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Aufhebung der Corona-Regeln: Ist Deutschland bereit, Hunderte Tote mitzutragen?


Aufhebung vieler Corona-Regeln
Epidemiologe: "Rechtlich hält das vor Gerichten kaum stand"


Aktualisiert am 02.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Die Corona-Deutschlandkarte: Bundesweit ist die Inzidenz aktuell bedenklich hoch.Vergrößern des Bildes
Die Corona-Deutschlandkarte: Bundesweit ist die Inzidenz aktuell bedenklich hoch. (Quelle: Rene Traut/imago-images-bilder)

14 Bundesländer lassen jetzt die wichtigsten Anti-Corona-Maßnahmen fallen, und das, obwohl Deutschland derzeit zu den Spitzenreitern bei den Infektionsfällen in Europa zählt. Was kommt da auf uns zu?

Freedom Day in Deutschland? An diesem Wochenende enden die meisten Anti-Corona-Maßnahmen. An der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes gibt es viel Kritik.

Und auch der Zeitpunkt der Aufhebung der Regeln wird von vielen Experten sehr kritisch und mit Sorge gesehen. t-online fragte den Epidemiologen Markus Scholz nach seiner Einschätzung und seinem Ausblick.

t-online: Herr Scholz, was haben Masken zur Eindämmung der Pandemie bewirkt?

Markus Scholz: Der Maskeneffekt ist ganz klar belegbar. Die Maske ist und bleibt der beste Schutz vor Ansteckung und zur Eindämmung der Pandemie. Was 2G, 2G plus oder 3G gebracht haben, können wir hingegen überhaupt nicht sagen.

Was sagen Sie zu der Entscheidung, diese Maßnahme fast bundesweit aufzuheben?

Das ist verantwortungslos. Wir haben derzeit mit die höchsten Infektionszahlen in Europa. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar. Und wir sehen eine Verschärfung der Situation in den Krankenhäusern. In Sachsen sind ganze Stationen geschlossen.

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Nicht, weil sie von Corona-Patienten geflutet werden, sondern weil das Personal infiziert ist, in Quarantäne ist oder auf andere Stationen abgezogen wurde. Das ist auch ein Einschnitt in die medizinische Versorgung. Die Todesfälle, die daraus resultieren, sind in den offiziellen Corona-Statistiken nicht enthalten. Ich halte die Aufhebung der Anti-Corona-Maßnahmen insgesamt für zu früh. Erst müssten die Fallzahlen deutlich sinken.

Prof. Markus Scholz
Prof. Markus Scholz (Quelle: Universität Leipzig, Fotograf: Christian Hüller)


Markus Scholz ist Epidemiologe an der Universität Leipzig und forscht dort zur weiteren Entwicklung der Pandemie.

Wir reden jeden Tag von 200 bis 300 Toten ...

Ja, und man hat sich da anscheinend dran gewöhnt und ist bereit, das mitzutragen. Das wäre, als ob in Deutschland jeden Tag zwei Flugzeuge abstürzen würden. Und dann würde aber darüber tagelang berichtet. Nun scheint man sich damit abgefunden zu haben. Ich sehe nicht, warum.

Die Masken sind ein wirksames Mittel zum Selbst- und Fremdschutz. Was wird es bedeuten, wenn Menschen jetzt vielleicht nur noch zum Eigenschutz und dann eben nur noch vereinzelt Maske tragen?

Masken sind ein kaum invasives Mittel, um die Pandemie sehr effektiv einzudämmen. Wenn das nun generell jedem freigestellt wird, wird auch der soziale Druck auf die zunehmen, die sie weiter tragen möchten oder sogar müssen, weil sie Risikopatienten sind.

Hier geht es aber nicht nur um Eigenverantwortung, sondern auch um Kollektivverantwortung. Jeder Arbeitgeber zum Beispiel sollte seinen Mitarbeitern das Tragen weiter freistellen und das auch klar kommunizieren.

Nun hat der Bund mit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes die Verantwortung zur Eindämmung der Pandemie in die Hände der Länder gegeben. Was halten Sie von dem Gesetz?

Nicht viel. Es fehlen klare Parameter, um festzulegen, wann eine Region oder ein Bundesland ein Hotspot ist, um Maßnahmen festzulegen. Rechtlich hält das damit vor den Gerichten kaum stand. Und man sieht ja zunehmend, dass einzelne Verantwortliche gegen ihre Überzeugung agieren, weil sie keine rechtliche Möglichkeit mehr zu sehen scheinen.

Aber was steckt denn hinter diesem Gesetz?

Im Kern geht es sicher um das Konzept der Durchseuchung. Aber die ist voraussichtlich vorübergehend, weil diese Variante des Coronavirus kaum bleibende und solide Immunität gegen andere Varianten herstellen wird. Dafür sind die Verläufe meist zu mild, das Immunsystem wird kaum trainiert. Das sieht man daran, dass man sich reinfizieren kann. Aber klar ist natürlich auch: Die Verläufe sind im Durchschnitt so mild, weil die Mehrheit geimpft ist.

Da heißt also: Omikron jetzt durchlaufen zu lassen, kann uns im Herbst gar nicht genutzt haben?

Das kann sein. Wenn eine neue Variante auftaucht und die Impfquote weiter stagniert, haben wir zwar sehr viele Infizierte gehabt und auch täglich hohe Todeszahlen, aber die Immunität reicht nicht, um gegen andere Varianten gewappnet zu sein. Ich denke, wir brauchen im Herbst Auffrischungsimpfungen.

Wofür hätten Sie in der derzeitigen Situation in puncto Lockerungen plädiert?

Ich denke, man hätte zumindest bis zu den Osterferien abwarten sollen, bevor man solch einschneidende Lockerungen vornimmt.

Nun sehen wir in anderen Ländern: Wo nicht mehr getestet wird, sinken logischerweise die Inzidenzen.

Ja und damit verliert man den Überblick über das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung. Sinkende Inzidenzen bei weniger strikter Test- und Berichtsstrategie sind trügerisch, denn dann erhöht sich auch die Dunkelziffer.

Kann man Inzidenzen oder Schätzungen über Inzidenzen überhaupt ohne flächendeckende Tests ermitteln?

Wenn Menschen mit Symptomen konsequent getestet werden, so liefert das immer noch Anhaltspunkte für die tatsächliche Pandemielage. Oder auch Abwasserproben zeigen recht gut, wie weit das Virus oder eine neue Variante verbreitet ist.

Kann es sein, dass wir die Lockerungen eventuell doch zurückdrehen müssen?

Das kann passieren. Diese Virusvariante ist sehr ansteckend und kann den Effekt der Saisonalität – dass also die Zahlen in den wärmeren Monaten zurückgehen – bremsen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir zurückrudern müssen.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Markus Scholz
  • Eigene Recherche
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