Nawalnys 100 Tage Leid und Angst im Straflager

100 Tage ist der Kremlgegner Alexej Nawalny jetzt in Haft. Im Straflager erkrankt, steigt er aus einem langen Hungerstreik aus. Nun soll seine politische Bewegung ausgelΓΆscht werden.
Auf eine neue wochenlange Tortur stellt sich der im Straflager inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny fΓΌr seinen Ausstieg aus dem Hungerstreik ein. "In der Regel dauert das auch 24 Tage und das ist, so heiΓt es, sogar schwieriger. Also wΓΌnscht mir Erfolg", teilt er in seiner neuen Mitteilung bei Instagram mit.
An diesem Montag ist es 100 Tage her, dass Nawalny aus Deutschland, wo er sich von einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholt hatte, nach Russland zurΓΌckkehrte. Noch am Flughafen in Moskau wurde der 44-JΓ€hrige am 17. Januar festgenommen.
An diesem Montag begann auch ein Gerichtsverfahren, mit dem die russische Justiz alles zerstΓΆren will, was Nawalny und seine gegen Korruption gerichtete Bewegung in Jahren aufgebaut haben. Die Moskauer Staatsanwaltschaft will Nawalnys Organisationen, darunter seine Anti-Korruptions-Stiftung und seine RegionalstΓ€be, als extremistisch einstufen und damit praktisch verbieten lassen. In einem ersten Schritt wurde ein Arbeitsverbot verhΓ€ngt, das gilt, bis ΓΌber den Antrag der Staatsanwaltschaft entschieden wird.
Schwere VorwΓΌrfe gegen Nawalnys Organisation erhoben
Die Bewegung, so die AnklΓ€ger, "destabilisiert die gesellschaftlich-politische Lage im Land". Sie rufe auf zur "extremistischen TΓ€tigkeit, zu Massenunruhen β auch mit Versuchen, MinderjΓ€hrige in gesetzeswidrige Handlungen zu verwickeln". Beschuldigt werden die Organisationen, sie handelten "im Auftrag verschiedener auslΓ€ndischer Zentren, die destruktive Handlungen gegen Russland ausfΓΌhren". Das angebliche Ziel: eine Revolution, um den Machtapparat des Kremlchefs Wladimir Putin zu stΓΌrzen.
Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch, die im Arrest sitzt und die Unterlagen sichtete, betont, dass die Anschuldigungen haltlos und nicht durch einen einzigen Beweis belegt seien. Wie das Wegsperren Nawalnys als AnfΓΌhrer der Bewegung und seiner vielen Mitarbeiter diene auch dieser WillkΓΌrprozess vor Gericht dem einzigen Ziel, die Opposition auszulΓΆschen. Auch am Wochenende gab es neue Festnahmen von Kremlgegnern, wie das Menschenrechtsportal ovdinfo.org berichtete.
Vor der Parlamentswahl am 19. September steht der Machtapparat mit der Kremlpartei Geeintes Russland in der Kritik, jede Form von Protest zu zerschlagen und Andersdenkende zu kriminalisieren. Zwar ist Nawalnys Bewegung nicht als Partei zugelassen. Die Strukturen seiner vielen regionalen StΓ€be funktionieren aber Γ€hnlich und kΓΌmmern sich auch um Probleme von BΓΌrgern. Deshalb rechnen sich einzelne seiner Mitarbeiter als unabhΓ€ngige Kandidaten bei der Wahl Chancen aus. Eine Herausforderung, gegen die Staatsmedien, Justiz und die etablierten politischen KrΓ€fte mit aller Wucht vorgehen.
Als der Nawalny-Mitarbeiter Sachar Sarapulow in der sibirischen Metropole Irkutsk gerade erklΓ€rte, fΓΌr die Duma-Wahl kandidieren zu wollen, bekam er prompt Besuch von der Polizei, die das BΓΌro des Oppositionellen durchsuchte. Γhnlich ergeht es Nawalnys prominenter Moskauer Mitarbeiterin Ljubow Sobol, die sich immer wieder mit Gerichtsverfahren sowie Arrest- und Geldstrafen konfrontiert sieht.
