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Deutsche Firma will mit Kohle das Klima retten: "Politik muss Dampf machen"


Schwarzes Gold fürs Klima
Mit Kohle an die Weltmarktspitze


Aktualisiert am 10.04.2023Lesedauer: 7 Min.
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Mit Kohle für das Klima kämpfen? Was nach einem Gegensatz klingt, machen die Anlagen des Maschinenbauers Pyreg aus Dörth möglich.Vergrößern des Bildes
Mit Kohle für das Klima kämpfen? Was nach einem Gegensatz klingt, machen die Anlagen des Maschinenbauers Pyreg möglich. (Quelle: Ina Fassbender/ AFP)

Kohle ist als Klimakiller verschrien. Eine deutsche Firma will mit dem schwarzen Gold dennoch reich werden – und gleichzeitig den Planeten retten.

Sie sind Weltmarktführer, doch sitzen dort, wo es sich für den deutschen Mittelstand gehört: auf dem Land. Von Dörth aus, einem 500-Seelen-Dorf zwischen Rhein und Mosel, hat die Firma Pyreg ihren Namen in die Vorstandszimmer internationaler Konzerne katapultiert.

Denn was die Anlagenbauer im Schatten der A61 zusammenschweißen, verspricht nicht nur Geld, sondern auch ein gutes Gewissen – Pyregs Maschinen sollen helfen, die Klimakrise zu lösen. "Die Situation, die sich da draußen zusammenbraut, schiebt unser Business massiv an", sagt Geschäftsführer Jörg zu Dohna und bittet in die Montagehalle, in der Pyregs neuestes Modell Gestalt annimmt.

Die PX1500 ist ein Koloss aus dunklen Metallträgern, in dessen Mitte Aluminiumröhren glänzen. Das Gerät in Größe einer Doppelgarage soll helfen, die Erderhitzung in den Griff zu bekommen: Aus Abfällen macht es CO2-speichernde Kohle – pro Jahr so viel, dass die Anlage es in Sachen Klimaschutz mit 144.000 Bäumen aufnehmen kann. Deutscher Maschinenbau von heute für morgen.

Zwischen den Monteuren in der Werkhalle wirkt der Geschäftsführer etwas deplatziert: glattrasiert, mit gegelten Haaren und hellblauem Nadelstreifenhemd würde man ihn eher in der Frankfurter City erwarten. Einst Forstwirt und Verwalter bei der Treuhand, wechselte zu Dohna für viele Jahre in die Investmentbranche, dann in die Autoindustrie. Erst recht spät orientierte er sich um.

"Ich wollte unbedingt etwas machen, das CO2 spart. Das ist mir auch deshalb wichtig, weil ich vier Kinder habe. Die müssen ja in der Zukunft leben, die wir heute gestalten", sagt er. Über eine Empfehlung landete er als Geschäftsführer bei Pyreg, das bis dahin unternehmerisch eher langsam vorangekommen war.

Dabei ist das Prinzip der Anlagen simpel: Abfälle werden in der Abwesenheit von Sauerstoff auf bis zu 1.000 Grad Celsius erhitzt, um sie zu Kohle zu verglühen. Die klimaschädlichen Gase, die in der regulären Müllverbrennung oder beim Verrotten auf einer Deponie in die Atmosphäre gelangt wären, werden in der Kohle eingeschlossen.

Eine Tonne davon bindet knapp drei Tonnen CO2 und lässt sich vielseitig weiterverwenden: Als Baustoff, zum Verfüttern, als Dünger oder in der Stahlproduktion. Es gilt: Je wertiger der Abfall, desto mehr ist möglich.

Je besser der Abfall, desto besser die Kohle

Während sich aus Autoreifen oder Lackresten immerhin noch Rohstoffkohle machen lässt, die in Baustoffen wie Asphalt verwendet werden kann, wird aus organischem Müll eine Art Allzweckwaffe: Biokohle. Der geläufigste Name für das Material ist jedoch Englisch: "Biochar".

Aus Klärschlamm oder Gülle wird Biokohle zum Düngen, die Böden fruchtbarer und dürreresistenter machen soll. Denn: Die großporige Struktur der Kohle kann besonders viel Wasser und Nährstoffe binden.

Gibt man beispielsweise Obstkerne, Nussschalen, Getreideabfälle oder Biertreber in Pyregs Anlagen, wird daraus Futterkohle. Ins Futter von Nutztieren gemischt, soll sie das Immunsystem der Tiere stärken, den Methanausstoß von Rindern hemmen oder kann als Stalleinstreu für mehr Hygiene sorgen. Doch die Zeit, in der nur Bauern die Maschinen aus Dörth bestellt haben, um land- und forstwirtschaftliche Abfälle zu verkohlen, ist vorbei.

