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Iran: Stürzt die Bevölkerung das Mullah-Regime nach dem Krieg mit Israel?


Kommt es im Iran zur Revolution?
"Es gibt einen zerstörerischen Zusammenhang"

InterviewVon Julius Zielezinski

Aktualisiert am 27.06.2025 - 16:09 UhrLesedauer: 5 Min.
Proteste im IranVergrößern des Bildes
Der Tod der jungen Iranerin Mahsa Amini im September 2022 hatte landesweit Proteste ausgelöst (Archivbild): In vorderster Reihe standen damals Frauen. (Quelle: Uncredited/AP/dpa/dpa)
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Wie stabil ist das Regime im Iran nach den Angriffen der israelischen Armee und der US-Luftwaffe? Ein Experte ordnet ein und erklärt, wie die Bevölkerung dort nun auf die Staatsführung blickt.

Zwölf Tage dauerten die Angriffe auf den Iran. Das Ausmaß der Zerstörungen ist immer noch unklar. Ebenso die Chancen der Zivilgesellschaft auf einen Umsturz im Land. Denn viele Iraner lehnen das autoritäre Regime ab. Große Aufstände gab es zuletzt aber nicht mehr.

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Der Iran-Experte Mohammad Reza Farzanegan spricht im t-online-Interview über mögliche Solidarisierungseffekte mit dem Regime nach den Luftschlägen und darüber, warum einem möglichen Aufstand im Iran eine starke Mittelschicht fehlt. Zudem verrät er, wie wahrscheinlich ein baldiger Machtwechsel ist.

t-online: Herr Farzanegan, wie steht die iranische Bevölkerung zum Atomprogramm?

Mohammad Reza Farzanegan: Vor dem Zwölf-Tage-Krieg hat die Gesellschaft das Programm noch positiv gesehen. Viele Iraner stellen sich nun aber die Frage, was die vielen Investitionen in das Atomprogramm gebracht haben. Man produziert weder viel Strom aus Atomkraft, noch hat man eine Atombombe. Und nun haben Israel und die USA plötzlich einen Großteil der Anlagen zerstört. Aus nationaler Sicht ist das ein herber Verlust an Ressourcen.

Wie überraschend kamen die Angriffe auf die Anlagen für den Iran?

Die Führung in Teheran war eigentlich darauf eingestellt, mit den USA weiterzuverhandeln. Dann begannen zwei Tage vorher die Angriffe. Das Regime wurde also ziemlich überrascht, trotzdem gelang es ihm schon in den ersten Tagen nach dem Angriff, die Lage im Innern zu stabilisieren.

Was waren die Gründe für die Angriffe?

Ein Hauptgrund war: Man wollte das Land destabilisieren. Denn innerhalb des Iran gibt es eine wachsende Unzufriedenheit mit dem Regime, insbesondere mit der schlechten wirtschaftlichen Situation – die den Sanktionen gegen den Iran geschuldet ist. Die Angriffe sollten einen Aufstand auslösen und das Land in einem ähnlichen Chaos versinken lassen wie Syrien. Doch das syrische Szenario hat sich nicht wiederholt.

Wie hat sich die Stimmung seit Kriegsausbruch verändert?

Die Gefühle sind gemischt. Einerseits hat die Bevölkerung unter den erheblichen Angriffen durch Israel gelitten und sich entsprechend stark um ihr Leben gesorgt. Das hat zu einem negativen Bild Israels in der iranischen Gesellschaft geführt. Andererseits hat es auch den sogenannten "Rally 'round the flag"-Effekt, bei dem sich Menschen bei äußeren Angriffen mit ihrer Regierung solidarisieren, und die Betonung nationaler Interessen verstärkt. Aber natürlich kritisieren die Menschen auch die Unfähigkeit der Regierung, das zivile Leben wirksam gegen solche Angriffe zu schützen.

(Quelle: Universität Marburg)

Zur Person

Prof. Dr. Mohammad Reza Farzanegan ist stellvertretender geschäftsführender Direktor des Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Universität Marburg. Er ist dort Professor für die Wirtschaft des Nahen Ostens. Ein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Iran, wo er selbst herkommt und seine akademische Laufbahn begann.

Was genau meinen Sie?

Die Menschen werfen der politischen Führung des Landes vor, einen Krieg in Kauf genommen zu haben, ohne in der Lage zu sein, das eigene Volk zu schützen. Es gab etwa viel zu wenig Schutzräume. Viele Iraner fragen sich, wofür die Staatsführung diesen enormen Überwachungsapparat aufgebaut hat, wenn es israelischen Diensten leicht möglich war, ein weitverzweigtes Netzwerk im Land aufzubauen. Zudem hinterfragen die Menschen die Einmischungen in Konflikte außerhalb des Landes. Was hat es in Syrien oder dem Libanon gebracht? Nichts! Weder wirtschaftlich noch politisch.

