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Experte Masala über Ukraine: "Da hat Putin also noch etwas in der Hinterhand"


Russlands Feldzug gegen die Ukraine
"Da hat Putin also noch etwas in der Hinterhand"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 01.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Sprachliche Entgleisung: Nachdem am Montag schwerwiegende Sanktionen gegen Russland in Kraft traten, holt Putin zum verbalen Gegenschlag aus. (Quelle: t-online)

Die Ukrainer wehren sich gegen Russland, teils mit Erfolg. Doch täuschen sollte sich der Westen nicht, warnt Experte Carlo Masala. Denn Wladimir Putins Ressourcen sind noch lange nicht erschöpft.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Europa keinen Angriffskrieg zwischen zwei Staaten erlebt, mit der Attacke Russlands auf die Ukraine ist dieser Frieden vorbei. Sogar die Möglichkeit eines nuklearen Feldzugs wird bisweilen wieder befürchtet. Sicherheitsexperte Carlo Masala erklärt, wie Russlands Krieg gegen die Ukraine verläuft und wie hoch das Risiko eines atomaren Angriffs ist.

t-online: Professor Masala, Wladimir Putin hat die russischen Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzen lassen. Was steckt hinter diesem Schritt?

Carlo Masala: Wladimir Putin möchte den Westen daran erinnern, dass Russland eine Atommacht ist. "Mischt euch nicht in den Konflikt mit der Ukraine ein", so ließen sich Putins Worte auch übersetzen. Wenn die angeordnete Alarmbereitschaft dann noch den einen oder anderen Staat davon abhält, der Ukraine Waffen zu liefern, ist Russlands Präsident schon ganz zufrieden.

Wie schätzen Sie aber generell das Risiko für einen Einsatz nuklearer Waffen ein?

Wir stehen nicht vor einem Atomkrieg. Wenn Sie das meinen. Für den Einsatz von Atomwaffen müsste Putin wirklich mit dem Rücken zur Wand stehen. So weit ist es aber noch lange nicht.

Kommen wir direkt auf die Ukraine zu sprechen: Wie ist die Lage?

Es läuft schlechter, als die Russen erwartet haben. Andererseits auch nicht zu schlecht. Kiew dürfte mittlerweile von fast allen Seiten eingezingelt sein, im Süden der Ukraine läuft für Russland alles planmäßig. Das bedeutet, die Landbrücke zwischen der 2014 annektierten Krim und dem Rest Russlands dürfte hergestellt sein. Bald werden also russische Kräfte frei werden, die dann wahrscheinlich mit dem Stoß nach Charkiw im Norden des Landes vereinigt werden.

Tatsächlich hat die russische Armee aber noch nicht alle aufmarschierten Kräfte eingesetzt, oder?

Das ist richtig, der westliche Militärbezirk kam in weiten Teilen bislang nicht zum Zug. Da hat Putin also noch etwas in der Hinterhand.

Welche Entwicklungen erwarten Sie in den nächsten Tagen?

Die Russen werden den Beschuss Kiews verstärken. Darauf deutet auch die freie Passage für Zivilisten hin.

Carlo Masala, Jahrgang 1968, lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. Der Politikwissenschaftler gibt unter anderem die "Zeitschrift für Internationale Beziehungen" mit heraus, zugleich diskutiert er regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" über Sicherheitspolitik. 2016 ist sein Buch "Weltunordnung. Die globalen Krisen und das Versagen des Westens" erschienen.

Welches Ziel verfolgt die russische Armee in der Hauptstadt der Ukraine?

Es geht Putin nicht um die Einnahme Kiews. Die Stadt hat mehr als zwei Millionen Einwohner, da müsste er schon sehr viele Truppen hineinschicken. Das würde auf einen Häuserkampf hinauslaufen. Nein, das russische Ziel besteht auf der einen Seite darin, die Regierung von Wolodymyr Selenskyj zu Fall zu bringen. Auf der anderen Seite will die russische Armee die militärischen Strukturen der Ukrainer in der Hauptstadt zerstören. Damit die ukrainische Armee nicht mehr koordiniert vorgehen kann.

