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Energiekrise: "Für die Lösung der Gaskrise brauchen wir Nord Stream 2 nicht"


Explodierende Preise
"Für die Lösung der Gaskrise brauchen wir Nord Stream 2 nicht"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

19.10.2021Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Ein Mitarbeiter kontrolliert eine Anlage am Ausgangspunkt der Megapipeline Nord Stream 2 in Sibirien (Symbolbild): Ob und wann die kontroverse Erdgas-Pipeline in Betrieb geht, steht noch nicht fest.Vergrößern des Bildes
Ein Mitarbeiter kontrolliert eine Anlage am Ausgangspunkt der Megapipeline Nord Stream 2 in Sibirien (Symbolbild): Ob und wann die kontroverse Erdgas-Pipeline in Betrieb geht, steht noch nicht fest. (Quelle: imago-images-bilder)

Der Gaspreis kennt kein Erbarmen. Im Interview erklärt Energieökonom Andreas Löschel, wie das teure Erdgas die Energiewende ausbremsen könnte.

Der Winter naht und mit ihm hohe Energiekosten. Seit Jahren hat Erdgas nicht mehr so viel gekostet wie in diesen Wochen. Noch trifft das vor allem die Industrie. Doch Vergleichsportale wie "Check24" und "Verivox" warnen bereits davor, dass eine Gaspreiswelle auch auf private Haushalte zurollt.

Das könnte zum Problem für eines der wichtigsten Großprojekte des Jahrhunderts werden. Im Interview spricht Energieökonom Andreas Löschel darüber, wie gefährlich die steigenden Gaspreise für die Energiewende sind und wieso Preisbremsen dabei nicht helfen.

t-online: Herr Löschel, angesichts explodierender Gaspreise diskutieren wir bereits darüber, dass einige Wohnungen diesen Winter kalt bleiben könnten. Wäre das anders, wenn wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien weiter wären?

Andreas Löschel: Klar wäre es gut, wenn schon deutlich mehr Häuser zum Beispiel über Wärmepumpen mit Ökostrom geheizt würden. Das hätte die aktuelle Situation sicher etwas aufgefangen. Aber die hohen Gaspreise gäbe es trotzdem. Dafür sind zu viele kritische Auslöser zusammengekommen.

(Quelle: imago-images-bilder)


Andreas Löschel hat bereits die Europäische Kommission, das Europäische Parlament sowie Bundes- und Landesministerien zu Fragen der Umweltökonomik beraten und ist Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess "Energie der Zukunft" der Bundesregierung. Er ist Professor für Umwelt-/ Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum und verbringt das akademische Jahr 2021/22 als Senior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald.

Viele Verbraucher werden die steigenden Preise vor allem ab 2022 spüren. Dann steht auch der nächste Klimaaufschlag an – im Januar soll der CO2-Preis steigen. Wie groß ist die Gefahr, dass solche Klimaschutzmaßnahmen ausgesetzt werden, um die Energiepreise zu senken?

Das aktuelle Risiko für die Energiewende ist sehr groß. Kurzfristiger Aktionismus gegen die hohen Preise würde uns beim Klimaschutz ausbremsen. Die CO2-Bepreisung ist wirtschaftlich das wichtigste Instrument, um die Emissionen runter zu bekommen. Auch bei der Umsetzung des Klimapaketes der EU, dem Green Deal, fürchte ich Rückzieher. Wir dürfen uns von dieser Krise aber nicht kurzfristig beeinflussen lassen, sondern müssen Steuer halten in der Klimapolitik.

In Frankreich, Spanien und einigen anderen Ländern sollen Preisbremsen für Strom und Gas kommen. Ist das die bessere Lösung?

Nein, absolut nicht. Letztlich signalisiert der hohe Preis nur, dass das Gas gerade knapp ist. Geht man jetzt hin und hebelt den Markt aus, verschlimmert sich die Knappheit, weil die teuren Gaskraftwerke dann gar nicht mehr produzieren. Und man tut mit solchen Preisdeckeln auch der Energiewende einen Bärendienst.

Warum?

Jetzt sind Energiepreise überraschend, zu schnell und zu stark gestiegen. Prinzipiell sind höhere Energiepreise aber wichtig. Sie geben einen Anreiz für Verbraucher und Unternehmen, energiesparend zu leben und zu produzieren.

Für viele Menschen geht es aber um die grundsätzliche Frage, "Wie bekomme ich die Wohnung noch warm?" Spielt die soziale Frage beim Klimaschutz eine untergeordnete Rolle?

Auf keinen Fall. Ich kann absolut nachvollziehen, dass zahlreiche Regierungen humane Energiepreise garantieren wollen. Vor allem dort, wo Energiearmut ein viel größeres Problem ist als in Deutschland. Niemand soll frieren müssen, weil das Geld zum Heizen fehlt. Aber dafür sollten wir nicht in den Markt eingreifen.

Sondern?

Es muss jetzt schnell finanzielle Unterstützung geben, damit einkommensschwache Haushalte den steigenden Gaspreisen nicht völlig ausgeliefert sind. Das gilt für die Heizkosten genauso wie für die Stromrechnung – die wird mit höheren Gaspreisen ebenfalls steigen.

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Wie sehr werden Verbraucher bei den Stromkosten entlastet, wenn ab Januar die EEG-Umlage stark sinkt?