Mehr als 50 Anlagen weltweit

"Viele unserer Kunden sind jetzt Großkonzerne", sagt zu Dohna. Hinter ihm wird gerade ein Bauteil für die Reise über den Atlantik verpackt. Ein Mitarbeiter in dicken Arbeitshandschuhen schneidet Keramikwollmatten zurecht; 15 Schichten des Dämmmaterials sind nötig, damit beim Transport der Module nichts verrutscht. Erst dann geht es auf den LKW und immer häufiger per Container um die Welt.

Bestenfalls brauchen die Maschinenbauer einen Monat, bevor eine neue Anlage verladen werden kann. Beim Kunden dauert ihr Aufbau drei Tage, eine Art Fertighaus zur Biokohle-Produktion. Rund 100 Mitarbeiter sorgen inzwischen dafür, dass die Anlagen der Firma möglichst schnell an die Kunden gehen können. Die Nachfrage wachse stetig, sagt zu Dohna.

Seit er die Führung des Unternehmens Ende 2018, neun Jahre nach Gründung, übernommen hat, ist viel geschehen. Der Umsatz ist vom einstelligen in den hohen dreistelligen Millionenbereich geklettert. Mehr als 50 Anlagen sind inzwischen weltweit in Betrieb, unter anderem in Shanghai, bei Graz und in Schwaben. Zunehmend klopften auch immer mehr Großkonzerne an, sagt der Chef.

So wie die Thyssenkrupp-Tochter Rothe Erde, die Wälzlager für Windräder herstellt. Seit wenigen Monaten steht in deren Stammwerk in Lippstadt eine von Pyregs neuesten Verkohlungsanlagen und ersetzt mit ihrer Prozesswärme knapp die Hälfte der bis dato fossilen Wärmeversorgung. Die Biokohle selbst verkauft die Firma weiter. Doch auch für die Kohlekrümel sieht Jörg zu Dohna eine Rolle im Universum von Thyssenkrupp: Er hat die Stahlindustrie ins Visier genommen.

Geht es nach zu Dohna, soll Biokohle aus Pyregs Anlagen demnächst den CO2-intensiven Koks ersetzen, der beim Kochen von Stahl im Hochofen benötigt wird. Auch Zigarettenhersteller wollten die Maschinen für ihre Produktion, sagt der Geschäftsführer. Immerhin dem Klima sollen die Kippen nicht mehr schaden.

Welche bekannten Namen schon in Dörth angerufen haben, will er nicht preisgeben. Unter den Firmen, die er jedoch habe abwimmeln müssen, sind einige berühmte Schwergewichte: Meta (früher: Facebook) und Microsoft hätten sich ebenso gemeldet, wie die Onlinedienstleister Shopify und Stripe. Was sie von Pyreg wollten, hat zu Dohna jedoch nicht im Angebot. Statt auf Maschinen oder Biokohle als Endprodukt, hätten diese Unternehmen es ausschließlich auf das Sahnehäubchen des Verfahrens abgesehen: CO2-Gutschriften.

CO2-Gutschriften zu Geld machen

Seit 2019 kann jeder, der Pyregs Maschinen betreibt, zusätzlich die dadurch eingespeicherten Treibhausgase als eine Art Verschmutzungszertifikat verkaufen. Besonders beliebt sind diese bei Unternehmen, die ihre Emissionen nicht ausreichend herunterfahren, um selbstgesetzte oder gesetzliche Klimaziele zu erreichen.

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Mit den sogenannten "Carbon Credits" lässt sich die eigene Klimabilanz schönrechnen.

Der Druck, sich solche Klima-Ablassbriefe zu besorgen, steigt besonders in der Tech-Branche. Die Serverparks des Sektors stießen jährlich zuletzt so viele Treibhausgase aus wie der internationale Flugverkehr – laut UN-Daten zwischen 2 und 3 Prozent aller Emissionen weltweit. Auf entsprechenden Börsen bekommen die Erzeuger der Lizenzen aktuell rund 120 Euro pro Tonne eingespartes CO2.

Pyreg-Chef zu Dohna sagt: "Sinnvoller wäre ein Preis um die 250 bis 300 Euro." Mit Blick aufs Klima hat er sicherlich recht – je teurer es für Konzerne wird, weiter große Mengen CO2 auszustoßen, desto größer der Anreiz, auf klimaschonende Brennstoffe und Verfahren umzusteigen. Was zu Dohna aber auch meinen dürfte: je höher die mögliche Rendite, die sich mit dem Verkauf von CO2-Lizenzen erwirtschaften lässt, desto beliebter seine Anlagen.

