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Großbritannien: Boris Johnson am Corona-Abgrund


Planlos in der Krise
Boris Johnson am Corona-Abgrund


30.09.2020Lesedauer: 4 Min.
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Boris Johnson beim Besuch eines Ärztezentrums in London: Seine Beliebtheitswerte brechen in der Corona-Pandemie ein.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson beim Besuch eines Ärztezentrums in London: Seine Beliebtheitswerte brechen in der Corona-Pandemie ein. (Quelle: Jeremy Selwyn/getty-images-bilder)

Boris Johnson bekommt die Corona-Pandemie in Großbritannien nicht in den Griff und wird immer schärfer kritisiert. Lob gibt es dagegen für seinen Finanzminister. Wird er zur Gefahr für Johnson?

Führungsstärke haben sich die Briten mit der Wahl von Boris Johnson versprochen. Im Umgang mit dem Corona-Virus ist davon wenig zu spüren. Großbritannien steht während der zweiten Corona-Welle ohne Plan da. Während die Infektionszahlen weiter dramatisch steigen – am Dienstag wurden über 7.000 neue Infektionen gezählt – versucht Johnson einerseits alles, um einen zweiten kompletten Lockdown zu vermeiden, setzt andererseits jedoch immer härtere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie durch.

Dabei handelt Johnson extrem unglücklich für einen Politiker, der bisher für sein Gespür bekannt war, genau zu wissen, was bei den Wählern ankommt. Noch vor wenigen Wochen forderte Johnson die Briten auf, zur Ankurbelung der Wirtschaft zurück in ihre Büros und Werkhallen zu gehen. Nun plädiert er wieder für das Homeoffice: Wer könne, solle unbedingt von zu Hause arbeiten.

Kommt die komplette Schließung aller Bars und Restaurants?

Für England verschärfte der Premier die Schutzvorkehrungen: Pubs und Restaurants müssen seit vergangenem Donnerstag spätestens um 22 Uhr schließen. Außerdem ist nur noch Service am Tisch erlaubt. Im Gespräch sind aber noch drastischere Maßnahmen. Die Regierung soll erwägen, Pubs, Bars und Restaurants für zunächst zwei Wochen komplett zu schließen. Im Nordosten Englands, aber auch in Nordirland und Schottland dürfen sich schon jetzt bis auf wenige Ausnahmen keine Angehörigen verschiedener Haushalte mehr treffen.

Zudem wurde die Maskenpflicht erneut ausgeweitet: Auch in Taxis oder Geschäften ist das Maskentragen künftig verpflichtend, genauso wie in Pubs oder Restaurants, wenn man sich gerade nicht an seinem Sitzplatz befindet. Hochzeiten sind nur noch mit 15 Teilnehmern erlaubt. Johnson führte auch teilweise drakonische Strafen für Verstöße gegen die Corona-Vorschriften ein. 11.000 Pfund (über 12.000 Euro) soll bezahlen, wer sich bei einer Infektion nicht in Quarantäne begibt.

Trotz verschärfter Maßnahmen: Rekordzahl an Neuinfektionen

Doch die bisher getroffenen Maßnahmen, um die zweite Corona-Welle einzudämmen, wirken nicht. Zwar sank die Zahl der Neuinfizierten von über 6.000 pro Tag in der letzen Woche auf rund 4.000 am Wochenende. Doch am Dienstag folgte dann der Schock: Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie wurden mehr als 7.000 neue Corona-Fälle gezählt. Insgesamt gab es 7.142 Neuinfektionen, wie die zuständige Regierungsbehörde mitteilte. Zudem verdoppelte sich die Zahl der neuen Todesfälle innerhalb einer Woche: Lag die Zahl der Todesfälle mit einer Corona-Infektion in der vergangenen Woche noch bei 37 Fällen an einem Tag, waren es am Dienstag 71 Todesfälle. Auch die Zahl der Corona-Patienten in Krankenhäusern stieg merklich an. Mit über 42.000 Todesfällen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus ist Großbritannien weiter das am schwersten von der Pandemie betroffene Land Europas. Kritiker werfen Johnson immer wieder vor, dass er während der zweiten Infektionswelle – wie schon zu Beginn der Pandemie – zu spät und nicht konsequent genug handle.

Das alles hat Folgen für Johnson. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov unterstützen zwar 78 Prozent der Briten die neuen Corona-Maßnahmen. Dafür brechen Johnsons Beliebtheitswerte ein. Mitte April waren nach einer YouGov-Langzeiterhebung noch 66 Prozent der Befragten mit der Arbeit der Johnson-Regierung zufrieden. Ende August sank der Wert auf nur noch 39 Prozent. Die Sonntagszeitung "The Observer" sieht in einer Umfrage die Labour-Partei sogar vor den regierenden Tories. 42 Prozent der Befragten sprechen sich für Labour aus, nur 39 Prozent für Johnsons Konservative.

Widerstand gegen Johnsons Führungsstil

Zusätzlich nimmt der parteiinterne Druck auf Johnson zu. Er steht nicht nur wegen seiner chaotischen Brexit-Politik in der Kritik, sondern auch wegen seines autoritären Führungsstils in der Corona-Pandemie. Johnson hat sich mit dem "Coronavirus Act" weitreichende Befugnisse gesichert und kann Maßnahmen auch ohne Zustimmung des Parlaments durchsetzen. Nun werfen ihm Parteimitglieder vor, er regiere faktisch per Dekret. Rund 80 Tory-Abgeordnete sollen planen, die Zustimmung zu einer Verlängerung des "Coronavirus Act" zu verweigern, wenn das Parlament nicht wieder stärker in die Entscheidungen der Regierung einbezogen wird.

Noch gefährlicher für Johnson: Sein Finanzminister Rishi Sunak wird zum Liebling einiger britischer Medien. Sunak verfolgt im Gegensatz zu seinem Chef von Beginn an eine ganz klare Linie bei der Bekämpfung der Pandemie: Er will auf keinen Fall einen zweiten Lockdown. Zudem verspricht er der britischen Wirtschaft weitere umfassende Finanzhilfen zur Bewältigung der Krise – auch wenn er nicht erklärt, woher das Geld dafür kommen soll. Sunak stellte zudem klar, dass es für ihn genauso wichtig sei, Leben wie auch Jobs zu retten.

Der nächste Premierminister?

Die britische "The Times" schrieb in der Folge vom "aufgehenden Stern Sunaks, der Johnson in den Schatten stelle". Die Boulevardzeitung "Daily Express" ging noch weiter und fragte unter Verweis auf die hervorragenden Umfragewerte des Finanzministers: "Rishi Sunak, der nächste Premierminister?"

Johnson gerät so an vielen Fronten unter Druck. Er muss endlich eine kohärente Corona-Politik präsentieren und dabei aufpassen, dass er seine Partei mitnimmt. Er muss zudem darauf achten, dass ihm sein Finanzminister nicht den Rang als eigentlicher Lenker und Denker in der Pandemie abläuft. Und – ganz nebenbei – muss er auch noch eine Lösung im Brexit-Streit mit der EU finden. Einen weiteren Wirtschaftseinbruch – verursacht durch einen Brexit ohne Abkommen – kann sich Johnson in dieser Situation keinesfalls leisten.

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