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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Profitiert Russland vom Krieg in Nahost? Putin wandelt auf einem schmalen Grat

Der neue Krieg im Nahen Osten ist ein großer geopolitischer Faktor. Russland droht, mit dem Iran einen weiteren Partner in der Region zu verlieren – und könnte dennoch von dem Konflikt profitieren.
Am Montagabend änderte sich im Nahen Osten schlagartig die Lage. Nach den US-Angriffen auf Atomanlagen im Iran griff Teheran Militärstützpunkte der USA in Katar und im Irak an. Es gab keine Toten oder Verletzten. Der Iran beeilte sich danach, Signale an Washington zu senden, dass Teheran den Vergeltungsschlag als abgeschlossen betrachtet. Dann meldete sich Donald Trump. Der US-Präsident schrieb auf seiner Plattform Truth Social, dass es eine Waffenruhe zwischen Israel und dem Iran geben soll.
Doch die Waffenruhe scheint brüchig zu sein. Israel bezichtigte den Iran alsbald, dagegen verstoßen zu haben, und kündigte Vergeltung an. Der Iran wies das zurück: Die Raketen, die auf Israel flogen, seien kurz vor der Waffenruhe abgefeuert worden. Erneut griff Trump ein und ermahnte Israel, keine weiteren Angriffe durchzuführen – doch die israelische Luftwaffe war bereits unterwegs. Der Krieg, das scheint nun klar, lässt sich nicht einfach wegwischen.
Auffallend still blieb nach den US-Angriffen auf den Iran zunächst ein Mann: Wladimir Putin. Der Kremlchef äußerte sich erst am Montag bei einem Treffen mit dem iranischen Außenminister Abbas Araghtschi in Moskau. Putin sprach dabei von einer "unprovozierten Aktion", nannte die Angriffe "ungerechtfertigt" und versprach dem iranischen Volk Hilfe. Militärische Hilfe aus Russland kann das Regime in Teheran – trotz einer strategischen Partnerschaft mit dem Kreml – also wohl nicht erwarten.
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Dass Russland mit eigenen militärischen oder anderen Mitteln in diesen Krieg eingreift, ist äußerst unwahrscheinlich. Putin hält sich betont zurück und beobachtet die Situation. Energischer reagieren muss der Kremlchef aktuell nicht – denn die neue Lage in Nahost hat das Potenzial, sich mittelfristig zu seinen Gunsten zu entwickeln.
Putin verlor einige Partner in Nahost
Auf den ersten Blick scheint Russlands Einfluss in der Region zurückzugehen. Erst fiel 2003 Saddam Hussein im Irak, dann stürzte Muammar Gaddafi 2011 in Libyen. Im vergangenen Dezember verlor Putin außerdem mit Baschar al-Assad seinen Verbündeten in Syrien – und nun steht auch das Mullah-Regime in Teheran am Abgrund. Es verbleiben gute Beziehungen zum kriselnden Libanon und zum israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu, der Russland zuletzt jedoch auch wegen seiner Beziehungen zum Iran und zur Hamas kritisierte und seinen wichtigsten Partner in Washington hat.
Ein möglicher Sturz des iranischen Regimes würde sich zweifellos in die Rückschläge Russlands im Nahen Osten einreihen. Doch bis dahin wird Putin die Situation für sich nutzen, um Russland in die bestmögliche Ausgangslage für die Zeit danach zu bringen. Der Kremlchef ist der wohl mächtigste Akteur, der einen direkten Draht sowohl zum Iran als auch zu Israel hat – und seit US-Präsident Donald Trump wieder im Weißen Haus sitzt, haben sich die Beziehungen zu den USA für Moskau ebenfalls schlagartig verbessert.
Russland will Vermittler sein
Angesichts dessen hat sich Putin bereits mehrfach als Vermittler angeboten, um den Konflikt im Nahen Osten zu befrieden. Trump hatte sich dafür zunächst offen gezeigt, Putin dann aber mit Verweis auf dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine an die Seitenlinie gestellt.
Offiziell ist Moskau ohnehin nur für die friedliche Nutzung von Atomkraft im Iran und spricht sich gegen die nukleare Bewaffnung des Landes aus. Angesichts dessen drang Putin womöglich bei seinem Treffen mit dem iranischen Außenminister am Montag darauf, dass der Iran an den Verhandlungstisch zurückkehre – auch wenn ausgerechnet Araghtschi selbst solche Forderungen mit Blick auf die Angriffe der USA noch am Sonntag als "irrelevant" zurückwies.
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Stehen die Zeichen auf Frieden in Nahost?