Es wird einen deutlichen Unterschied für die Endverbraucher machen, wenn es im neuen Jahr pro Kilowattstunde nur noch rund 3,7 Cent statt 6,5 Cent Aufschlag gibt. Trotzdem reicht das nicht. Erneuerbarer Strom muss günstig werden und da stört die EEG-Umlage ebenso wie die Stromsteuer.

Was schlagen Sie vor?

In der jetzigen Phase der Energiewende sollten die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung den Ausbau der Erneuerbaren finanzieren – nicht die Bürger und der Mittelstand über den Strompreis. Ließe man die EEG-Umlage wegfallen, dürfte das die erhöhten Stromkosten in Folge der Gaskrise praktisch komplett auffangen.

Die Gasknappheit trifft auch die Gasindustrie selbst. Jahrelang wurde Gas als verlässlicher Brückenbrennstoff für die Energiewende beworben. Bröckelt dieses Versprechen gerade?

Viele Experten sind davon ausgegangen, dass Gas in beliebiger Menge günstig vorhanden ist. So war das auch lange Zeit. Jetzt gibt es aber eine reale Knappheit. Einerseits, weil das ganze amerikanische Flüssiggas wegen höherer Preise nach Asien geht. Dazu kommt, dass Russland den Gashahn nicht weiter aufdrehen will, um uns auszuhelfen. Es gibt aber auch Indizien, dass es interne Produktionsprobleme des staatlichen russischen Gaskonzerns Gazprom gibt. Eine Garantie für massenhaft günstiges Gas gibt es eben nicht.

Was ist die Konsequenz?

Wenn wir das Ziel Klimaneutralität ernst nehmen, müssen wir so schnell wie möglich von allen fossilen Brennstoffen wegkommen. Es wäre gut, wenn sich das durch die Gaskrise noch viel stärker im allgemeinen Bewusstsein verankert.

Dabei geht die gestiegene Nachfrage nach Gas unter anderem auf die unerwartet schwache Windausbeute dieses Jahr zurück. Wie soll eine sichere Energieversorgung ganz ohne Erdgas funktionieren?

Ich sage überhaupt nicht, dass wir sofort alle Gaskraftwerke stilllegen sollten. Im Gegenteil: Als Rückfalloption werden wir noch länger auf Erdgas oder später grünes Gas angewiesen sein. Aber nur, um punktuell eine hohe Stromnachfrage aufzufangen, wenn Erneuerbare wenig Strom produzieren. Sprich: wenige Stunden zu bestimmten Zeiten, nichts im großen Umfang. Was wir aus der jetzigen Situation auch lernen müssen, ist, dass wir unsere Gasspeicher besser managen müssen. Aber fossiles Erdgas aus dem Ausland wird perspektivisch immer unwichtiger werden. Da helfen auch keine neuen Pipelines.

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Haben Sie diesen Rat auch der Bundesregierung gegeben? Die hat sich bis zuletzt für das kontroverse Großprojekt Nord Stream 2 eingesetzt. Die Megapipeline steckt jetzt im Genehmigungsverfahren.

Da überlagern sich die wirtschaftliche Perspektive und die politische Situation. Ich sage mal so: Für die Lösung der aktuellen Gaskrise brauchen wir Nord Stream 2 nicht. Es würde völlig reichen, die bestehenden Leitungen voll zu machen.

Wann sind wir mit der Energiewende in Deutschland so weit, dass wir ganz von russischen Erdgaslieferungen loskommen?

Damit Deutschland vom Erdgas wegkommt, brauchen wir mehr Erneuerbare, mehr Effizienz und genügend grünen Wasserstoff. Bis diese Technologie günstiger als fossiles Erdgas wird, sind noch mindestens zehn Jahre nötig – und dann fehlt immer noch die nötige Infrastruktur für Produktion und Transport. Sobald das aber alles steht, wird grüner Wasserstoff keine Nische mehr sein, sondern für einen wichtigen Teil des Energiesystems, etwa für die chemische Industrie oder die Stahlerzeugung, auch eine langfristige Perspektive bieten. Fossiles Gas wird dann kaum noch eine Rolle spielen.

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Für grünen Wasserstoff braucht es enorme Mengen Ökostrom, die Deutschland in dem Ausmaß gar nicht aufbringen kann. Wie sehr sind wird da auf Herstellung im Ausland angewiesen?

Da muss man erst mal mit Partnern aus der EU zusammen ausbauen, zum Beispiel die Solarenergie in Südeuropa oder Wind und Wasserkraft in Nordeuropa. Leider geschieht das noch nicht so intensiv, wie es nötig wäre. Das ist der nächste wichtige Schritt. Und dann muss man sich auch außerhalb der EU umschauen. Momentan kooperiert die Bundesregierung bei der Entwicklung grüner Wasserstoffproduktion beispielsweise mit Marokko, Namibia oder Australien.

Dann ist Russland raus, aber wir sind weiterhin von Energieimporten abhängig?

Wind und insbesondere Sonne sind viel gleichmäßiger verteilt als Öl- und Gasvorkommen. Abhängigkeiten wie bei den fossilen Brennstoffen wird es bei grünem Wasserstoff deshalb nicht in diesem Maße geben. Das ist ein großer Vorteil. Übrigens gibt es auch große Potentiale für grünen Wasserstoff in Russland.

Herr Löschel, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Interview mit Andreas Löschel
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