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Türkei-Wahl-Überblick: Gewinnt Erdoğan die Stichwahl? Das müssen Sie wissen


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Wahl in der Türkei
Endet heute seine Ära nach 20 Jahren?


Aktualisiert am 28.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Recep Tayyip Erdoğan: Seit 20 Jahren regiert er das Land, erst als Ministerpräsident, später als Präsident. (Quelle: IMAGO/Sergei Bobylev)
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Die Wahllokale in der Türkei sind geöffnet. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes gibt es eine Stichwahl um das Präsidentenamt. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.

Es ist ein einmaliges Ereignis: Zum ersten Mal muss Recep Tayyip Erdoğan in die Stichwahl ums türkische Präsidentenamt. In der ersten Runde am 14. Mai verfehlte er die absolute Mehrheit knapp. An diesem Sonntag entscheidet sich nun, wer künftig die Türkei regiert: der seit 20 Jahren regierende Erdoğan oder sein Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu, seit 13 Jahren Chef der größten Oppositionspartei CHP.

Wie ist die Ausgangslage?

Die erste Runde ist denkbar knapp ausgegangen. Erdoğan erhielt 49,52 Prozent der Stimmen, Kılıçdaroğlu 44,88 Prozent. Der dritte Kandidat, Sinan Oğan, schied mit einem Stimmenanteil von 5,17 Prozent aus. 61 Millionen Wähler im Inland und auch 3,4 Millionen Wahlberechtigte im Ausland sind nun erneut aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.

Entscheidend ist nun, wer die Wähler des unterlegenen Kandidaten auf seine Seite ziehen kann. Die Anhängerschaft des Rechtsaußenkandidaten gilt als zersplittert. Beobachter gehen aber davon aus, dass der größere Teil der Wähler in das Erdoğan-Lager wechseln wird.

Wer unterstützt wen?

Oğan selbst ließ sich zunächst Zeit. Erst an diesem Montag, als die Stimmabgabe im Ausland schon begonnen hatte, verkündete er, dass er Erdoğan unterstützt. Diese Meinung aber teilen in dem rechten Wahlbündnis Ata İttifakı, für das er antrat und das sich kurz nach der Wahl bereits wieder auflöste, nicht alle.

Einer der ehemaligen Bündnispartner nannte die Erklärung Oğans dessen "eigene politische Präferenz". Ein anderes Ex-Allianz-Mitglied, Ümit Özdağ, hatte am Sonntag seine Unterstützung für Kılıçdaroğlu bekannt gegeben. In einer gemeinsamen Erklärung seiner Partei Zafer Partisi mit Kılıçdaroğlu hieß es, man wolle gemeinsam "alle Flüchtlinge und Illegalen" zurücksenden.

Was sind die zentralen Themen?

Die Wirtschaftskrise. Die Türkei leidet unter einer extrem hohen Inflation, zwischenzeitlich lag sie im vergangenen Herbst bei 85 Prozent. Zwar ist sie seitdem gesunken, doch noch immer liegt die Teuerungsrate bei rund 50 Prozent – und lässt die Kaufkraft der Türken weiter schwinden.

Erdoğan packte das Thema an, indem er großzügig Wahlgeschenke verteilte: Steuerbefreiungen für Gewerbetreibende, Erhöhung des Mindestlohns, Abschaffung des Renten-Mindestalters, Senkung der Stromtarife, kräftige Lohnerhöhung für Beamte.

Auch das Thema Migration ist in diesem Wahlkampf bestimmend. Die Türkei ist das Land, das in den vergangenen Jahren weltweit die meisten Geflüchteten aufgenommen hat. Laut den Vereinten Nationen lebten Anfang 2023 knapp vier Millionen Geflüchtete in der Türkei, der Großteil von ihnen kommt aus dem Nachbarland Syrien.

