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Brand in Notre-Dame: Findet Emmanuel Macron die richtigen Worte?


Was bedeutet das Flammeninferno für Präsident Macron?

  • Gerhad Spörl
Von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 17.04.2019Lesedauer: 4 Min.
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Emmanuel Macron: Der französische Präsident muss jetzt die richtigen Worte finden.Vergrößern des Bildes
Emmanuel Macron: Der französische Präsident muss jetzt die richtigen Worte finden. (Quelle: Yoan Valat/Pool/Reuters-bilder)

Frankreich hielt den Atem an, als die Flammen Notre-Dame zu zerstören schienen. Es ging glimpflich aus. Präsident Macron kann seine Rede über Reformen nachholen. Findet er die richtigen Worte?

Natürlich steht Notre-Dame, dieses wunderbare Bauwerk, in Paris – aber es gehört uns allen, uns Europäern. Vor fast 900 Jahren haben sie damit angefangen, diese Kirche zu bauen und damals war den Menschen nur dieses Europa bekannt, das eben nicht nur auf die Ökonomie, sondern zuerst und zuletzt auf einer gemeinsamen Kultur gründet.

Daran haben uns diese hochschlagenden Flammen erinnert, dieses Höllenfeuer in einer gotischen Kathedrale, die schlank nach oben ausgerichtet sein sollte und den Gläubigen bedeuten wollte: Seht her, auf ihn kommt es an, auf Gott, auf das Jenseits, das sollt ihr im Diesseits bedenken, weil ihr es verlassen müsst, bald schon.

Stadt der Kirchen und Denkmäler

Paris ist eine Stadt der Kirchen und Denkmäler. Arc de Triomphe. Sacré-Cœur. Der Louvre. Der Eiffelturm. Das Panthéon für die Größen des Geistes und der Macht. Von Versailles zu schweigen. All das gehört den Franzosen, schon wahr, aber es gehört auch uns. Es gehört genauso zu Europa wie das Gotteshaus für die Gottesmutter Maria, bei dem größere Teile des Dachstuhls aus Eichenholz verglühten, der hölzerne Vierungsturm einstürzte und das Gewölbe der Hauptschiffe an mindestens zwei Stellen durchbrach.


Frankreich weinte, aus Angst, das auch die beiden Türme aus Sandstein, 69 Meter hoch, einstürzen könnten. Frankreich trauerte. Frankreich stand still. Den Wahlkampf setzten sie aus. Emmanuel Macron, der gerade eine Rede, die groß sein sollte, was denn sonst, für das Fernsehen aufgezeichnet hatte, als sich die Nachricht vom Brand verbreitete, verschob die Ausstrahlung. Die Gelbwesten, die seit Wochen Autoreifen und Barrikaden anzünden, sahen fürs erste davon ab. Kaum zu glauben, dass sie damit nach einer Gedenkminute weitermachen werden, als wäre nichts gewesen.

Frankreich, immer wieder Frankreich

Alle dachten wir: bloß nicht wieder ein Anschlag, nicht schon wieder der "Islamische Staat". Es ist ja erst dreieinhalb Jahre her, dass 130 Menschen bei den koordinierten Attentaten auf das Bataclan und die Cafés und Restaurants in der Nähe ermordet wurden. In einem Pamphlet nannten die Terroristen damals Paris einen Sündenpfuhl der Prostitution und des Lasters.

Vier Jahre ist es her, dass "Charlie Hébdo", das linke Satireblatt, das Mordziel einer Gruppe war, die sich auf Al-Qaida berief. Zwei Täter töteten zwölf Menschen. Auch damals fiel die Solidarität in Europa überwältigend aus. So muss es sein. So hat es Frankreich, so hat es jedes angegriffene Land verdient.

Diesmal war kein Anschlag die Ursache. Paradoxerweise liegen dem Brand allem Anschein nach Restaurationsarbeiten zugrunde. Bald werden wir mehr wissen.