Doch Donald Trumps Ankündigung eines Waffenstillstands änderte auch die Tonart Araghtschis. Kurz nach der Mitteilung des US-Präsidenten schrieb er auf der Plattform X, derzeit gebe es keine Vereinbarung über eine Waffenruhe oder die Einstellung der Militäroperationen. Sofern jedoch Israel seine "illegale Aggression" gegen das iranische Volk spätestens um 4 Uhr morgens Teheraner Zeit (2.30 Uhr MESZ) einstellt, "haben wir nicht die Absicht, unsere Reaktion danach fortzusetzen".
Ist das schon ein Signal des Einlenkens? Hat Putin also erfolgreich Druck auf den Iran ausgeübt? Bisher gibt es dafür keine Anzeichen. Vor allem Katar soll als Vermittler im Israel-Iran-Krieg aufgetreten sein. Der Kremlchef rang sich in Moskau vor dem Treffen mit Araghtschi auch nur ein müdes Statement ab, das den Iran wohl nicht darin bestärkt haben dürfte, auf militärische Eskalation zu setzen. Das scheinbare Desinteresse Putins kommt nicht von ungefähr.
Vorteil 1: Der Fokus rückt vom Ukraine-Krieg weg
Denn für Putin selbst steht dieser Tage ohnehin nur ein Thema im Fokus: sein Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Kremlchef ordnet seine gesamte Politik dem Ziel unter, sich das Nachbarland einzuverleiben. Der neue Krieg zwischen dem Iran und Israel mit den USA hilft ihm dabei indirekt, da sich nun aus Sorge vor einem Flächenbrand die gesamte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den Nahen Osten und weg von der Ukraine richtet.
Das hat für Putin den Vorteil, dass sich die USA nun noch schneller vollständig aus den Ukraine-Hilfen zurückziehen könnten. Schon jetzt liefert Washington kaum mehr Kriegsgerät in die Ukraine und überlässt dies sowie die Finanzierung der Hilfen den Europäern. Trump scheint zudem zunehmend das Interesse an diplomatischen Lösungen zu verlieren, da bisherige Initiativen nicht gefruchtet haben.
Putin schlägt sich ebenso nicht eindeutig auf die Seite des Iran, weil er den US-Präsidenten nicht verärgern will. Dieser zeigt derzeit im Nahen Osten die Entschlossenheit, die er in den Augen vieler Beobachter angesichts des Ukraine-Kriegs stets missen ließ. Im Nahen Osten setzt Trump auf strategische Ambiguität, führte den Iran vor dem Luftangriff auf dessen Atomanlagen in die Irre und lässt seinen Worten Taten folgen. Sollte der Fokus der Welt wieder auf die Ukraine gleiten, könnte Trump diesen Ansatz womöglich übertragen.
Putin will ihm also aus Eigennutz nicht in die Parade fahren. Noch dazu würde der Kremlchef von einem längeren heißen Konflikt im Nahen Osten und fortlaufendem Beschuss zwischen Israel und dem Iran wirtschaftlich profitieren.
Vorteil 2: Der Ölpreis lässt Russlands Staatskasse klingeln
Das würde etwa passieren, wenn der Iran etwa die Straße von Hormus sperrt. Die rund 55 Kilometer schmale Meerenge verbindet den Persischen Golf mit dem Golf von Oman, dem Arabischen Meer und dem Indischen Ozean. Jeden Tag verschiffen die Staaten der Region rund ein Fünftel der weltweiten täglichen Fördermenge durch die Straße von Hormus – laut der US-Energieinformationsbehörde EIA sind das gut 20 Millionen Barrel. Blockiert der Iran die Meerenge, würden die USA wohl erneut militärisch eingreifen. Derzeit scheint eine Blockade daher unwahrscheinlich.
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Angesichts dessen und der israelischen Luftangriffe auf Energieinfrastruktur im Iran waren in der vergangenen Woche die Ölpreise bereits in die Höhe geschnellt. Nach der Ankündigung eines Waffenstillstands beruhigte sich der Markt wieder leicht. Dennoch dürfte Putin sich gefreut haben.
Denn für Russland ist ein steigender Ölpreis immer eine gute Nachricht – das spült mehr Geld in Putins Kassen, auch wenn der Preisanstieg nur knapp zwei Wochen anhielt. Noch besser kommt die Nachricht nämlich aus Sicht des Kremls in Kriegszeiten, wenn die heimische Rüstungsindustrie und Bemühungen zur Rekrutierung neuer Soldaten große Mengen an Geld verschlingen. An diesem Punkt befindet sich Russland derzeit. Kürzlich warnte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow gar vor einer Rezession.
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Aus russischer Sicht muss diese Situation genutzt werden. Noch dazu könnte Russland sein eigenes Exportvolumen wohl steigern. China ist Hauptabnehmer iranischen Öls. Wenn Teheran diesen Bedarf nicht decken kann, muss das Öl andernorts aufgetrieben werden. Peking dürfte sich, ebenso wie andere betroffene Staaten, dann an Putin wenden. Wie lange die Situation am Ölmarkt anhält, lässt sich kaum einschätzen – auch andere Ölstaaten wittern ihre Chance und erhöhen die Fördermengen. Das lässt die Preise weiter fallen.