Welches Schicksal haben die Russen Wolodymyr Selenskyj zugedacht?

Ob sie den ukrainischen Präsidenten gefangen nehmen oder ob er zurücktritt, ist Russland relativ egal. Für die Russen muss Selenskyj aber weg. So viel ist klar.

Besteht denn zum jetzigen Zeitpunkt Hoffnung auf ein Ende der Kämpfe?

Es werden immer wieder Stimmen laut, die fordern, Putin ein Verhandlungsangebot zu machen. Ich sehe aber nicht, was man Putin überhaupt anbieten will. Er hat sich weit aus dem Fenster gelehnt – etwa mit seiner Forderung nach einer Demilitarisierung der Ukraine. Putin braucht also den ganz großen Erfolg, aber der Westen kann ihm kein politisch akzeptables Angebot machen, ohne sich selbst zu brüskieren.

Apropos Westen: Olaf Scholz hat im Bundestag eine Zeitenwende angekündigt, mit 100 Milliarden soll die Bundeswehr auf Vordermann gebracht werden. Waren es leere Worte, um die Gemüter zu beruhigen? Oder meint es der Bundeskanzler ernst?

Wir erleben schon einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel in zentralen Bereichen: Die Außen- und Verteidigungspolitik wie auch die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik werden sich aller Voraussicht nach grundlegend verändern. Aber es braucht Zeit, daran ändern auch die 100 Milliarden nichts. Es wird kaum in zwei Wochen alles da sein, worauf die Bundeswehr seit Jahrzehnten wartet.

Immerhin bekommen die Ukrainer nun Waffen vom Westen geliefert. Haben diese einen sofortigen Nutzen für die Soldaten?

Ja. Westliche Staaten liefern unter anderem panzerbrechende Waffen – und keine Flugabwehrsysteme, für deren Bedienung ein paar Dutzend Mann erst einmal mehrere Wochen geschult werden müssen.

Die Europäische Union finanziert den Ukrainern auch Kampfflugzeuge.

Vor allem hängt die EU dies an die ganz große Glocke. Ich halte das für keine besonders gute Idee. Es wird Putin ganz besonders reizen. Warum stellt man die Kampfjets nicht still und heimlich auf irgendeinen polnischen Flughafen, ein paar ukrainische Piloten kommen vorbei – und fliegen ab? Es handelt sich um ältere Maschinen sowjetischer Herkunft, die Ukrainer kennen sie gut.

Die EU geht in anderer Hinsicht auch nicht subtil vor. Auf einmal will Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Ukraine nun mitten im Krieg schnell in die Europäische Union aufnehmen.

Das wird ein schwieriges Unterfangen. Wenn man quasi sämtliche Regelungen ignorieren würde, könnte die Nato sehr schnell ein neues Land in das Verteidigungsbündnis aufnehmen. Aber die EU? Mit ihren unzähligen Rechtsverordnungen, die alle zuvor in ukrainisches Recht umgesetzt werden müssten? Das halte ich für ziemlich aussichtslos. Von der Leyen betreibt nur Aktionismus.

Kommen wir aber noch einmal auf den Fall eines Atombombeneinsatzes seitens Russlands zu sprechen: Wie würde der Westen reagieren?

Das ist eine gute Frage. Der Westen weiß es selbst nicht so genau. Es hängt auch stark von der Art der Nuklearwaffe ab.

Was wäre etwa, wenn die Russen eine strategische Atomwaffe wie eine Mittelstreckenrakete einsetzen?

Dann wären wir auf dem Sprung zum Dritten Weltkrieg – aller Wahrscheinlichkeit nach. Falls Russland hingegen eine taktische Atomwaffe ...

... wie etwa eine nukleare Artilleriegranate ...

... einsetzen würde, dann würde es eine Reaktion der Nato auf anderer Ebene geben. Allerdings eine, die keine weitere Eskalation bewirken würde.

Aber wir müssen uns im Westen trotz alledem wieder mit dem Gedanken befassen, in einer Welt zu leben, in der wir von der Atombombe bedroht sind?

Die Bedrohung war nie weg. Wir wollten es nur nicht wahrhaben.

Professor Masala, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Carlo Masala via Telefon
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