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Corona in den USA – "Ich fürchte, es müssen mehr sterben, bis wir lernen"


US-Notärztin über Corona-Notlage
"Ich fürchte, es müssen noch mehr sterben, bis wir lernen"

InterviewVon Fabian Reinbold

Aktualisiert am 19.05.2020Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Trump mit Pflegern im Oval Office: Ärzte beklagen Mangel an Krisenmanagement.Vergrößern des Bildes
Trump mit Pflegern im Oval Office: Ärzte beklagen Mangel an Krisenmanagement. (Quelle: Doug Mills/Pool/getty-images-bilder)

Lässt die US-Regierung die Krankenhäuser im Stich? So sieht es Notärztin Megan Ranney, die nun selbst dringend benötigte Schutzausrüstung im ganzen Land verteilt – und an Präsident Trump verzweifelt.

Donald Trump drängt auf die rasche Wiederöffnung seines Landes, doch die Lage in der Corona-Krise ist in vielen Teilen der USA immer noch höchst angespannt. Tag für Tag sterben mehr als tausend Amerikaner an Covid-19. Teile des Gesundheitssystems sind weit stärker überfordert als etwa in Deutschland.

Es herrscht ein eklatanter Mangel nicht nur an Corona-Tests, sondern auch an Schutzausrüstung für das Personal in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Betrieben. So fehlen etwa Atemschutzmasken nach N95-Standard (in Europa FFP2-Standard). Experten fürchten, dass deshalb eine zweite Krankheitswelle besonders schwere Verwerfungen anrichten könnte.

Weil der Staat bei der Ausstattung mit medizinischer Schutzausrüstung in ihren Augen versagt, hat sich eine Gruppe um die US-Notärztin Megan Ranney der Aufgabe angenommen, selbst die Verteilung von Atemmasken, Schutzanzügen und dergleichen im Gesundheitswesen zu organisieren. "Für uns im Gesundheitswesen ist das Belastendste, dass die Regierung nicht an uns denkt", sagt sie im Interview mit t-online.de.

Außerdem spricht sie darüber, bei welchen Themen sie an Präsident Trump verzweifelt und warum sie dennoch glaubt, dass die USA die Kurve in der Corona-Krise letztlich kriegen.

t-online.de: Dr. Ranney, haben Sie in Ihrer Notaufnahme alles, was sie brauchen, um die Covid-19-Pandemie zu stemmen?

Ranney: Kein Krankenhaus kann derzeit so arbeiten, wie es das gewohnt war. Hätten Sie mich vor drei Monaten gefragt, ob ich eine N95-Einweg-Atemmaske die ganze Schicht lang tragen kann, hätte ich verneint. Jetzt tun wir das, geben sie danach auch noch nicht in die Reinigung und benutzen sie wieder. Wir stellen unser eigenes Desinfektionsmittel her, wir stöbern überall nach Schutzkitteln. Mein eigenes Krankenhaus ist da sehr erfinderisch, aber auch wir gehen auf dem Zahnfleisch. Ganzen Krankenhaussystemen im Nordosten der USA mangelt es an Masken, Desinfektionsmitteln, Kitteln, Hygienetüchern.

Megan Ranney ist Notärztin am Rhode Island Hospital und leitet als Professorin an der Brown University ein Programm zur Innovation im Gesundheitswesen. Sie ist Mitgründerin des Vereins "Get Us PPE", der in der Corona-Krise Schutzausrüstung an Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen in den USA verteilt.

Sie selbst verteilen nun über eine Plattform in Eigeninitiative Schutzkleidung an Krankenhäuser. Warum sind Sie eingesprungen?

Die Krankenhäuser selbst konnten es sich nicht leisten, Vorräte anzulegen, als der Bedarf zunahm und die Preise in die Höhe schossen. In unserer Regierung in Washington hat niemand so weit gedacht, einen nationalen Vorrat anzulegen. Dabei ist das wahrlich kein Hexenwerk und dabei war doch nach den Entwicklungen in China und Italien klar, was auf uns zurollt. Für uns im Gesundheitswesen ist das Belastendste in dieser Lage, dass die Regierung nicht an uns denkt. Entweder sind wir ihr egal, oder sie denkt einfach nicht voraus.

Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Welt. Wie kann das sein, dass die Krankenhäuser ohne genügend Schutzausrüstung dastehen?

Das hat uns in der Medizin ebenfalls verblüfft. Wir sind es als Notärzte zwar gewohnt, die Löcher im US-Gesundheitssystem zu stopfen. Wir sind diejenigen, die überrannt werden von anderen Epidemien wie der Waffengewalt oder der Opioidsucht. Covid-19 ist wieder ein Moment, in dem die Gesellschaft die Augen vor den schweren Gesundheitsproblemen im Land verschließt. Unser Land hat viele Stärken wie Einfallsreichtum und Innovation, aber wir geben keine gute Figur ab, wenn es um Prävention oder Vorbereitung geht.

Wann war der Moment, in dem Sie gedacht haben: Unsere Regierung schafft es nicht, ich selbst muss jetzt Schutzkleidung organisieren?

