positiv Getesteten, haben wir â mit Ausnahme der speziellen Corona-Stationen â keine andere Wahl. Dass auch alle Kontaktpersonen zu Hause bleiben mĂŒssen, man spricht dann von "QuarantĂ€ne", fĂŒhrt jedoch zu einem zusĂ€tzlichen, vermeidbaren Personalausfall.
Das wÀre vermeidbar?
Ich plĂ€diere dafĂŒr, die QuarantĂ€ne in fast allen Bereich abzuschaffen. QuarantĂ€ne macht nur Sinn, wenn die Behörden die Kontakte eines positiv Getesteten in der Regel nachverfolgen können. FĂŒr jeden positiven "Fall" muss ein Vielfaches von Kontaktpersonen in QuarantĂ€ne und fĂ€llt im Arbeitsleben aus, von denen haben sich aber nur wenige tatsĂ€chlich infiziert.
In der massiven Omikron-Welle wird das nicht mehr funktionieren, weil die GesundheitsĂ€mter nicht mehr nachkommen und die gröĂtenteils geimpften oder genesenen Menschen auch nicht mehr einsehen, warum sie nicht aus dem Haus gehen dĂŒrfen. Zudem verbrauchen die QuarantĂ€nen Unmengen an Schnelltests und PCR-KapazitĂ€ten, die in KĂŒrze ohnehin knapp zu werden drohen.
Die Folgen unserer GegenmaĂnahmen fĂŒr die Bevölkerung, die ich "sekundĂ€re KollateralschĂ€den" nenne, können durch die QuarantĂ€nen schwerer wiegen als die gesundheitlichen SchĂ€den durch das Virus selbst.
Sie setzen auf die Eigenverantwortung der Infizierten?
Ja, Covid-Erkrankte sollten konsequent alles tun, um niemanden anzustecken. Hier ist die Infektionsgefahr wesentlich gröĂer als bei denjenigen, die ohne Symptome in QuarantĂ€ne sind. Die Isolierung positiv getesteter oder symptomatischer Corona-Infizierter ist deshalb unverzichtbar, auch wenn wir dadurch â in diesem Fall "primĂ€re" â KollateralschĂ€den fĂŒr das Wirtschafts- und Sozialleben in Kauf nehmen. Die einfache Formel fĂŒr die Omikron-Welle lautet deshalb: Wer Symptome hat, bleibt zu Hause!
Und darauf sollte man sich vorbereiten?
Da sich ein GroĂteil der Bevölkerung, einschlieĂlich Geimpfter und Genesener, mit der Omikron-Variante infizieren wird, sollte sich jeder schon einmal ein paar VorrĂ€te anlegen, damit er im Fall der FĂ€lle nicht zuerst in den Supermarkt zum Einkaufen muss. Ich wĂŒrde mir wĂŒnschen, dass auch die MinisterprĂ€sidenten nach der MPK dazu aufrufen.
Herr KekulĂ©, wir danken Ihnen fĂŒr das GesprĂ€ch!