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Brexit: No-Deal? Neuwahlen? Verlängerung? Das sind die möglichen Szenarien


Neue Runde im Austrittspoker
Das sind die möglichen Szenarien im Brexit-Streit

Von Nathalie Rippich

Aktualisiert am 22.10.2019Lesedauer: 4 Min.
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Boris Johnson: Der britische Premierminister durfte seinen Deal kein zweites Mal zur Abstimmung bringen. Der Brexit-Poker geht weiter.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson: Der britische Premierminister durfte seinen Deal kein zweites Mal zur Abstimmung bringen. Der Brexit-Poker geht weiter. (Quelle: ap-bilder)

Eigentlich wollten sie längst draußen sein. Doch die Briten werden sich bei den Bedingungen für den Brexit immer noch nicht einig. Über Boris Johnsons Deal wird vorerst nicht erneut abgestimmt. Und nun?

"We have a deal", gab Noch-EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag bekannt. Ganz richtig ist das nicht. Denn einen tragfähigen Deal haben Großbritannien und die EU erst dann, wenn das Abkommen ratifiziert, also von allen Staaten angenommen ist. Die Regierung in London und die EU sind sich einig, doch das britische Parlament hat den Verhandlungsparteien einen Strich durch die Rechnung gemacht:

Der Parlamentssprecher John Bercow ließ am Montag eine erneute Abstimmung über das Abkommen im Unterhaus vorerst nicht zu. Damit ist der 31. Oktober als Austrittsdatum mit Deal eigentlich nicht mehr haltbar. Das Drama geht weiter.

Ab Dienstag berät das britische Unterhaus nun zunächst über ein Gesetz zur Ratifizierung des Austrittsabkommens. Dabei dürften Änderungsanträge eingebracht werden, die das Abkommen im Kern verändern würden. Dazu gehören etwa die Forderung nach einer dauerhaften Zollunion mit der EU oder auch die Vorgabe, dass der Deal den Briten in einer zweiten Volksabstimmung vorgelegt wird. Die Regierung will beides verhindern, Johnson hat bereits damit gedroht den Deal bei Änderungen komplett zurückzuziehen.

Das macht die Situation unübersichtlich. Was ist in den nächsten Tagen wirklich zu erwarten? Es gibt unterschiedliche Szenarien:

1. No-Deal-Brexit am 31. Oktober trotz "Benn Act"

Noch steht formal der 31. Oktober als Austrittsdatum fest. Rein theoretisch kann dieser Termin noch gehalten werden. Etwa dann, wenn Bercow den Deal zeitnah doch noch zur Abstimmung im Unterhaus zulässt. Seine Ablehnung beruht darauf, dass den Abgeordneten am Montagabend im Wesentlichen das vorgelegt werden sollte, worüber bereits am Samstag abgestimmt wurde. Könnten sich die Abgeordneten im Ratifizierungsprozess überraschend schnell einigen oder würde Johnson auf einem Gebiet doch noch Nachverhandlungen erreichen, könnte Bercow eine Abstimmung wieder zulassen. Wahrscheinlich ist das nicht – und die Zeit ist knapp.

Denn nicht nur das britische Unterhaus, auch das EU-Parlament muss dem Deal noch zustimmen. Es ist unklar, ob das in den wenigen verbleibenden Sitzungstagen der beiden Parlamente überhaupt noch machbar ist. Nicht ohne Grund war der 19. Oktober vom britischen Parlament als Stichtag für ein Verlängerungsersuchen der Austrittsfrist bestimmt worden. Dass ein No-Deal-Brexit eintritt, weil die Parlamente nicht rechtzeitig entscheiden, ist jedoch unwahrscheinlich, da es weder im Interesse der Europäischen Union noch der britischen Regierung oder des Parlaments ist.

2. Annahme des Deals mit Bitte um Aufschub des Austrittsdatums

Wahrscheinlicher ist, dass ein (möglicherweise leicht veränderter) Deal unter den genannten Bedingungen doch nochmal zur Abstimmung zugelassen wird. Die Abgeordneten könnten unter der Prämisse, dass der Brexit aufgeschoben wird und ein umfassendes Ratifizierungsgesetz vorliegt, zustimmen. Dafür müsste die EU eine Verlängerung der Austrittsfrist abnicken, um Zeit für diesen Vorgang zu sichern.

