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Anschlag in Straßburg: Warum immer wieder Frankreich?


Ziel von Anschlägen
Warum immer wieder Frankreich?

Von Helena Serbent

Aktualisiert am 12.12.2018Lesedauer: 4 Min.
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Der Gedenkstein für die Opfer des Bataclan: Sie wurden 2015 getötet.Vergrößern des Bildes
Der Gedenkstein für die Opfer des Bataclan: Sie wurden 2015 getötet. (Quelle: imago-images-bilder)

Noch ist nicht klar, ob der Attentäter in Straßburg aus islamistischen Motiven heraus handelte. Bestätigt sich der Verdacht jedoch, wäre es der 25. terroristische Anschlag seit 2014.

Nachdem ein Mann nahe des Weihnachtsmarktes von Straßburg mindestens drei Passanten erschossen und weitere verletzt hat, ermittelt die französische Staatsanwaltschaft wegen Terrorismus. Laut Zeugenaussagen hat der mutmaßliche Attentäter von Straßburg "Allahu Akbar", auf deutsch "Gott ist groß", gerufen.

Unter anderem deswegen hat die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft die Ermittlungen an sich gezogen. Ein islamistischer Hintergrund wird angenommen, ist aber noch nicht offiziell bestätigt. Allein seit 2014 gab es 24 terroristische Anschläge. Unter anderem:

  • 7. Januar 2015, Paris: Zwei Täter stürmen die Redaktionsräume der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo", zwölf Personen werden getötet. Die Täter bekennen sich am Telefon zunächst zum IS, später übernimmt Al-Qaida im Jemen in einer Videobotschaft Verantwortung für die Tat. Zur Begründung sagt Al-Quaida, Frankreich sei "wegen seiner Rolle im Krieg gegen den Islam und unterdrückte Nationen" zum Anschlagsziel erklärt worden.
  • 8. Januar 2015, Paris: Ein syrisch-französischer Attentäter ermordet in einem Pariser Supermarkt für koschere Waren vier jüdische Personen und nimmt mehrere Geiseln. In einem Telefonat teilt er mit, er kämpfe an der Seite der Attentäter von "Charlie Hebdo" und für den IS.
  • 13. November 2015, Paris: Bei den bisher verheerendsten Anschlägen in Frankreich ermorden mehrere Terroristen insgesamt 130 Menschen, 683 weitere werden verletzt. Im Bataclan-Theater, in dem die gerade ein Rockkonzert stattfindet, kommt es zu einem Massaker. Die Täter sprengen sich schließlich selbst in die Luft. Der IS bekennt sich zu dem Anschlag und nennt Paris "Hauptstadt der Unzucht und des Lasters".
  • 14. Juli 2016, Nizza: Am französischen Nationalfeiertag fährt ein tunesischer Attentäter in einem LKW durch eine Menschenmenge an der Promenade du Anglais in Nizza. Dabei tötet er 86 Personen, mehr als 400 Menschen werden verletzt. Die Polizei erschießt den Täter. Der IS bekennt sich zu dem Anschlag.
  • 13. Juni 2016, Magnanville: Während in Frankreich die Fußballeuropameisterschaft stattfindet, ersticht ein Attentäter den stellvertretenden Kriminalpolizeichef von Les Mureaux vor dessen Haus in Magnanville, Nahe Paris. Anschließend nimmt er dessen Ehefrau und den dreijährigen Sohn als Geisel. Während der Geiselnahme bekennt er sich zum "Islamischen Staat". Der Täter tötet die Frau und wird anschließend von der Polizei erschossen.
  • 23. März 2018, Carcassonne: Ein marokkanisch-französischer Täter erschießt im südfranzösischen Carcassonne einen Autobeifahrer, danach schießt er auf eine Gruppe Polizisten. Anschließend fährt er nach Trèbes, in einen Supermarkt und nimmt dort Geiseln. Zwei von ihnen ermordet der Täter, bevor er von der Polizei angeschossen wird. Er bekennt sich zum IS und stirbt am nächsten Tag.

