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Tulsa: Amerikas totgeschwiegenes Massaker wird aufgearbeitet


Das brutale Ende der "Schwarzen Wall Street"
Amerikas totgeschwiegenes Massaker


Aktualisiert am 03.06.2021Lesedauer: 3 Min.
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Trümmerlandschaft in Greenwood: Das Ende der "Schwarzen Wall Street".Vergrößern des Bildes
Trümmerlandschaft in Greenwood: Das Ende der "Schwarzen Wall Street". (Quelle: American National Red Cross/Library of Congress)

Vor 100 Jahren kam es in Tulsa, Oklahoma, zu einem grausamen Massaker – das bis vor Kurzem in den USA totgeschwiegen wurde. Während US-Präsident Joe Biden vorbeikommt, wird wieder nach Leichen gesucht.

Es brauchte keine 24 Stunden, um den Schwarzen ihren amerikanischen Traum zu zertrümmern. Die sogenannte "Black Wall Street" in Greenwood war ein bemerkenswertes Viertel, eines der reichsten afroamerikanischen im ganzen Lande: ein pulsierender Geschäfts- und Wohnbezirk im Norden der boomenden Erdöl-Stadt Tulsa in Oklahoma.

An nur wenigen Orten kamen so viele schwarze Ärzte, Anwälte, Geschäftsinhaber vor hundert Jahren dem "American Dream" so nah.

Doch am 31. Mai und am 1. Juni 1921 durchzog ein Mob der weißen Bewohner die Straßen Greenwoods. Sie plünderten die Häuser und Geschäfte ihrer schwarzen Nachbarn, brannten sie nieder, schossen in den Straßen wahllos auf Afroamerikaner.

Am Ende waren 35 Straßenblocks dem Erdboden gleichgemacht, bis zu 10.000 Afroamerikaner über Nacht obdachlos. Wer die Stadt nicht verließ, wurde in ein Internierungslager gesteckt. Die "Schwarze Wall Street" war ausgelöscht.

Es wird wieder nach Leichen gegraben

Das Massaker von Tulsa vor hundert Jahren wurde lange verschwiegen und schließlich vergessen. Doch seit ein paar Jahren drängt es in die Aufmerksamkeit der Nation. Amerikas Erbe der Sklaverei und Rassismus ist wieder Thema – genau wie die Frage des Umgangs damit. Zum Jahrestag des Massakers am Dienstag kommt nun US-Präsident Joe Biden nach Tulsa.

Dort beginnen auch neue Ausgrabungen, um weitere Opfer zu finden. Im vergangenen Jahr hat man bei Untersuchungen neue Hinweise auf Grabstellen entdeckt. Denn viele der Opfer wurden einfach verscharrt, ohne Aufzeichnungen, ohne Grabstein. Andere wurden vom Ufer in den Arkansas River geworfen. Wie viele es waren? Lange war von 20 bis 40 die Rede, dann von hundert. Mittlerweile gehen Experten davon aus, dass bis zu 300 Schwarze getötet wurden.

Eine verhängnisvolle Fahrstuhlfahrt

Der Gewaltausbruch hatte seinen Ursprung am 30. Mai genommen. Ein 19 Jahre alter schwarzer Schuhputzer namens Dick Rowland fuhr im Stadtzentrum Lift mit der Aufzugführerin Sarah Page, 17 Jahre alt und weiß. Was genau vorgefallen war, ist immer noch unklar. Die meisten Berichte – sowie eine Aussage der Frau selbst – sprechen davon, dass er stolperte und im Fallen den Arm der Frau ergriff.

Damals wurde er ohne zu zögern ins Gefängnis gesteckt. In den örtlichen Zeitungen erschienen prompt sensationalistische Berichte von einem sexuellen Übergriff – und binnen Stunden bildete sich vor dem Gefängnis ein Mob.

Lynchmorde waren im Süden der USA damals an der Tagesordnung, besonders schnell ausgelöst durch den Vorwurf, ein schwarzer Mann habe eine weiße Frau berührt. Und da die Schwarzen von Greenwood genau das verhindern wollten, positionierten sich Männer aus ihren Reihen, die im ersten Weltkrieg gedient hatten, vor dem Gefängnis, um Rowlands Leben zu schützen. In einem Handgemenge mit dem weißen Mob fiel ein Schuss, und dann nahm das Grauen seinen Lauf.

"Ich höre immer noch die Schreie"

Die Weißen waren ihnen nicht nur zahlenmäßig überlegen, sie bekamen von der Polizei auch Waffen gestellt und erhielten sogar Unterstützung von Flugzeugen, aus denen Brandbomben auf Greenwood geworfen wurden. 1.470 Häuser wurden geplündert und niedergebrannt. Viele wohlhabende Bewohner verließen die Stadt und arbeiteten wieder als einfache Farmarbeiter.

Eine der letzten Überlebenden sagte vor zwei Wochen vor dem US-Kongress zum Massaker aus. "Ich sehe immer noch schwarze Männer vor mir, die erschossen werden, die Leichen von Schwarzen in den Straßen", so die 107-jährige Tulsa-Überlebende Viola Fletcher. "Ich sehe immer noch Geschäfte von Schwarzen vor mir, die niedergebrannt werden. Ich höre immer noch die Schreie."

Fletcher will, dass Entschädigungen an Überlebende und ihre Nachfahren gezahlt werden. Eine Kommission in Tulsa, die das Unrecht aufarbeiten sollte, streitet um diese Frage. Ein Gedenkkonzert zum Jahrestag mit Popstar John Legend wurden wegen Hickhacks darum, wie viele Gelder an Überlebende fließen sollen, abgesagt. Vor Ort erwarten die Aktivisten mit Spannung, ob sich der US-Präsident zu dieser Frage positioniert.

Das Thema der Reparationen ist allerdings nur eines von zahlreichen ungeklärten Kapiteln hundert Jahre nach dem Massaker von Tulsa. Da wäre etwa auch die Schuldfrage: Von den Tätern, die ihre schwarzen Nachbarn ausraubten, vertrieben oder erschossen, wurde kein einziger angeklagt geschweige denn bestraft.

Verwendete Quellen
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