Geben die Menschen dem eigenen Regime also auch die Schuld am Ausbruch des Kriegs?

Nicht unbedingt. Viele Menschen dort sehen auch, dass der Konflikt in diesem Fall nicht wegen des Iran eskaliert ist. Die iranische Politik hat zwar zu der angespannten Lage beigetragen, aber der Krieg wurde dem Iran an jenem Tag aufgezwungen.

Inwiefern könnten die Angriffe das Regime auch stabilisieren?

Die iranische Bevölkerung hatte schon immer einen sehr ausgeprägten Nationalstolz. Und dieser Nationalstolz wird durch die äußeren Aggressionen nur weiter verstärkt. Die Menschen im Iran äußern zwar Kritik, doch sobald es eine äußere Bedrohung gibt, rücken sie schnell zusammen. Diesen Effekt gab es sogar in Teilen der im Ausland lebenden Opposition.

Kann dieser Solidarisierungseffekt anhalten?

Wenn es zu positiven Veränderungen und Reformen in der Politik kommt, könnte das Regime auch längerfristig davon profitieren. Dafür muss die Regierung in Teheran aber lernen, dass es die eigene Bevölkerung braucht und dass es größere Probleme gibt als die Frage, ob Frauen Kopftuch tragen oder nicht. Ein Land, das unter diesem Ausmaß von Sanktionsdruck und äußeren Bedrohungen steht, kann seine knappen Ressourcen nicht für solche Dinge verschwenden.

In den vergangenen Jahren gab es im Iran pro-demokratische Proteste, zuletzt machte 2022 und 2023 die Bewegung "Frauen, Leben, Freiheit" mobil. Doch seitdem ist es still geworden um diese Protestgruppen. Was ist passiert?

Für eine demokratische Bewegung braucht es eine starke, gebildete Mittelschicht. Die hatte der Iran in der Vergangenheit meist. Sie bringt die nötigen Ressourcen und Freiräume mit, um sich mit Fragen nach politischen und sozialen Rechten und anderen gesellschaftlichen Anliegen auseinanderzusetzen. Aber diese Mittelschicht ist in den vergangenen Jahren deutlich geschwächt worden. Der Hauptgrund dafür sind die internationalen Sanktionen.

Inwiefern?

Es gibt einen zerstörerischen Zusammenhang: Die Sanktionen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass viele frühere Angehörige der Mittelschicht heute zu den unteren Einkommensgruppen zählen. Die Armutsrate im Land ist deutlich gestiegen. So waren die Sanktionen kontraproduktiv. Sie sollten den Staatsapparat schwächen, doch haben dazu geführt, dass der Staatsapparat indirekt stabilisiert wurde.

Wie ist das passiert?

Die Staatsführung hat infolge der Sanktionen viele Wirtschaftsbereiche monopolisiert, die zuvor wettbewerbsfähiger und offener für internationale Investoren waren. Heute kontrolliert die politische Führung zentrale Ressourcen – und verteilt sie nach eigenem Ermessen. In dieser Lage sind die Menschen zunehmend auf die staatliche Verteilung von Wohlstand angewiesen – ihre wirtschaftliche Existenz hängt direkt vom Staat ab. Und wer in solch einem Abhängigkeitsverhältnis steht, kann den Staat kaum herausfordern.

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Es wird also zeitnah nicht zu einem Machtwechsel in Teheran kommen?

Das ist sehr unwahrscheinlich. Durch die Sanktionen ist zwar das Risiko gesellschaftlicher Unruhen gewachsen, aber durch die geschwächte Mittelschicht fehlen Kräfte, die diese Unruhen in eine pro-demokratische Richtung lenken könnten. Dazu kommt, dass es innerhalb der Opposition keine Person gibt, die eine Führungsrolle einnehmen könnte.

Was ist mit Reza Pahlavi, dem Sohn des letzten Schahs? Dieser hat zu einem Regimewechsel aufgerufen.

Es gibt im Exil und selbst im Iran Anhänger der Monarchie, die ihn als einzig legitimen Machthaber im Iran sehen. Aber ob sie für ihn ihr Leben riskieren würden, ist fraglich.

Wie wird der Schah-Sohn denn im Iran gesehen?

Ihm steht seine Nähe zu Israel im Weg. Er war im vergangenen Jahr dort und traf unter anderem den Premierminister Benjamin Netanjahu. Während des Kriegs trat Pahlavi öffentlich auf und erklärte seine Bereitschaft zur Machtübernahme – was so interpretiert werden kann, dass er von der militärischen Aggression eines anderen Landes profitieren will. Ein Führer, der durch äußere Intervention an die Macht gelangen möchte, sendet selten ein hoffnungsvolles Signal für den Wohlstand eines Landes – weder im Iran noch anderswo.

Herr Farzanegan, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Mohammad Reza Farzanegan
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