GIA, Al-Qaida und IS

Mehr als 400 zumeist junge Erwachsene und Minderjährige sitzen aktuell in Frankreich wegen islamistischer Straftaten im Gefängnis. Als Hauptgrund für diese erhöhte Zahl gilt die armutsbedingte Radikalisierung.

In den 90ern verbreitete vor allem die Terrorgruppe "Groupe Islamique Arme" (GIA, zu deutsch "Bewaffnete Islamische Gruppe") Angst und Schrecken, später bekennen sich Täter zu Al-Qaida. Heute ist es der "Islamische Staat" (IS), der nach Anschlägen in mehreren europäischen Staaten ins Visier der Ermittler rückt.

Die Terror-Gruppen nennen bei ihren Erklärungen immer wieder Frankreichs Rolle bei militärischen Eingriffen in Afghanistan. Zudem wird in Bekennerschreiben des IS Paris als "gottlos" und "götzenhaft" beschrieben. Paris gilt als Symbol für westliches Leben und Werte – und wird stellvertretend dafür angegriffen.

Doch auch die Täter sind meist in Frankreich geboren.

Armut in den Außenbezirken

Viele Attentäter haben einen Migrationshintergrund und ihre Wurzeln in Nordafrika, in Marokko und Tunesien – also in Ländern, die einst französische Kolonien waren. Die meisten Täter leben in den sogenannten Banlieues, den verarmten Außenbezirken der französischen Großstädte. Hier herrschen Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und Armut. Frankreich habe zudem ein Problem, Chancengleichheit bei der Bildung zu schaffen, meint die "Bundeszentrale für politische Bildung": Wohnort, Privatschulen, Notendruck und Ausleseprüfungen beeinflussten stark, wer an der gesellschaftlichen Bildung teilhaben dürfe und schaffe so ein Klassensystem. Das erschwert den sozialen Aufstieg aus prekären Lebenssituationen, sobald man in diese hineingeboren ist.

Jeder fünfte Franzose kann sich nach einer Umfrage nicht ausreichend Lebensmittel leisten. In dem am Dienstag veröffentlichten Armutsbarometer der Hilfsorganisation "Secours populaire" (Volkshilfe) gaben 21 Prozent der Befragten an, sie könnten sich keine drei Mahlzeiten am Tag leisten. Laut dem Statistikamt "Insee" leben in Frankreich fast 14 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Gesellschaft ist gespalten. Durch die Armut werden viele Täter zunächst klein-kriminell, landen im Gefängnis und scheitern an der Resozialisierung. Die soziale Abgrenzung schreitet weiter fort.

Radikalisierung folgt auf Ausgrenzung

Die Täter suchen im extremen Islam Halt. Die Bundeszentrale für politische Bildung erklärt diesen Schritt in die islamistische Radikalisierung der Täter mit Brüchen in der Biografie, die zur Entwurzelung der Personen, Verlust und Ausgrenzung geführt haben.

Aufgrund fehlender Lebensstrukturen suchen sich die Täter zunächst eine Ideologie, die klare Regeln vorgibt, wie in diesem Fall der extreme Islam. Zunächst gibt der Salafismus Halt, dann werden Forderungen gestellt. Aus Dankbarkeit seien viele bereit, diese zu erfüllen. Auch Rache am Staat und der Gesellschaft, die sie in ihren Augen vernachlässigt haben, spielen eine Rolle. Die meisten Radikalisierten seien bezüglich der Religion extrem ungebildet, meint die Bundeszentrale für politische Bildung.


Wer sich sonst abgeschottet fühle, bekomme durch die Salafisten eine Identität. Diese besage, dass man sich allein dadurch von allen Menschen abhebe, weil man gläubig sei. Frankreich versucht seit 2016 dieser Entwicklung mit freiwilligen Programmen entgegenzuwirken. Das Attentat in Straßburg hat das nicht verhindert.

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