Frankreich, immer wieder Frankreich. Frankreich ist das Herz Europas. Frankreich hat sich sein historisches Erbe bewahrt, es besitzt überhaupt ein erstaunlich ungebrochenes Verhältnis zu seiner Vergangenheit, über das wir Deutschen nur staunen können. Vor rund 100 Jahren pilgerten französische Intellektuelle und Schriftsteller nach Deutschland zu Martin Heidegger und Carl Schmitt und Thomas Mann. Heute lesen Deutsche Michel Houellebecq, den interessantesten Gegenwartsschriftsteller, und lauschen Bernard-Henri Lévy, der auf der Bühne lange, kluge Monologe über Europa hält.

Halbherzig liegt Macron ganz und gar nicht

Frankreich hat auch Emmanuel Macron, den quirligen, anspruchsvollen, klugen Präsidenten. Im Alleingang hat er sein Land vor der Rechten gerettet, als sich Linke wie Konservative um jede Glaubwürdigkeit gebracht hatten. Er ist die Mitte, die überall sonst erodiert, er hat sie neu gebildet. Seine Vorschläge für die Fortentwicklung Europas sind spannend, um das Mindeste zu sagen. Wie schade, dass er niemanden in Europa findet, der ihm kongenial wäre.

Großbritannien hat die unglückliche Theresa May. Deutschland hat Angela Merkel im Dämmerlicht ihres Abschieds. Italien: Zyniker und Clowns, die Europa bespotten. Dagegen ist Macron ein Präsident und Europäer, der groß denkt und groß handeln will.

Am Abend, als Notre-Dame brannte, wollte er eigentlich den Franzosen erzählen, was er in der großen Debatte gelernt hatte. Mehr als 10.000 Runden kamen in Gemeindesälen und Brasserien zusammen, 16.000 Beschwerdehefte waren in den Rathäusern vollgeschrieben worden und 1,9 Millionen Franzosen schickten online ihre Wünsche an den Präsidenten. Fast immer geht es um direkte Demokratie, niedrige Steuern und die Finanzierung der ökologischen Transformation.

Anfangs war die große Debatte ein Kunstgriff des Präsidenten, den Protest der "Gelbwesten", der im Land auf Sympathie stieß, im endlosen Palaver zu ertränken. Dann aber stürzte er sich ins Getümmel und schien allgegenwärtig zu sein. Halbe Sachen liegen ihm nicht. Halbherzig kann er nicht. Ganz oder gar nicht.

Macrons Rede wird mit Spannung erwartet

Notre-Dame war kurz wichtiger als die große Debatte, die nur aufgeschoben ist. Bestimmt aber kommt Macron zugute, dass er am Tag des Brandes alles richtig gemacht hat. Er wirkte erschüttert wie so viele andere. Er fand die passenden Worte: Wir bauen unsere Kathedrale ganz schnell wieder auf, darauf könnt ihr euch verlassen, Geld wird kein Problem sein. Die Reichsten der französischen Reichen versprachen umgehend etliche Hundert Millionen Euro zu spenden. Angela Merkel sagte sofort Unterstützung zu, gut so. Notre-Dame gehört ja Europa.

Die Kathedrale, sie steht noch. Die Türme sind zum Glück nicht gefallen. Der Alltag kann jetzt wieder übernehmen. Bald wird die Rede des Präsidenten an die Nation übertragen. Findet er die richtigen Worte? Auf das Echo sind auch wir gespannt. Dann müssen die "Gelbwesten" entscheiden, ob sie mit der Gewalt gegen Sachen und Personen fortfahren wollen, einfach so. Am Ende wird sich zeigen, ob Emmanuel Macron einiges von der verlorenen Popularität zurückgewonnen hat.


Ja, Frankreich ist das Herz Europas. Notre-Dame soll wieder glänzen, damit wir uns daran erfreuen dürfen. Und Europa braucht die Strahlkraft des jungenhaften Präsidenten, der mehr will als alle anderen zusammen.

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