Dass es mit deren Absatz ohnehin bergauf geht, liegt auch an der Finanzindustrie. Hier werden aktuell die Daumenschrauben angezogen: In Europa wie in Nordamerika müssen Unternehmen zunehmend detailliert Rechenschaft über ihren Klima-Fußabdruck ablegen, es gibt ein EU-Siegel für nachhaltige Investitionen, Firmen ohne Klimaschutzziele gelten immer häufiger als finanzielles Risiko. Seit neuestem müssen Bankberater in Deutschland auch Kleinanleger über grüne Aktienoptionen informieren.

Verzweifeln an der deutschen Bürokratie

Aus dem Druck der Straße für mehr Klimaschutz wird der Druck des Geldes. Zu Dohna weiß das zu nutzen. Um interessierten Großkonzernen in Zukunft noch leistungsstärkere Anlagen bieten zu können, tüftelt Pyreg aktuell an der PX6000. Kostenpunkt für Käufer: Rund 6 Millionen Euro. Dafür soll die Maschine viermal so viel können wie die jüngste Generation der Karbonisierungsanlagen. Verantwortlich für die Weiterentwicklung ist Pyreg-Gründer Helmut Gerber.

"Helmut ist der Daniel Düsentrieb des gesamten Marktes", sagt zu Dohna über seinen Geschäftspartner, der sich im Gegensatz zu ihm eher im Hintergrund bewegt. Er war es, der das patentierte Verkohlungsverfahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Bingen mit erfand und sich damit 2009 selbstständig machte. Wie schwierig es werden sollte, die Technik ausgerechnet in Deutschland zu etablieren, dürfte er damals kaum geahnt haben.

So dürfen Landwirte in Deutschland ihre Felder zwar mit Klärschlamm düngen, der häufig mit giftigen Chemikalien belastet ist (t-online berichtete). Für den schadstoffbereinigten Kohledünger, den Pyreg aus Klärschlamm herstellt, gibt es bisher hingegen keine Zulassung.

"Dänemark hat unseren Phosphordünger längst genehmigt, Tschechien und Schweden auch. Die Behörden in Stockholm haben dafür gerade einmal sechs Wochen gebraucht", sagt zu Dohna, "und hier hängen wir jetzt das achte Jahr im Zulassungsverfahren." Er spricht laut, um das Rauschen der Testanlage auf dem Werkhof zu übertönen, die wie ein überdimensionierter Staubsauger klingt. Aktuell testet die Firma hier, wie ergiebig sich Walnussschalen verkohlen lassen.

Ein Sack Schalenkrümel rauscht in den Trichter der Testanlage, von dem aus es in den Schlund der Brennkammer geht. Eine Etage tiefer fällt die fertige Pflanzenkohle in aufgespannte Säcke. "Die meisten Neukunden kommen inzwischen aus Amerika", sagt zu Dohna. "Klein wie groß."

„Das ist der einzige Grund, wieso wir noch hier sind"

Ginge es einzig ums Geschäft, läge Pyregs Unternehmenszentrale womöglich längst in den USA statt in Dörth, wo zu Donah nun an einem langen Tisch in einem Konferenzzimmer Platz nimmt. "Wir leben gerne in Deutschland", sagt er, "aber das ist der einzige Grund, wieso wir noch hier sind". Damit der Standort für innovative Klimatechnologien eine Zukunft habe, müsse die Politik dringend Dampf machen.

"Deutschland muss einfach schneller werden, zügiger entscheiden und gezielter fördern – in den USA läuft das längst so", sagt zu Dohna. Die Hoffnung in die Bundesregierung habe er zwar noch nicht aufgegeben, "aber Herr Özdemir und Herr Habeck werden es schwer haben, diese träge deutsche Verwaltung zu reformieren". Es brauche ein komplett neues Denken in den Genehmigungsbehörden.

Seit knapp einem Jahr sitzt immerhin die erste Tochtergesellschaft der Firma in Maine, dem Herzen der US-amerikanischen Holzindustrie. Die verkohlt Rohstoffreste aus ihren Sägewerken jetzt in Anlagen aus dem Dörther Werk zu Wärme und Geld.

"Unsere Investoren sind sehr froh, dass wir die nächsten Schritte in den USA machen. Die Klimaziele für Deutschland sind seit Jahren so klar, doch ist der Weg dorthin weiterhin offen. In Amerika gibt es Programme – hier gibt es nur Debatten. Das ist kaum noch zu ertragen", sagt zu Dohna und beißt in ein Schinkenbrötchen mit Essiggurke. Er hält derweil weiterhin auf dem Hunsrück die Stellung. Noch.

Verwendete Quellen
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