Wenn nun die Bewegung Nawalnys als extremistisch eingestuft und unter Androhung jahrelanger Haftstrafen verboten wird, dann gilt das als bisher schwerster Schlag ΓΌberhaupt gegen die Oppositionsarbeit. Damit werde die TΓ€tigkeit auf dem Gebiet Russland einschlieΓlich der Informationsarbeit im Internet quasi unmΓΆglich, sagt die Politologin Tatjana Stanowaja. Bei Instagram und Twitter etwa erreicht die Marke Nawalny Millionen Menschen. Schon jetzt versuchen die russischen BehΓΆrden immer wieder, missliebige Inhalte im Internet zu blockieren.
"Das ist bisher die einzige gegen Putin gerichtete Opposition, die nicht marginal ist", sagt Stanowaja. Der "Nawalnyismus" werde jetzt kriminalisiert. Die Bewegung in ihrer bisherigen Form hΓΆre auf zu existieren. Aber die Sympathien fΓΌr Nawalny sowie die Proteststimmung im Land kΓ€men durch das Extremismusverfahren nicht zum Erliegen. "Das bringt die Bewegung nicht um." Es werde etwas Neues entstehen, meint die Expertin. Durch seine RΓΌckkehr habe Nawalny PlΓ€ne des Kremls vereitelt, ihn zum bedeutungslosen Politemigranten zu machen.
Aus dem Ausland kΓΆnnen zudem fΓΌhrende KΓΆpfe der Bewegung wie Leonid Wolkow, Iwan Schadnow und Maria Pewtschich (Pevchikh) weiterarbeiten und die populΓ€ren Videos mit EnthΓΌllungen von Korruption in Putins Machtapparat im Internet verΓΆffentlichen. Von dort gibt es auch weiter Aufrufe an die russische BevΓΆlkerung, nicht nur zu Protesten. Vor allem sind die BΓΌrger aufgerufen, bei der Abstimmung im Herbst fΓΌr einen beliebigen Kandidaten zu stimmen β nur nicht fΓΌr jenen der Kremlpartei. Das "schlaue Abstimmen" soll das Machtmonopol brechen.
Internationale Aufmerksamkeit auf Russland gelenkt
Erreicht hat Nawalny mit seiner Inhaftierung auch internationale Aufmerksamkeit fΓΌr die zunehmenden Repressionen in Russland. Seine Vergiftung mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok hat das Land mit neuen Sanktionen unter Druck gesetzt. Die EU und die USA fordern vom Kreml weiter eine AufklΓ€rung des Verbrechens. Vor allem aber die internationale SolidaritΓ€t, die Appelle von Weltstars an Putin, seinen Gegner freizulassen, und die StraΓenproteste haben dazu gefΓΌhrt, dass sich die russische FΓΌhrung fast tΓ€glich mit Nawalnys Schicksal befassen muss.
Nawalny bedankte sich nun fΓΌr die breite UnterstΓΌtzung "im ganzen Land und in der Welt". Die SolidaritΓ€t und sein Hungerstreik hΓ€tten bewirkt, dass der Strafvollzug nach langer Weigerung zwei zivilen Γrztegruppen den Zugang zu ihm gewΓ€hrt habe. "Das ist ausschlieΓlich euer Verdienst!" Ein "Fortschritt". Er habe deshalb nun dem Rat der Γrzte, denen er vertraue, befolgt β und wolle den Hungerstreik wegen der unmittelbaren Gefahr zu sterben beenden. Zugleich betonte Nawalny, seine Forderung, wegen eines RΓΌckenleidens und Taubheit in den GliedmaΓen von Spezialisten behandelt zu werden, bleibe bestehen.
- Nachrichtenagentur dpa