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Armenien: Die "samtene Revolution" macht mich stolz


Umbruch in Armenien
Die "samtene Revolution" macht mich stolz

MeinungAni Palyan

Aktualisiert am 08.05.2018Lesedauer: 3 Min.
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Proteste in Armenien: Auch die Kleinsten sind Teil der "samtenen Revolution".Vergrößern des Bildes
Proteste in Armenien: Auch die Kleinsten sind Teil der "samtenen Revolution". (Quelle: Ani Djaferian/imago-images-bilder)

In Armenien findet derzeit ein Umbruch statt. Friedlich haben die Menschen eine korrupte Regierung gestürzt. Als Armenierin in Deutschland macht mich das stolz.

Die folgende Frage bekommt jeder Armenier mindestens einmal in seinem Leben gestellt: Wo liegt Armenien eigentlich? Irgendwo zwischen Asien und Europa, was auch die Kultur des Landes im Kaukasus am besten beschreibt. Erst war es Teil des Osmanischen Reiches, später eine Republik in der Sowjetunion, bis 1991 endgültig die Unabhängigkeit deklariert wurde. Frei fühlten sich die Einwohner trotzdem nicht – vor allem nicht unter Präsident Sersch Sargsjan.

Mehr als reine Politik

Ob Völkermord oder Diktatur unter Stalin: Die Armenier wurden jahrhundertelang unterdrückt. Oberflächlich gesehen waren die rund drei Millionen Einwohner des kleinen Landes unzufrieden mit der Regierung, als sie zuletzt in Massen auf die Straßen strömten. Sie wollten verhindern, dass der korrupte Sargsjan eine weitere Amtszeit regiert, obwohl er versprochen hatte, dies nicht zu tun.

Beeindruckende Bilder von den Protesten landeten auf meiner Facebook-Startseite: Hunderttausende setzten sich friedlich für politische Veränderungen ein. Die Demonstranten erreichten ihr Ziel, Sargsjan und dessen Regierung traten zurück. Ihr Erfolg war aber so viel bedeutender als dieses politische Ziel: Die Stimme des armenischen Volkes wurde endlich gehört.

Die Jugend formt die Zukunft

Mein erster Gedanke war: Warum hat es so lange gedauert, bis sich die Menschen in meinem Heimatland bemerkbar machten? "Wir haben Sersch Sargsjan und die Regierung toleriert, weil wir die Hoffnung an eine Veränderung aufgegeben hatten", schreibt mir mein Cousin Narek aus der Hauptstadt Jerewan. "Die anfänglichen Zweifel waren nicht in Angst verwurzelt, sondern darin, dass alle Proteste davor erfolglos geblieben waren."

Narek ist ein politisch engagierter Student und war dabei, als die Demonstrationen ihren Anfang nahmen. Jugendliche bildeten das Rückgrat der "samtenen Revolution" und forderten die ganze Nation dazu auf, an den Protesten teilzunehmen. "Es war wie eine Welle – selbst die antriebslosesten Bürger wurden in den Bann gezogen", erzählt Narek weiter.

"Es war keine Revolution, es war ein Festival"

Als ich in den sozialen Medien zum ersten Mal gesehen habe, wie sich Tausende Menschen am Platz der Republik versammelten, ahnte ich nichts Gutes. Demonstrationen und Menschenmengen habe ich vor allem mit blutiger Eskalation in Verbindung gebracht – doch es kam zum Glück anders.

Die Protestbewegung wird bewusst "samtene Revolution" genannt: Es gab keine Gewalt, keine Ausschreitungen, kein einziges Fenster wurde eingeschlagen. Es hat sich eher angefühlt "wie ein Festival", berichtet mein Cousin vor Ort.

Es machte mich stolz, zu wissen, dass selbst jahrelange Unterdrückung und Unzufriedenheit die positive Stimmung der Armenier nicht verändert hatten: Sie blockierten die Straßen und legten Jerewan systematisch lahm, bis ihre Forderungen erfüllt wurden. Es wurde im Kreis getanzt, "Xhorovats", ein Nationalgericht, für die Nachbarn gegrillt und Schach auf den Straßen gespielt – armenischer geht es wohl kaum.

Warum die Proteste alle Armenier betreffen

Mich packte sofort die Sehnsucht nach meinem Heimatland, weil man als Armenier in der Diaspora eine Art Pflichtgefühl hat, den kleinen Fleck im Kaukasus zu unterstützen. Also teilten wir im Ausland fleißig jeden Beitrag und machten so unsere Solidarität mit unseren Landsleuten deutlich. Es ist ein befreiendes Gefühl zu sehen, dass mein Volk konsequent für Veränderungen kämpft, ohne dass es Tote oder Verletzte gibt.

Ob es Oppositionsführer Nikol Pashinyan schafft, an die Macht zu kommen, steht noch in den Sternen. Was für mich aber fest steht: Die Armenier haben es satt, ihr Schicksal schweigend hinzunehmen. Wir haben einen Genozid, sowjetische Schreckensherrschaft und andauernde Konflikte mit Nachbarländern überstanden, eine korrupte Regierung wird uns nicht besiegen. Wegen dieses Ehrgeizes bin ich stolz darauf, armenische Wurzeln zu haben.

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