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Abstieg ins Totenreich - Die Mumien von Palermo


Italien
Abstieg ins Totenreich - Die Mumien von Palermo

dpa-tmn, Christoph Driessen, dpa-tmn

21.10.2011Lesedauer: 4 Min.
Die Mumien in Palermo sind nichts für schwache Nerven.Vergrößern des BildesDie Mumien in Palermo sind nichts für schwache Nerven. (Quelle: imago-images-bilder)
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Wer sich mal wirklich gruseln will, sollte nach Sizilien fliegen: Dort empfangen ihn in der weit verzweigten Gruft des Kapuzinerklosters von Palermo 2000 Mumien aus über 400 Jahren. Nichts für Schreckhafte. Schauen Sie sich die Gruft auch in unserer Foto-Show an.

Die größte Mumiensammlung Europas

Der Weg zur größten Mumiensammlung Europas führt durch ein Stadttor, das aussieht wie eine steingewordene Warnung. Von der 500 Jahre alten Porta Nuova starren riesenhaften Maurenfiguren wie Aladins Lampengeist unheilverkündend auf den Fußgänger herab. Diese Stelle markiert das Ende der Altstadt Palermos und des Schutzreservats für Touristen, das sich in Ampeln, Hinweisschildern und einer gewissen Nachsicht manifestiert.

Der Verkehr teilt sich wie was Rote Meer

Die mehrspurigen Straßen hinter dem Tor lassen sich nur auf italienische Art überqueren: Einfach zügig drüberlaufen. Dann teilt sich der Verkehr wie das Rote Meer für die Israeliten. Doch wehe dem, der auch nur einen Augenblick innehält! Das Zögern wird sofort als Zeichen der Schwäche gedeutet, und der Bann ist gebrochen. Nein, man muss sein Leben vertrauensvoll in die Hände seiner Mitmenschen legen. So stimmt man sich bereits auf die metaphysischen Fragen ein, die zwangsläufig mit einem Ausflug ins Totenreich verbunden sind.

Nur Durchfragen hilft

Hinweisschilder gibt es, wie gesagt, nicht. Man frage unterwegs einen aus dem Fenster lehnenden Einheimischen, er wird dann mit der Hand nach Westen deuten. Dort, ein ganzes Stück vor den Toren der Stadt, errichteten die Kapuziner im Jahre 1534 ihr Kloster. Der ockerfarbene Bau wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Doch er hat es in sich. "Ingresso Catacombe" steht über dem Eingang, dahinter sitzt noch ein einziger lebender Mensch, der den Eintritt kassiert. Dann kommen nur noch Tote.

Die Toten stehen Spalier

Trapp-trapp geht es abwärts. Eine Biegung, ein Durchgang - und es öffnet sich der Blick auf die Toten. Nicht schonend aufgebahrt oder gar in Särgen verstaut, sondern aufrecht Spalier stehend wie in einer Geisterarmee. Insgesamt sollen es nahezu 2000 Verblichene sein. Die meisten tragen noch ihre Kleidung: schwarze Anzüge, Rüschenkleider, Kutten und Uniformen, durchlöchert und zerfressen.

Verschiedene Stadien der Verwesung

Das wirklich Verstörende ist: Die Toten befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Auf manchem Kragen sitzt nur noch ein nackter Schädel mit gebleckten Zähnen, kurz aufgeworfener Nase und schwarzen Augenhöhlen. Über anderen Köpfen spannt sich faltig-braune Lederhaut, umrahmt von ein paar Büscheln schwarzen Haars. Aufgrund besonderer klimatischer Bedingungen - ständiger Luftzug und Wände aus Tuffstein, die Feuchtigkeit absorbieren - verfaulen die Toten weniger als dass sie vertrocknen.

Tote an Wänden ausgestellt

Die Kapuziner entdeckten diesen Effekt 1599. Aus diesem Jahr stammt die älteste Mumie des Bruders Silvestro da Gubbio. Schon damals begannen die Mönche damit, ihre Toten an der Wand auszustellen - als Mahnung für die Lebenden: "Was wir sind, werdet ihr sein, was ihr seid, sind wir gewesen." Doch nach einiger Zeit fanden auch reiche Palermitaner Gefallen daran, ihre Liebsten über das Ende hinaus besuchen zu können.

Jeder Tote hat seinen festen Platz

Bald war der Andrang so groß, dass die Kapuziner das Gängesystem erweiterten und die Toten in der sogenannten Trockenkammer etwa acht bis zehn Monate zunächst gut abhängen ließen, bis sie ihnen einen festen Standplatz zuwiesen, hübsch geordnet nach Männern und Frauen, Priestern und Lehrern. Der Tod macht hier nicht alle gleich, er schreibt die irdischen Verhältnisse fort.

Totenkult verboten

Im 19. Jahrhundert wurde der Totenkult verboten, doch danach ging es - dies ist Italien - noch ein paar Jahrzehnte weiter. Die größte Attraktion ist heute der Körper der kleinen Rosalia Lombardo, die 1920 von der Spanischen Grippe dahingerafft wurde. Der Vater der Zweijährigen, General Mario Lombardo, war untröstlich. Und da er ein Mann von einigem Einfluss war, beauftragte er den berühmten Einbalsamierer Alfredo Salafia damit, seine Tochter wenigstens äußerlich zu erhalten.

Die schönste Mumie der Welt

Der Chemiker schuf mit Rosalia sein Meisterwerk: die "schönste Mumie der Welt". Man ist versucht, das bildschöne Mädchen mit der rosa Schleife im Haar aus seinem Glassarg zu nehmen und all den grässlichen Knochenmännern zu entreißen. Die Mixtur, die Signore Salafia zum Konservieren benutzte, hielt er übrigens so gut geheim, dass sie erst im Jahre 2009 in seinem Nachlass entdeckt wurde.

Ganz allein mit den Toten

Wenn man die Katakomben an einem Vormittag unter der Woche besucht, kann es sein, dass man mit den Toten ganz allein ist. Nur manchmal dringen dann durch einen Luftschacht leise Geräusche aus der Welt der Lebenden in die Tiefe. Den meisten Toten ist die Kinnlade heruntersackt, und so hat es den Anschein, als würden sie schreien - nur der Ton ist abgedreht. Je nach Veranlagung mag man das beklemmend oder bizarr finden. Nachmittags, wenn die Besucher zahlreicher werden und der eine oder andere Macho ungerührt auf seinem Handy telefoniert, schlägt die Atmosphäre ins Makabere um. Fotografieren ist verboten, aber daran halten sich die wenigsten. Gitter sollen verhindern, dass man mit den Gebeinen posiert oder ihnen am Rock zieht.

Ist diese Ausstellung anstößig?

Hinweisschilder wie "Babygirl - Bambina" mit Pfeil nach rechts verstärken das Schaulustig-Indiskrete dieses Ortes. Ist es nicht anstößig, Menschen im Tode so auszustellen? Oder fehlt uns nur die Unbefangenheit, die für frühere Generationen im Umgang mit den Toten noch kennzeichnend war? Bis heute haben viele Sizilianer Fotografien ihrer verstorbenen Eltern und Großeltern über dem Ehebett hängen. Der durchschnittliche Mitteleuropäer erträgt es nicht lange, dem Tod ins Gesicht zu schauen. Spätestens nach einer halben Stunde flieht er nach oben - zurück an die Luft, ans Licht und ins Leben. Da klingt das Hupen plötzlich wie Musik in den Ohren.

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