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Zukunftskonferenz am Europatag: Die EU startet den Versuch der Runderneuerung


Zukunftskonferenz beginnt
Die EU startet den Versuch der Runderneuerung


09.05.2021Lesedauer: 5 Min.
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Pro-europäische Demonstranten in Berlin: Wird die Zukunftskonferenz das Versprechen enger Bürgerbeteiligung am Reformprozess einlösen?Vergrößern des Bildes
Proeuropäische Demonstranten in Berlin: Wird die Zukunftskonferenz das Versprechen enger Bürgerbeteiligung am Reformprozess einlösen? (Quelle: Christian Mang/imago-images-bilder)

Die EU hört zu: Bei einer einjährigen Konferenz sollen Bürger ihre Ideen für die Zukunft der Staatenunion einbringen. Die Herausforderungen sind groß. Zugleich gibt es Kritik am Format. Ein Überblick über Themen und Ziele.

Am 9. Mai 1950 skizzierte der französische Außenminister Robert Schuman im Pariser Salon de l'Horloge die Zukunft Europas. Seine berühmt gewordene Erklärung gilt als ein Zeugungsmoment der Europäischen Union. 71 Jahre später will die EU nun einen Erneuerungsprozess beginnen – mit einer auf zwölf Monate angelegten "Konferenz zur Zukunft Europas". Am Sonntag fällt in Straßburg der Startschuss.

Anzupacken gibt es viel: Staatsschulden- und Migrationskrise, der Brexit und aktuell die Corona-Pandemie haben erheblichen Reformbedarf offenbart. Hinzu kommt ein seit langem schwelendes Vertrauens- und Akzeptanzdefizit für die Brüsseler Institutionen. Die EU will deshalb die Bürger von Beginn an eng in den Reformprozess einbinden. Doch wie verbindlich die Ergebnisse am Ende sein werden, darum gab es bis zuletzt erbitterten Streit. Wie der ausging, worüber die Konferenz sprechen wird und warum Frankreichs Präsident Macron dabei eine besondere Rolle spielt – ein Überblick.

Was will die Zukunftskonferenz?

Die Konferenz will Ideen der Bürger sammeln und mit ihnen darüber diskutieren, wie die Europäische Union in Zukunft besser funktionieren kann. Jeder kann sich einbringen und an der Diskussion teilhaben. Am Ende sollen konkrete Vorschläge entwickelt werden, wie der Staatenbund reformiert werden kann. Unklar und umstritten ist, wie weit die Änderungen gehen sollen, ob also zum Beispiel die EU-Verträge überarbeitet werden könnten.

Wie funktioniert das Ganze?

Bereits vor zwei Wochen wurde eine Onlineplattform freigeschaltet, auf der Interessierte Ideen vorstellen oder Beiträge anderer kommentieren können. Wer mitmachen will, muss sich zur Einhaltung von Regeln verpflichten. Es gibt Online- und bald auch Präsenzforen, zudem kann man selbst Veranstaltungen anmelden.

In der zweiten Jahreshälfte soll es außerdem vier große Bürgerkonferenzen geben, die in Brüssel, Straßburg, Florenz und Warschau stattfinden werden. Jeweils 235 zufällig ausgewählte Menschen können daran teilnehmen, ein Drittel von ihnen sollen junge Leute zwischen 16 und 25 Jahren sein. Jedes EU-Land ist entsprechend seiner Sitzanteile im Europaparlament vertreten. Bereits im Frühjahr 2022 sollen Vorschläge für mögliche Reformen vorliegen.

Als organisatorische Bindeglieder fungieren zum einen das Konferenzplenum sowie der Exekutivrat. Letzterer besteht aus je drei Vertretern von Kommission, Parlament und dem Rat der Mitgliedsländer. Das Plenum wiederum setzt sich aus Abgeordneten des EU-Parlaments und der nationalen Parlamente sowie aus je zwei Vertretern der EU-Mitgliedstaaten zusammen. Die erste Sitzung des Plenums ist bereits für Montag in Straßburg angesetzt.

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Welche Themen werden besprochen?

Die Onlineplattform gibt neun zentrale Themen vor. Sie reichen von Klimawandel über Gesundheit, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit, Außenpolitik bis zu demokratischer Teilhabe und Migration. Darüber hinaus können auch eigene Themen eingebracht werden.

Die EU-Institutionen haben versprochen, die Debatten nicht begrenzen zu wollen. Gleichwohl gibt es Kritik an der Themenvorgabe. Martin Schirdewan, Co-Fraktionschef der Linken im Europaparlament, äußerte in der "Süddeutschen Zeitung" die Befürchtung, dass wichtige Fragen wie soziale Ungleichheit oder Angriffe auf den Rechtsstaat verdrängt werden könnten.

Woher kam der Impuls für die Konferenz?

Einen ersten Vorstoß unternahm der französische Präsident Emmanuel Macron bereits im Herbst 2017. In seiner viel beachteten Grundsatzrede an der Pariser Universität Sorbonne entwarf er die Vision einer runderneuerten EU für das 21. Jahrhundert. Dabei schlug Macron auch eine europaweite Konferenz unter Beteiligung der Bürger vor.