Ende Februar und Anfang März passierten mehrere Dinge: Mein Bundesstaat Rhode Island war früh betroffen und in unserem Krankenhaussystem spürten wir rasch, dass keine Reserven da sind und dass die nationale Krisenpolitik viel zu schwach ist. Die Bedrohung wurde ja regelrecht abgestritten. Präsident Trump sagte damals, die Fälle mit dem Coronavirus würden bald wieder bei null liegen. Wir in der Notaufnahme wussten, dass das Gegenteil richtig ist: Die Fälle werden stark zunehmen. Wir sagten uns: Wenn wir jetzt nichts tun, wird niemand etwas tun.

Und was taten Sie?

Mit meinen Mitstreiterinnen sprach ich im Fernsehen über den drohenden Mangel, wir machten im Netz darauf aufmerksam und plötzlich wurden wir regelrecht überflutet mit Spendenangeboten für unsere Krankenhäuser. Das war wirklich berührend. Dann sagten wir uns: Die Spenden sollten nicht nur an unsere eigenen Krankenhäuser gehen, sondern sie sollten im ganzen Land verteilt werden. Wir bauten mit Programmierern ein Portal, auf dem wir Suchende und Spender zusammenbringen. Anfangs dachten wir, das wird eine Sache von wenigen Wochen. Aber es geht immer noch weiter. Wir kriegen jeden Tag Hunderte Anfragen, die wir alle gar nicht erfüllen können.

Wer hat denn Schutzausrüstung übrig?

Am Anfang waren es vor allem einzelne Bürger und Geschäfte, die in ihren jeweiligen Vorräten Schutzausrüstung übrig hatten. Jetzt haben wir auch viele, die Geld spenden, das wir sammeln, um Großeinkäufe zu tätigen. In den vergangenen vier Wochen haben mehr als anderthalb Millionen Einheiten an Schutzausrüstung direkt verteilt.

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Als Präsident Trump kürzlich Krankenpfleger ins Oval Office lud, widersprach er einer Schwester, die sagte, der Zugang zu Schutzausrüstung sei in manchen Gegenden immer noch sporadisch. Er sagte: Vielleicht sei das so für sie, aber für viele andere nicht.

Sporadisch trifft es auf den Punkt. Auch wenn viele Krankenhäuser gerade nicht den ganz akuten Mangel wie noch im März haben, ist das ganze System nach wie vor dysfunktional. Wenn wir jetzt das Land wieder öffnen und irgendwann die zweite Covid-19-Welle kommt, dann wird das Problem noch viel größer. Denn Schutzkleidung brauchen wir jetzt nicht nur in den Krankenhäusern und Altenheimen, sondern auch bei den Arbeitern in den Friseuren und Schönheitssalons, in den Fleischfabriken. Es geht nun nicht mehr nur darum, Arbeiter im Gesundheitswesen zu schützen, es geht jetzt darum, die ganze Gesellschaft zu schützen. Als ich die Bilder im Oval Office sah, war ich wirklich enttäuscht, auch noch aus einem anderem Grund.

Der da wäre?

Unsere Aufgabe als Mediziner wie als Politiker ist es doch, Vorbild zu sein und Botschaften zu transportieren. Und die Botschaft ist doch seit Wochen klar: Durch das Tragen einer Art von Mundschutz senken wir das Risiko, dass das Virus weiter übertragen wird. Ich bin so enttäuscht, dass der Präsident und seine Berater solche Termine nicht nutzen, um diese wichtige Botschaft der Nation zu verdeutlichten.

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Sie meinen, er sollte selbst eine Maske tragen?

Die Öffentlichkeit braucht Klarheit und der Verzicht darauf, die klare Botschaft aufzustrahlen, gefährdet uns letztlich alle. Ich sehe, dass das in anderen Ländern besser funktioniert, auch bei Ihnen in Deutschland.

Werden die USA etwas aus dieser Krise lernen?

Interessieren Sie sich für US-Politik? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Ich bin eine ewige Optimistin und möchte Ja sagen. Aber ich weiß nicht, wie schnell das geschehen wird. Ich fürchte, es braucht noch mehr Tote, bis wir wirklich lernen. Ich verstehe, dass sich viele Menschen nicht länger beschränken wollen. Aber ich fürchte, dass wir die Krise erst dann meistern werden, wenn viele Menschen auch persönlich jemanden kennen, der von dieser Krankheit betroffen ist. Ich hoffe und bete, dass wir einen Weg finden, besser zu werden.

Momentan hat man den Eindruck, dass die Krise zum Streitpunkt in den üblichen politischen Auseinandersetzungen verkommen ist.

Ja. Wir müssen als Nation und als Gemeinschaft zusammenfinden und unsere politischen Streitigkeiten und den Hass überwinden. Das liegt allein ist unserer Macht. Das Schöne an unserem Hilfsverein ist, dass wir hier überparteilich zusammengefunden haben. Wir sind Demokraten und Republikaner, kommen aus konservativen und liberalen Staaten und wir benachteiligen niemanden. Ich glaube, das schaffen wir auch als Nation. Aber wir brauchen dringend politische Führung, damit wir dorthin kommen.

Dr. Ranney, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Das Interview führte Korrespondent Fabian Reinbold per Videokonferenz.
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