Afghanistan: Erobern die Taliban Kundus ein drittes Mal?
Bis Ende 2020 war die Bundeswehr im nordafghanischen Kundus stationiert. Jetzt belagern die Taliban die Stadt, unter den mehr als 300.000 Einwohnern wΓ€chst die Verzweiflung.
In der von den radikalislamischen Taliban belagerten nordafghanischen Stadt Kundus herrscht angespannte Ruhe. MilitΓ€rfahrzeuge patrouillieren auf den ansonsten weitgehend leeren StraΓen, die meisten GeschΓ€fte sind geschlossen. Die Stadt wird von den Taliban belagert, die derzeit in Nordafghanistan vorrΓΌcken. Bis Ende 2020 war die Bundeswehr in Kundus fΓΌr die Stabilisierung der Sicherheitslage zustΓ€ndig.
ObstverkΓ€ufer Qudratullah ist verzweifelt. Seit dem Beginn der jΓΌngsten KΓ€mpfe in der Provinz hat er kaum mehr etwas verkauft. "Wenn die Regierung keinen Einsatz gegen die Taliban startet, wird deren Belagerung lange dauern."
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Kundus zΓ€hlt rund 300.000 Einwohner, tatsΓ€chlich sind es deutlich mehr, da viele Menschen vor KΓ€mpfen aus den umliegenden Provinzen in die Stadt geflΓΌchtet sind. Zahlreiche Menschen haben sich aus Angst vor den vorrΓΌckenden Taliban-KΓ€mpfern auf dem GelΓ€nde einer Schule verschanzt. "Wir sind sechs Familien, die hier seit drei Tagen zusammenleben", schildert Dschuma Khan die Lage auf dem GelΓ€nde. "Sie kΓΆnnen sehen, dass meine Kinder auf dem Boden sitzen." Hilfe habe es noch keine gegeben, klagt ein anderer Vater.
Kundus: 29 Tote und 220 Verletzte in einer Woche
Tausende Menschen seien bereits in die Hauptstadt Kabul oder in andere Provinzen geflohen, berichtet der Direktor der Abteilung fΓΌr FlΓΌchtlinge und Repatriierung in Kundus, Ghulam Sachi Rasuli. Rund 8.000 Familien seien innerhalb der Provinz vertrieben worden.
Am ΓΆstlichen Stadtrand von Kundus schieΓen afghanische SicherheitskrΓ€fte vereinzelt auf Stellungen der Taliban. Die Regierung hatte zuletzt zusΓ€tzliche Truppen nach Kundus verlegt. Die GesundheitsbehΓΆrden der Stadt melden seit dem Beginn von heftigen KΓ€mpfen vor einer Woche 29 tote Zivilisten und ΓΌber 220 Verletzte. Bewohner klagen ΓΌber Unterbrechungen der Wasser- und Stromversorgung.
Bewohner Hasib befΓΌrchtet, dass die Taliban bald eine Offensive auf die Stadt beginnen werden. "Wir fΓΌhlen uns nicht sicher", sagt er. "Wir haben zweimal mitangesehen, wie die Taliban die Stadt erobert haben, und wir wollen nicht, dass sie ihnen erneut in die HΓ€nde fΓ€llt." Er hofft, dass die Regierungstruppen die Belagerung beenden kΓΆnnen. 2015 und 2016 hatten die Taliban Kundus jeweils kurz eingenommen, bevor sie wieder vertrieben werden konnten.
Taliban erobern weitere Teile der Provinz Kundus
Seit Tagen gibt es heftige KΓ€mpfe zwischen den Taliban und den Regierungstruppen in der Provinz Kundus. Am Dienstag nahmen die AufstΓ€ndischen einen wichtigen GrenzΓΌbergang zu Tadschikistan im Norden und die nahegelegene Grenzstadt Schir Chan Bandar ein.
Am Donnerstag stattete der afghanische Innenminister Abdul Satar Mirsakwal der Stadt einen Kurzbesuch ab. "Kundus zu retten und zu beschΓΌtzen zΓ€hlt zu unseren obersten PrioritΓ€ten", sagte er in einer Videobotschaft. "Wir ergreifen ernsthafte MaΓnahmen und schicken mehr Waffen und technische AusrΓΌstung an die afghanischen Truppen in allen Provinzen."
Noch 1.100 Bundeswehrsoldaten in Masar-i-Scharif
Die Taliban sind seit Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen aus Afghanistan auf dem Vormarsch. Seit Anfang Mai haben sie mehrere groΓe Offensiven gestartet und geben an, knapp 90 der 400 Bezirke des Landes erobert zu haben. Die Regierung widerspricht zahlreichen Angaben der AufstΓ€ndischen, die nur schwer von unabhΓ€ngiger Seite verifiziert werden kΓΆnnen.
Die Bundeswehr stellt im Rahmen der derzeit endenden Nato-Mission "Resolute Support" in Afghanistan das zweitstΓ€rkste Kontingent nach den USA. Der GroΓteil der deutschen Soldaten ist in der NΓ€he der Stadt Masar-i-Scharif gut 150 Kilometer westlich der Stadt Kundus stationiert. Die zuletzt noch etwa 1.100 deutschen Soldaten in dem Land sollen spΓ€testens bis September heimkehren.