Fahrt nahm die Idee mit dem Streit zwischen dem EU-Parlament und dem Rat der Mitgliedstaaten über die Besetzung der EU-Spitzenposten im Herbst 2019 auf. Hintergrund war die Wahl der damaligen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf den Chefposten der Kommission. Macron nahm die Debatte zum Anlass, seine Idee eines Konvents über die Zukunft des Staatenbundes unter Einbeziehung der EU-Institutionen, der Mitgliedstaaten und der Bürger erneut voranzutreiben. Auch um den Unmut über ihre Nominierung zu besänftigen, nahm von der Leyen die Zukunftskonferenz in ihr Regierungsprogramm auf. Start sollte im Frühjahr 2020 sein. Doch die Pandemie bremste die Konferenz für ein Jahr aus.

Was hat Macron vor?

Der französische Präsident legte bereits in seiner Sorbonne-Rede dar, dass er die EU in ihrer jetzigen Verfasstheit für zu schwach und ineffizient hält. Damit sie mit Blick auf die globalen Herausforderungen handlungsfähig bleibt, seien aus seiner Sicht tiefgreifende Reformen nötig, bei denen die Bürger von Beginn an mitgenommen werden müssten.

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Macron verfolgt mit dem Projekt gleichwohl auch eigene politische Ambitionen. Dass er darauf gedrängt hat, die Ergebnisse der Konferenz trotz des verzögerten Starts wie geplant im Frühjahr 2022 zu präsentieren, dürfte mit der Präsidentschaftswahl in Frankreich im Frühjahr 2022 zusammenhängen. Zudem hat Frankreich im ersten Halbjahr des kommenden Jahres die Ratspräsidentschaft inne. Macron dürfte deshalb versuchen, mit der Zukunftskonferenz Punkte für seine Wiederwahl zu sammeln.

Gibt es Kritik an dem Vorhaben?

Ein Dutzend EU-Staaten, darunter Österreich und die Niederlande, sehen sich nicht an die Entscheidungen der Konferenz gebunden. Eine breite Diskussion über die Reform von Entscheidungsprozessen in der EU gehöre nicht in die Debatte, weil sich daraus "rechtliche Zwänge" ergeben könnten, argumentieren die Länder in einer Erklärung. Mögliche Änderungen der EU-Verträge lehnen sie mit der Begründung ab, der Rechtsrahmen der EU biete bereits Potenziale, um drängende Herausforderungen gezielt anzugehen.

Hintergrund der Erklärung könnten Befürchtungen der Unterzeichner sein, bei wichtigen Entscheidungen in der EU künftig im Abseits zu stehen. Einige große EU-Staaten, allen voran Frankreich, wollen nämlich unter anderem in Steuer- und Haushaltsfragen das Einstimmigkeitsprinzip im Rat abschaffen. Die Gegner dieser Idee befürchten nun, mittels der Konferenz könnte dieses Vorhaben weiter forciert werden. Kommt es so weit, wäre ein Szenario wie im Frühjahr 2020 kaum noch denkbar: Damals drückten die selbsterklärten "Sparsamen Vier" – Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden – eine Reduzierung der Hilfen für Corona-Krisenstaaten durch – gegen die großen EU-Partner.

Warum gab es bis zuletzt Streit?

Ungelöst war bis zuletzt die Frage, wie am Ende mit den Ergebnissen der Konferenz umgegangen wird. Eine große Mehrheit der Mitgliedsländer, unter ihnen auch Deutschland und Frankreich, will, dass der Abschlussbericht im Exekutivausschuss abgestimmt wird. Das Europaparlament hingegen bestand darauf, dass dies im Konferenzplenum geschieht.

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Bis zuletzt schien deshalb sogar eine Absage der Konferenzeröffnung möglich. Der "Spiegel" zitierte aus einem Brief des Belgiers Guy Verhofstadt, Leiter der Delegation des EU-Parlaments, an die Fraktionen im Parlament. Angesichts der großen Differenzen zweifle er daran, schrieb Verhofstadt demnach, "dass es eine Aussicht auf eine Einigung noch vor der Eröffnungsveranstaltung gibt". Am Freitagmorgen wurde der Streit vorerst befriedet. Die Eröffnung am Sonntag findet statt.

Kann die Konferenz wirklich etwas bewegen?

Etliche Mitgliedstaaten stehen weitreichenden Reformen skeptisch gegenüber. Änderungen an den EU-Verträgen setzen außerdem einen einstimmigen Beschluss aller 27 Mitgliedsländer voraus. Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund erwartet deshalb knallharte Verhandlungen. "Die EU-Reform wird politische Schwerstarbeit", sagte Freund am Freitag zu t-online. "Die bisherige Blockadehaltung der Mitgliedstaaten gibt einen Vorgeschmack auf die kommenden Monate: Beim Vorhaben, Europa demokratischer, bürgernäher und handlungsfähiger zu machen, wird uns harter Gegenwind aus Europas Hauptstädten ins Gesicht blasen."

Das Europäische Parlament stehe erfreulich geeint für eine arbeitsfähige Konferenz, die nach Ansicht Freunds das Potenzial für grundlegende Reformen biete. "Die nie dagewesenen Beteiligungsmöglichkeiten per Plattform und Panels erlauben es den Bürgern zu zeigen, wo sie weiter und europäischer denken als ihre Regierungen."

Verwendete Quellen
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