Umfrage-Vorsprung schmilzt dahin Wie Theresa May ihre Zukunft verspielt

Für ihre Anhänger ist Theresa May so etwas wie die Margaret Thatcher des 21. Jahrhunderts, eine neue Eiserne Lady, die das Land und ihre gespaltene Partei wieder nach vorne bringen soll. Doch die 60-Jährige sitzt nach zwei schweren Terrorattacken und einem bitter geführten Wahlkampf weit weniger fest im Sattel, als ihr lieb sein dürfte.
Dabei hatte die als Tochter eines Vikars im ländlichen England aufgewachsene May - so schien es zunächst - strategisch alles richtig gemacht. Sie rief die Briten drei Jahre früher als geplant an die Wahlurnen, um sich und ihrer Partei ein starkes Mandat für die Verhandlungen mit Brüssel über einen Austritt aus der Europäischen Union zu holen. Im Rücken hatte sie Umfragewerte, die ihren Tories eine Vorsprung von bis zu 20 Prozentpunkten prophezeiten. Doch mittlerweile muss sie sich Vorwürfe der Arroganz und politischen Kurzsichtigkeit gefallen lassen.
Für May steht nicht nur der Wahlsieg, sondern auch ihr eigenes politisches Vermächtnis auf dem Spiel. Die 1997 erstmals ins Unterhaus gewählte Konservative galt stets als besonnen und kompetent. Die einzige Extravaganz, die sich May leistet, sind ihre mutigen Outfits und ihre ausgefallenen Schuhe.
Vergleiche mit Thatcher ohne echte Parallelen
Anders als ihr Vorgänger David Cameron, der wie so viele andere führende Tories mit dem Wohlstand seiner Familie im Rücken die Eliteschulen Großbritanniens absolvierte, repräsentiert May das sogenannte "Middle England", die Mittelschicht mit durchschnittlichem Geschmack, die für eine Politik der Mitte abstimmt. Sie konnte es sich leisten, die Tories als "fiese Partei" zu brandmarken und sich - ohne heuchlerisch zu wirken - für mehr Chancengleichheit für die Armen einzusetzen. Dabei und in ihrem Einsatz für die Gleichberechtigung von Frauen unterscheidet sich May deutlich von Thatcher, die den freien Markt über alles stellte und dem Feminismus wenig abgewinnen konnte.
Doch May ist die erste britische Premierministerin seit der Eisernen Lady - allein dadurch sind die Vergleiche bereits programmiert. An die Regierungsspitze gelangte die 60-Jährige mit viel Durchhaltevermögen, taktischem Geschick und auch einer Portion Glück.
Nachdem Cameron sie 2010 zur Innenministerin gemacht hatte, hielt sie sechs Jahre auf dem oft undankbaren Posten aus. May, die in ihrer Freizeit mit ihrem Mann Philip gerne kocht und spazieren geht, scheute dabei auch nicht davor zurück, sich unbeliebt zu machen. 2012 wurde sie bei einem Treffen mit Polizisten ausgebuht, weil sie deren Budgets gekürzt hatte. Diese Entscheidung hängt ihr nach den Anschlägen von Manchester und London immer noch nach. Denn ihr wird vorgeworfen, mit ihrem Sparkurs die Sicherheit des Landes in Gefahr gebracht zu haben.
Erst Brexit-Spaltung - dann Partei-Einung
Vor dem Brexit-Referendum schlug sich May auf die Seite jener in ihrer Partei, die Teil der EU bleiben wollten und damit scheiterten. Im Rennen um die Nachfolge Camerons gelang es ihr aber anschließend, beide Lager wieder zu einen. Sie versprach, den Wählerwillen zu respektieren und bei Großbritanniens Ausstieg aus der EU hart mit Brüssel zu verhandeln.
Doch die Reihen hinter May sind längst nicht mehr so geschlossen wie vor wenigen Wochen. Das liegt nicht nur an den Terroranschlägen, die Kritikern ihrer Führungsqualitäten in die Hände spielten. Im Wahlkampf war sie auch vielen in der eigenen Partei oft zu steif. Gebetsmühlenartig, ja nahezu roboterhaft wiederholte sie ihren Slogan von der "starken und stabilen Regierung", die der "Koalition des Chaos" von Labour-Chef Jeremy Corbyn Paroli bieten müsse. Weil sie sich weigerte, an Fernsehdebatten mit anderen Kandidaten teilzunehmen, warfen ihr Corbyn und andere vor, der offenen Konfrontation aus dem Weg zu gehen.
Das Wahlprogramm der Tories, das eindeutig Mays Handschrift trägt, hat auch nicht unbedingt zu ihrer Beliebtheit beigetragen. Unter anderem sind dort Pläne für Kürzungen bei Rentnern und eine Neuregelung der Finanzierung für die Langzeitpflege enthalten, die beim älteren Wählerstamm der Tories nicht gut ankommen dürften. All diese Punkte ließen den Vorsprung von Mays Partei vor Labour schrumpfen.
Absturz von 20 auf sechs Prozentpunkte
Noch immer liegt May mit ihrer Partei vor Labour und es scheint unwahrscheinlich, dass Jeremy Corbin sie in einer Woche als Premierministerin ablösen kann. Doch May dürfte sich den Wahlkampf und die entscheidende Woche vor dem Gang an die Urnen anders vorgestellt haben. Von den zwischenzeitlich komfortablen 20 Prozentpunkten Vorsprung auf Labour, sind bis zuletzt nur noch 5,9 Prozentpunkte geblieben.
Besonders schwer düften die beiden Terroranschläge in Manchester und London auf das Wahlergebnis Einfluss nehmen, denn May hatte zwischen 2010 und 2016 als damalige Innenministerin den Abbau von 20 000 Polizeistellen verantwortet. Zwar betonte May wiederholt, dass der Anti-Terror-Kampf von den Kürzungen ausgenommen gewesen sei. Die Entscheidungen von früher setzen die Premierministerin im Wahlkampf-Endspurt enorm unter Druck. Um wie viele Stimmen, wird die Wahl am Donnerstag zeigen.