3. Johnson erbittet Neuwahlen, der Brexit wird erneut aufgeschoben

Ist keine Einigung möglich, könnte die Regierung um Boris Johnson das Unterhaus bitten, Neuwahlen zu unterstützen. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Auch wäre es theoretisch möglich, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das den Zeitpunkt vorgezogener Wahlen festlegt – dafür ist eine einfache Mehrheit nötig. Eine Verschiebung der Austrittsfrist wäre hierfür wichtig.

4. Neuwahlen durch Misstrauensvotum unter Aufschub des EU-Austritts

Außerdem kann es zu Neuwahlen kommen, wenn das Parlament Johnson mehrheitlich das Misstrauen ausspricht. Danach muss binnen 14 Tagen geprüft werden, ob die aktuelle oder eine alternative Regierung ein Vertrauensvotum überstehen würde. Wenn nicht, werden Neuwahlen ausgerufen. Diese wären für die verbleibenden 27 EU-Staaten ein Grund, die Austrittsfrist zu verlängern.

5. Die EU lehnt das Ersuchen um Verlängerung der Austrittsfrist ab

Zwar regelt der "Benn Act" theoretisch von britischer Seite, dass es keinen Austritt ohne Abkommen geben darf, doch kann dieses Gesetz nicht das Verhalten der EU beeinflussen. Es gilt zwar als unwahrscheinlich, doch könnte die EU das Ersuchen um eine erneute Verschiebung des Austrittsdatums durchaus ablehnen. Stimmen nicht alle 27 Staaten für eine Verlängerung der Frist, droht ebenfalls der No-Deal-Brexit.

6. Zweites Referendum

Am 23. Juni 2016 votierte eine kleine Mehrheit der Briten (52 zu 48 Prozent) für den Austritt des Königreichs aus der Europäischen Union. Es wäre rechtlich durchaus möglich, in einem zweiten Referendum nochmals über die Zukunft Großbritanniens abstimmen zu lassen. Einige Abgeordnete wollen einen entsprechenden Antrag im Rahmen des Ratifizierungsverfahrens einbringen.

Mehrere Optionen für ein Referendum wären denkbar. So könnte das Volk erneut generell über den Brexit oder einen Verbleib in der EU abstimmen oder die Alternativen könnten zur Disposition gestellt werden. Also etwa die Frage, ob der vorliegende Deal angenommen werden sollte oder ob ein No-Deal am ehesten dem Wunsch der Bevölkerung entspricht.

Wahrscheinlich ist ein weiteres Referendum aber nicht, weil es auch dafür bisher keine Mehrheit gibt. Außerdem wäre ein zweites wie auch immer geartetes Referendum nur unter Aufschub der Frist denkbar.

7. Rücktritt vom Austritt

Eine theoretische Option ist auch der Beschluss, den Brexit abzublasen. Solange Großbritannien nicht formal ausgetreten ist, kann es den Prozess abbrechen und Mitglied der Staatengemeinschaft bleiben. Alle Verhandlungsergebnisse wären nichtig und die vorher vereinbarten EU-Regularien würden weiter gelten. Die aktuelle Regierung um Boris Johnson, der mehrfach angekündigt hatte, um jeden Preis am 31. Oktober auszutreten, dürfte das allerdings nicht in Erwägung ziehen.


Während der Verhandlungen für ein Austrittsabkommen haben sowohl das britische Parlament als auch die Regierung immer wieder zu Kniffen gegriffen, die so kaum vorhersagbar waren. Etwa Parlamentssprecher John Bercow, der im Sommer ein Gesetz von 1604 anwendete, um eine weitere Abstimmung über den Deal von Theresa May zu verhindern. Eben jenes Gesetz, das am Montag griff, als Johnson kein zweites Mal über den gleichen Deal abstimmen lassen durfte. Es wäre also wenig verwunderlich, wenn der Brexit erneut eine kaum geahnte Wendung einschlagen würde. Absehbar ist allerdings, dass der Poker um den EU-Austritt der Briten noch nicht beendet ist.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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