Nachteil: Mögliche Partner können an Abkommen mit Putin zweifeln
Nicht zuletzt hat die Situation im Nahen Osten aber auch einen entscheidenden Nachteil für Putin. Mit seiner verhaltenden Reaktion auf den Krieg zwischen Israel und dem Iran zeigt sich einmal mehr, dass eine enge Partnerschaft mit Russland kaum mit langfristigen strategischen Vorteilen für das Gegenüber verbunden ist. Die Botschaft dessen an andere Staaten lautet: Kommt es zum Krisenmoment für den Partner, kann er sich auf Russland eher nicht verlassen.
Erst im Januar unterzeichneten Putin und sein iranischer Amtskollege Massud Peseschkian eine strategische Partnerschaft. Der Vertrag verpflichtet beide Länder, gemeinsamen Sicherheitsbedrohungen entgegenzuwirken, Informationen auszutauschen und davon abzusehen, einem Angreifer Hilfe zu leisten, falls eines der beiden Länder angegriffen wird. Außerdem sah der Vertrag Investitionen in Öl- und Gasinfrastruktur sowie die zivile Nutzung von Atomkraft vor.
Eine Militärallianz ist das Abkommen ausdrücklich nicht, wie Moskau dieser Tage auch immer wieder hervorhebt. Dennoch ist es ein mindestens mittelschwerer Imageschaden für Russland, wenn die über Jahre angepriesene Partnerschaft mit dem Iran im Ernstfall eines Krieges schnell ins Hintertreffen gerät.
Obendrein belieferte der Iran Russland in den vergangenen Jahren mit Kamikazedrohnen des Typs Shahed sowie ballistischen Raketen. Russland bekam damit jedoch auch das Know-how für die Drohnen und produziert diese seit geraumer Zeit im eigenen Land. Über das Wissen für den Bau effektiver ballistischer Raketen verfügt Russland selbst, an dieser Stelle verschafften die Lieferungen aus dem Iran jedoch der russischen Rüstungsindustrie einen Puffer, um Produktionskapazitäten hochfahren zu können. Dieser Puffer fällt nun weg.
Russland nutzt die iranische Isolation aus
Dennoch ist die Partnerschaft mit dem Iran für Putin vernachlässigbar. Teheran war für ihn eine Hilfe, die er aktuell durch gesteigerte Kapazitäten seiner Kriegswirtschaft nicht mehr unbedingt braucht. Drohnen und Raketen liefern ihm außerdem auch die Nordkoreaner.
Zudem weiß Putin auch: Der Iran hat kaum eine andere Wahl, als sich weiter an Russland zu halten. Jahrzehntelang war Teheran international weitgehend isoliert. Die Partnerschaft mit China und Russland hat das Land ein Stück weit aus dieser Isolation geholt. Würde Teheran sich von Putin lösen, könnte auch China das Land fallen lassen.
Außerdem braucht der Iran angesichts des Krieges die beiden Staaten umso mehr. Das von Israel zerstörte Kriegsgerät soll schnellstmöglich wieder ersetzt werden. Leicht wird das nicht. Russland zögerte schon nach dem ersten Austausch gegenseitiger Angriffe im vergangenen Jahr damit, zerstörte Flugabwehrsysteme vom Typ S-400 zu ersetzen. Auch deshalb hatte Israel nun mit seinen Luftschlägen verhältnismäßig leichtes Spiel.
Deswegen kann sich Putin Abwarten leisten. Doch eines liegt auf der Hand: Auch Russland ist diplomatisch im Krisenherd Nahost aktiv, denn Moskau will nicht noch mehr Einfluss in der Region verlieren.
- edition.cnn.com: "Even if Russia loses another Mideast ally, it stands to profit from the chaos" (englisch)
- news.sky.com: "Five reasons why we may not see anything more than rhetoric from Russia after US attacks Iran" (englisch)
- stern.de: "Und der heimliche Gewinner ist – Wladimir Putin" (kostenpflichtig)
- rferl.org: "Analysis: Do US Strikes On Iran Set Back Russia’s Ambitions, Or Can Putin Play Them To His Advantage?" (englisch)
- themoscowtimes.com: "A Strategic Partnership, Not a Military Alliance: Russia’s Role in the Israel-Iran Conflict" (englisch)
- carnegieendowment.org: "Could Russia Use the Israel-Iran Conflict to Its Advantage?" (englisch)
- edition.cnn.com: "What is the Strait of Hormuz and why is it so significant?" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa