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Brasilien: Wie schlimm sind die Waldbrände im Amazonas wirklich?


Regenwald in Flammen
Droht der Erde der Sauerstoff auszugehen?

Von Jonas Schaible

Aktualisiert am 27.08.2019Lesedauer: 5 Min.
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Ein Lastwagen fährt durch ein brandgerodetes Stück des Amazonas-Regenwalds: Viele der Brände in Brasilien wurden gelegt, um Flächen für die Landwirtschaft abzuholzen.Vergrößern des Bildes
Ein Lastwagen fährt durch ein brandgerodetes Stück des Amazonas-Regenwalds: Viele der Brände in Brasilien wurden gelegt, um Flächen für die Landwirtschaft abzuholzen. (Quelle: Bruno Kelly/reuters)

Im Amazonas lodern Tausende Feuer. Warum? Und droht die Erde zu ersticken? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Berichterstattung über die Waldbrände im südamerikanischen Amazonas, vor allem in Brasilien, hat aktuell die dritte Phase erreicht: In der ersten Phase berichteten internationale Medien nicht oder fast nicht. Diese Phase dauerte sehr lang an und hielt bis vor wenigen Wochen.

Dann begann Phase zwei, eine Phase des Entsetzens, als in sozialen Medien unter dem Hashtag #PrayForAmazonia Fotos von Bränden geteilt wurden. In der Folge befasste sich sogar der G7-Gipfel in Frankreich damit.

Allerdings, und das leitete Phase drei ein, fiel irgendwann auf, dass einige der viel geteilten Videos gar keine aktuellen Feuer aus dem Amazonasbecken zeigen, dass nicht alles, was brennt, auch wirklich Regenwald ist und dass Brasilien in den vergangenen Jahren das Tempo der Abholzung stark gedrosselt hat. In der dritten Phase dominierte der Eindruck, alles sei doch nicht so schlimm.

Aber was stimmt jetzt? Was ist bekannt über die Brände, welche Folgen könnten sie haben? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum brennt es im Amazonas?

Die Antwort ist sehr einfach: weil Menschen absichtlich Feuer legen. In der Regel Farmer, auch Kleinbauern. Von allein brennt es im Amazonas üblicherweise nicht. Gezielte Feuer können mehrere Gründe haben:

Entweder wurden Bäume gefällt und die Reste werden dann angezündet, um eine freie Fläche zu schaffen. Solche Feuer reduzieren die Waldfläche, sie dienen der Neugewinnung von Agrarland, meist für Sojafarmen oder Rinderzucht.

Oft werden aber auch ohnehin schon gerodete Flächen angezündet: um Pflanzen, die sich in der Regenzeit ausgebreitet haben, zu zerstören, um Ungeziefer zu vernichten, um durch die Asche eine Art Dünger zu bekommen. Solche Feuer zerstören den noch intakten Regenwald erst einmal nicht.

Allerdings besteht immer die Gefahr, dass sich Feuer in dem noch unberührten Wald ausbreiten – und das Risiko ist umso größer, je trockener es ist. Auch für diese Feuer gibt es Anzeichen.

Wie außergewöhnlich sind die Brände dieses Jahr?

Satelliten registrieren überdurchschnittlich viele Brände: bis zu diesem Tag rund 75.000, oder rund sieben Prozent mehr als im Schnitt der Jahre 2010 bis 2019 bis zum selben Zeitpunkt, schreibt das "Earth Innovation Institute". Die "New York Times" schreibt unter Berufung auf das brasilianische Nationale Institut für Weltraumforschung (INPE) von 35 Prozent mehr Feuern verglichen mit dem Mittel der Jahre 2011 bis 2018. (Es kursiert auch die Zahl, es gebe rund 80 Prozent mehr Brände als im Vorjahreszeitraum: Das stimmt, aber 2018 gab es auch sehr wenige Feuer.)

Am Klima liegt es nicht: Es ist in diesem Jahr nicht außergewöhnlich trocken. Die Brände sind keine Folge der Erderhitzung – sie können sie aber beschleunigen.

Es fehlen wirklich gute Vergleichszahlen dafür, wie viel Fläche in Flammen steht – ein Feuer kann ja unterschiedlich große Flächen beschädigen.

Die üblicherweise feuerreichsten Monate kommen übrigens erst noch, weil jetzt die Zeit beginnt, in der Bauern und Farmer Soja und Mais ausbringen. Der August ist üblicherweise der erste Monat mit vielen Feuern. So geht es bis inklusive Dezember weiter.

Was steht in Flammen: Regenwald oder Ackerland?

Ein Großteil der Feuer befindet sich wie immer auf Agrarland (das früher einmal Regenwald war), betrifft also keinen noch intakten Wald. Offensichtlich produzieren die Feuer in diesem Jahr aber auffällig viel Rauch, der sogar den Himmel in São Paulo an der Küste verdunkelte. Das deutet darauf hin, dass in größerer Zahl als sonst gefällte Bäume verbrennen und nicht nur bereits gerodetes Ackerland. Es geht also wirklich Regenwald verloren.

Nach Angaben des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus wurde bisher so viel CO2 freigesetzt wie zuletzt 2010 – was ebenfalls für eine sehr große verbrannte Waldfläche spricht.

Wie schnell geht der Regenwald verloren?

Kurz gesagt: lange Zeit extrem schnell, dann eine Weile weniger schnell, aktuell wieder deutlich schneller. Bis zum Jahr 2004 wurde in der Tendenz ständig mehr abgeholzt (und dann meist abgebrannt), unter den sozialdemokatischen Regierungen sank die jährliche gerodete Fläche bis 2012 auf etwa ein Fünftel – allerdings ist das immer noch eine Fläche von rund 100 Kilometern Länge und 50 Kilometern Breite pro Jahr, also etwa fünfmal so groß wie Berlin oder zweimal so groß wie das Saarland. Seitdem hat sich der Waldverlust wieder beschleunigt.

Kann man Brände im Regenwald stoppen?

Ja, sogar relativ leicht, sofern der Wald, der brennt, noch einigermaßen intakt ist. Dann nämlich brennen im Regelfall nur totes Holz und gefallene Blätter auf dem Boden, die Flammen reichen meist keinen halben Meter hoch und breiten sich auch sehr langsam aus. Solche Brände kann man durch relativ kleine Brandschneisen aufhalten. In einigen Gegenden Brasiliens gibt es schnelle Eingreiftruppen der Feuerwehr. Die sind aber auf die Mitarbeit der lokalen Bevölkerung angewiesen.

Allerdings hat der neue brasilianische Präsident Jair Bolsonaro schon im Wahlkampf offen dafür geworben, mehr Regenwald abzuholzen, um die Flächen wirtschaftlich zu nutzen. Seitdem scheinen sich mehr Farmer ermuntert zu fühlen, selbst mit Feuer zu roden.

Kann sich der Wald von den Bränden erholen?

Schlecht, denn anders als andere Wälder sind die tropischen Regenwälder in Südamerika nicht an Feuer angepasst. In einem intakten Regenwald breiten sich Feuer zwar meistens nur in Bodennähe aus, sie beschädigen dabei aber auch die großen Bäume. Wenn die Bäume dann in den Folgejahren sterben, steigt die Gefahr von künftigen Bränden.

Über Jahrzehnte kann sich der Wald trotzdem weitgehend erholen. Es sind aber die alten, dicken, großen Bäume, die besonders viel Kohlenstoff binden und damit CO2 aus der Atmosphäre halten. Nach einem Brand speichert ein Wald Experten zufolge rund 25 Prozent weniger Kohlenstoff, sogar noch nach Jahrzehnten. Und bietet auch weniger Tieren Lebensraum.

Könnte der Amazonas-Regenwald sterben?

In näherer Zukunft wahrscheinlich ja. Denn es besteht die Gefahr eines Teufelkreises, die Wissenschaftler nicht exakt, aber in etwa angeben können: das Risiko, dass sich die Zerstörung des Amazonas-Regenwalds irgendwann nicht mehr aufhalten lässt. Der Wald produziert durch Verdunstung von sehr viel Wasser aus den Blättern seinen eigenen Regenkreislauf. Geht Wald verloren, wird es trockener. Geht zu viel Wald verloren, vermuten Forscher, bricht dieses System irgendwann ganz zusammen. Der Wald stirbt dann ab.

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Wo genau diese Grenze liegt, ist unklar, aber Modellen zufolge dürfte sie etwa erreicht sein, wenn 30 bis 40 Prozent der ursprünglichen Waldfläche gerodet sind. Möglicherweise etwas später, möglicherweise aber auch schon früher. Aktuell sind schon etwa 20 Prozent verschwunden.

Brennt es nur in Brasilien?

Nein, es brennt regelmäßig in den anderen Staaten, die einen Anteil am Amazonas-Regenwald haben, wie Peru, Brasilien oder Bolivien. Auch zurzeit, denn in Bolivien brennt der hochgefährdete tropische Trockenwald in außergewöhnlichem Maß. Außerdem brennt es aktuell in der Arktis und im tropischen Regenwald Zentralafrikas, dort aus ähnlichen Gründen wie im Amazonas.

Droht der Erde der Sauerstoff auszugehen?

Der Amazonas wird gern als "grüne Lunge" der Erde bezeichnet und es gibt die Befürchtung, dass der Welt der Sauerstoff ausgeht, wenn er leidet. Wissenschaftlern zufolge ist das Bild schief, weil der Großteil des Sauerstoffes von Algen produziert wird und der Anteil des Amazonas nicht bei 20 Prozent, sondern wohl unter 10 Prozent liegt. Und weil der Wald einen großen Teil selbst wieder verbraucht. Die Folgen durch eine Änderung des Klimas, wenn der Amazonas durch die Feuer von einem Kohlenstoffspeicher zu einer Quelle von CO2 wird, der Verlust von unzähligen Tier- und Pflanzenarten, von Lebensraum sehr vieler Menschen wären katastrophaler als die geringere Sauerstoffproduktion.

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