Die innenpolitische Stimmung gegenüber den Asylsuchenden hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter verschlechtert. Umfragen zufolge wünschen sich fast 90 Prozent der Türken, dass die syrischen Geflüchteten zurückkehren. Der Politikwissenschaftler Murat Erdoğan sagte der "Deutschen Welle", dass Migration mittlerweile für die Türken das zweitwichtigste Thema nach der Wirtschaftskrise sei.

Sowohl Kılıçdaroğlu als auch Oğan machten mit dem Versprechen Wahlkampf, die syrischen Geflüchteten in ihr Heimatland zurückzuschicken. Auch Erdoğan verschärfte seine Rhetorik in den vergangenen Monaten. Erst Anfang Mai erregte er Aufmerksamkeit mit der Aussage, die türkische Regierung bereite die Rückkehr einer Million Syrer vor. Einige Tage später nahm er das wieder zurück und versprach: "Wir werden die Flüchtlinge niemals vertreiben."

Für Erdoğan sind die vielen Geflüchteten im Land zwar ein innenpolitisches Problem, außenpolitisch aber kann er sie als Druckmittel nutzen – etwa gegenüber der EU. Diese möchte verhindern, dass die Menschen die Türkei Richtung Europa verlassen. Verschlechtert sich aber die Situation für sie in der Türkei weiter oder drohen gar Massenabschiebungen, könnte ein solcher Fall eintreten.

Wie unabhängig ist die Wahl?

Internationale Wahlbeobachter bemängelten nach der ersten Runde am 14. Mai einen unfairen Wahlkampf, zudem sei die Abstimmung nicht transparent genug gewesen. Mehrere Oppositionsparteien legten zudem Einsprüche bei den Wahlbehörden ein.

Der stellvertretende Parteichef der CHP beklagte etwa, bei der Präsidentenwahl habe es Unregelmäßigkeiten an 2.269 Wahlurnen gegeben. Auch bei der Parlamentswahl, die am selben Tag stattfand, seien Unregelmäßigkeiten an 4.825 Urnen festgestellt worden, jeweils zum Nachteil der CHP und ihrem Bündnispartner, der Iyi-Partei.

Auch die prokurdische Oppositionspartei HDP erhob Einspruch bei den Wahlbehörden. Mehr als 2.000 Stimmen seien in ihren Hochburgen fälschlicherweise dem Regierungsbündnis zugeschrieben worden, so die Partei. Das gegenseitige Misstrauen zwischen den politischen Kräften in der Türkei ist groß.

Anders jedoch sah es im Wahlkampf aus. Die Wahlen fanden zudem unter sehr ungleichen Voraussetzungen statt: Erdoğan und seine AKP kontrollieren die meisten Medien im Land. Ihre Deutung der Dinge ist de facto sehr viel präsenter. Und auch bei der Verteilung der Wahlmittel gab es große Ungleichheiten. Der prokurdischen Oppositionspartei HDP etwa drohte bis kurz vor der Wahl ein Verbot, was international als politisch motiviert eingestuft wurde.

Wie könnte die Wahl ausgehen?

Es wird damit gerechnet, dass Erdoğan die Stichwahl für sich entscheiden kann, denn Kılıçdaroğlu werden lediglich Außenseiterchancen eingeräumt. Sollte Kılıçdaroğlu dennoch das Rennen für sich entscheiden, käme es zu einer weiteren besonderen Situation. Denn die AKP ist nach den Parlamentswahlen am 14. Mai bereits als stärkste Kraft in die Große Nationalversammlung eingezogen und hat mit ihren Verbündeten eine Mehrheit.

Doch das dürfte für Kılıçdaroğlu als Präsident kein großes Problem darstellen. Denn Erdoğan hat 2018 die Türkei zu einem Präsidialsystem umgebaut – mit umfassenden Befugnissen für den Präsidenten. Das würde ihm ermöglichen, per Dekret zu regieren.

Die Wahllokale schließen um 16 Uhr (MESZ). Erste Teilergebnisse werden noch am Abend erwartet.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • Eigene Recherche
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