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Argentinien-Wahl: Libertärer Javier Milei vorne – Sprachrohr der Wütenden


Präsidentschaftswahl in Argentinien
Das Sprachrohr der Wütenden und Enttäuschten

MeinungGastbeitrag von Susanne Käss, Konrad-Adenauer-Stiftung

Aktualisiert am 22.10.2023Lesedauer: 4 Min.
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Javier Milei: Wird er der neue Präsident Argentiniens? (Quelle: Esteban Osorio/imago images)

Argentinien steht vor einer richtungsweisenden Präsidentschaftswahl: Der in Führung liegende Libertäre Javier Milei will das Land radikal umbauen.

Heute wählen die Argentinier einen neuen Staatspräsidenten und einen Teil der Abgeordneten und Senatoren des Nationalkongresses sowie in einigen Landesteilen Gouverneure, Vertreter der Legislative auf Provinzebene und Bürgermeister.

Selten wurde eine Wahl mit so viel Spannung, aber auch Ungewissheit und Angst erwartet. Das liegt vor allem an der schwierigen Ausgangslage: Das seit Jahrzehnten von Korruption, Wirtschafts- und Verschuldungskrisen geplagte Land scheint bei einer Inflation von 138 Prozent, einer Armutsrate von 44 Prozent sowie einem chronischen Devisenmangel und der damit einhergehenden Verknappung von Importgütern in der Wahrnehmung der Bevölkerung an einem Tiefpunkt angekommen zu sein.

(Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung)

Zur Person

Susanne Käss leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Argentinien mit Sitz in Buenos Aires.

Vor allem seit den Vorwahlen am 13. August klettert die Inflation noch schneller als zuvor in neue Rekordhöhen; zeitgleich driften der offizielle feste Wechselkurs zum US-Dollar und der Parallelkurs auf dem Schwarzmarkt dramatisch auseinander. In der Bevölkerung wachsen Wut, Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit.

Libertärer liegt vorne

Doch wer sind die durch die Vorwahlen am 13. August bestimmten Kandidaten, die realistische Aussichten auf die Übernahme des höchsten Staatsamtes haben?

Überraschender Sieger mit knappem Vorsprung war der Libertäre Javier Milei, seit zwei Jahren Abgeordneter und Gründer der Partei La Libertad Avanza. Er propagiert ultraliberale Positionen in der Wirtschaftspolitik, fordert die radikale Verschlankung des Staates mit Konzentration auf absolut unabdingbare Kernaufgaben, umfassende Kürzungen von Sozialleistungen, eine Dollarisierung des Finanzsystems sowie eine radikale Marktöffnung.

Milei hat es geschafft, mit seinem Diskurs gegen die herrschende politische Elite, die er als "Kaste" bezeichnet, zum Sprachrohr der Wütenden und Enttäuschten zu werden. Selbst von seinem Erfolg bei den Vorwahlen überrascht, schlug er danach einen moderateren und fast schon staatsmännischen Ton an. Nachdem die nationale und internationale Presse ihn bereits siegreich gesehen hatte und seine Umfragewerte konstant gestiegen waren, ist die Kurve nun abgeflacht. Unter anderem wird er für seine Aussagen über den Klimawandel kritisiert, den er nicht für menschengemacht hält, sondern auf natürliche zyklische Temperaturschwankungen zurückführt.

Konkurrenz kam schlecht in Tritt

Kurz vor den Wahlen scheint die moderate Haltung vergessen und Milei tritt polarisierender auf als je zuvor. Vor allem in der Wirtschaft reagierte man fassungslos auf seine Empfehlung an die Argentinier, auf gar keinen Fall Festgeld in der Landeswährung anzulegen, die nicht mehr wert sei als "Exkremente". Dadurch habe er den Wertverfall der Währung weiter angeheizt und einen möglichen Bankencrash gefördert.

Das Oppositionsbündnis Juntos por el Cambio ging zweitplaziert aus den Vorwahlen hervor, doch seiner Kandidatin Patricia Bullrich fiel es, sichtlich geschockt vom guten Wahlergebnis von Javier Milei, zu Beginn schwer, sich im neuen Panorama zu positionieren. Dementsprechend schlecht waren wochenlang auch die Umfragewerte.

Kommunikativ musste umgesteuert werden, da man sich – rechts von Milei überholt – nicht mehr als alleinige Kraft des Wandels darstellen konnte. Juntos por el Cambio setzt nun mit einem qualifizierten Team mit Verwaltungserfahrung und mit einem sehr konkreten Regierungsprogramm auf den umsetzbaren Wandel mit Verantwortung. Gerade in den vergangenen Wochen ist es Patricia Bullrich gelungen, Protagonismus in den Debatten und der Berichterstattung für sich zu beanspruchen und somit die reellen Chancen auf den Einzug in eine mögliche Stichwahl zu steigern.

Korruptionsskandal wirft Fragen auf

Der regierende Peronismus schickt den amtierenden Wirtschafts- und Finanzminister Sergio Massa ins Rennen, dem es bei der beschleunigten Inflationsentwicklung und den schlechten Wirtschaftsdaten jedoch sehr schwerfällt, sich als Figur der Erneuerung zu inszenieren. Seit August greift Massa tief in die Staatskasse, um sich durch finanzielle Unterstützungsleistungen einzelner Gruppen die Gunst der Wähler zu erkaufen, was zu einer signifikanten weiteren Beschleunigung der Inflation geführt hat und den Start für den nächsten Amtsinhaber noch holpriger machen dürfte.

Zudem erschüttert ein Korruptionsskandal in der Provinz Buenos Aires das peronistische Bündnis und bringt seinen Kandidaten in Erklärungsnot. Obwohl der Peronismus bei den Vorwahlen nur auf dem dritten Platz gelandet ist, verfügt er über stabile Strukturen und somit Mobilisierungspotenzial im ganzen Land.

Da die Meinungsumfragen in diesem Superwahljahr weder das Ergebnis der Vorwahlen noch zahlreicher Provinzwahlen verlässlich vorausgesagt haben, scheint jedes Ergebnis am Sonntag möglich. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass ein Kandidat die für einen Sieg im ersten Wahlgang notwendigen 45 Prozent der Stimmen oder 40 Prozent mit einem Abstand von mindestens 10 Prozent zum Zweitplazierten erlangen kann; somit würde es eine Stichwahl am 19. November geben.

Große Aufgabe warten

Wenn der Sieger der Wahl endlich feststeht, erwartet ihn eine Mammutaufgabe. Hinzu kommt, dass voraussichtlich kein Bündnis über eine eigene Mehrheit in beiden Kammern des Nationalkongresses verfügen wird. Besonders trifft dies auf La Libertad Avanza zu, die selbst bei einem hervorragenden Wahlergebnis nur eine relativ kleine Fraktion stellen wird. Im Falle eines Wahlsiegs wäre Javier Milei somit auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der von ihm so massiv kritisierten "politischen Kaste" angewiesen.

Argentinien gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Ländern der Welt. Das Land verfügt auch heute noch über enormes Potenzial, vor allem in der Produktion von Energie und Nahrungsmitteln sowie der Gewinnung und Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Lithium. Seiner Bevölkerung ist zu wünschen, dass sich eine neue Regierung mit Verantwortung, Kompetenz und Ethik den großen Herausforderungen stellt und das Land in eine bessere Zukunft führt. Ein stabiles Argentinien ist ein wichtiger Partner für Deutschland und Europa in diesen unsicheren Zeiten.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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