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Der Fernsehmann nannte sich "Alpha-Tier"
Ein Auslandskorrespondent der ARD soll einer Praktikantin Pornos gezeigt und einer Kollegin eindeutige E-Mails geschrieben haben. Der WDR wusste offenbar davon. Und schickte nicht einmal eine Abmahnung.
Als die WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich im vergangenen November in den "Tagesthemen" zum Kommentar ansetzte, sprach eine Frau, die sich mit ihrem Thema bestens auskannte. Es ging um die #MeToo-Debatte, um Frauen, die öffentlich machen, wie sie sexuell belÀstigt wurden. Das Thema schwappte damals aus den USA nach Deutschland.
Champagner und Pornofilme
Sonia Mikich hÀtte den Zuschauern an diesem Abend von einem Kollegen erzÀhlen können, einem bekannten ARD-Korrespondenten, von dessen junger Kollegin, von Champagner und Pornofilmen im Hotelzimmer. Sie hatte den Fall, der in ihrem Sender spielt, gerade erst aufgearbeitet.
Die renommierte Journalistin belieĂ es im Kommentar bei einigen allgemeinen Feststellungen. Es bewege sich endlich etwas, sagte sie, die weltweite #MeToo-Kampagne breche die Schweigespirale auf.
Der "Stern" und das Recherchezentrum "Correctiv.org" sind dem Fall des langjĂ€hrigen Auslandskorrespondenten nachgegangen. Aus rechtlichen GrĂŒnden wird dessen Name hier nicht genannt. Auch so erzĂ€hlt seine Geschichte vom Verhalten eines Mannes, der sich ĂŒber Jahrzehnte sehr viel herausnahm. Sie zeigt, wie der gröĂte Sender im ARD-Verbund sexueller BelĂ€stigung begegnet. Und sie wirft die allgemeine Frage auf, wie Arbeitgeber in solchen FĂ€llen angemessen reagieren.
Berlin, in einem Restaurant, Mitte MÀrz. Die junge Frau möchte anonym bleiben. Sie schildert, wie sie vor sechs Jahren ihr Praktikum in jenem Auslandsstudio antrat, das der Korrespondent damals leitete. Mitarbeiter vor Ort hÀtten sie vor dem Chef gewarnt. Sie war 22 Jahre alt.
Sie berichtet von einer Reise in den SĂŒden des Landes, von einer Recherche fĂŒr einen Beitrag ĂŒber die Kneipenszene dort. Der Korrespondent habe sie dabei irgendwann "Hasi" genannt und den Arm um sie gelegt. Er habe ihr auch von einer Pornoserie namens "Bang Bus" erzĂ€hlt; Frauen wird darin Geld geboten, in einem Bus vor laufender Kamera Sex zu haben.
SpĂ€ter kehrten sie ins Hotel zurĂŒck. "Ich musste auf dem Weg in mein Zimmer an seinem Zimmer vorbei", erzĂ€hlt die junge Frau. "Im Flur lud er mich auf einen Drink zu sich ein." Sie beschreibt, wie unangenehm ihr das Angebot war. Sie habe ihrem Chef aber keine böse Absicht unterstellen wollen. "In seinem Zimmer schenkte er Champagner ein und addete mich auf Facebook. Dann zeigte er mir auf seinem Laptop Bang-Bus-Pornos." Sie habe das Zimmer dann verlassen, sagt die Frau, die ihre Angaben mit einer eidesstattlichen Versicherung untermauert.
Ăber Jahre hat sie nichts von dem Vorfall erzĂ€hlt â bis ihr Ende 2016 eine Freundin von einer Ă€hnlichen Erfahrung berichtete. "Ich hatte meiner Freundin geraten, das bloĂ nicht hinzunehmen. In dem Moment wurde mir aber klar, dass ich ja selbst seit Jahren schwieg." Sie meldete sich bei der WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich.
Drei Betroffene melden den Mitarbeiter
Die ehemalige Praktikantin ist nicht die einzige Frau, die solche Erfahrungen mit diesem Korrespondenten machte. Auch eine heute sehr bekannte Journalistin hat sich beim WDR gemeldet und ihr Erlebnis mit dem Mann geschildert. Mit einem weiteren Vorfall befassten sich Sonia Mikich und der WDR Anfang 2017. Das Opfer hier war keine Praktikantin, sondern eine feste Mitarbeiterin des Senders.
Diese Mitarbeiterin hatte mit dem Korrespondenten einmal kurz zusammengearbeitet. Danach ergab sich die Möglichkeit eines Wiedersehens. Sie fragte per Mail: "Gehen wir in Deinen zwei Wochen in Köln noch mal essen?" Er antwortete: "Boah, endlich. Wie lange brauchst du eigentlich, um mir diesen Vorschlag zu machen?" Als Termin schlug er einen Montagabend vor: "Du wĂŒrdest mir meinen Geburtstag versĂŒĂen :) Ăbrigens sĂŒĂ, wie Du Dir manche Kommentare einfach komplett verkneifst :)"
FĂŒr die Mitarbeiterin bewegte sich die Kommunikation bald in die falsche Richtung. Sie erwĂ€hnte deshalb die Frau des Korrespondenten. Der lieĂ sich jedoch nicht beirren. Er fĂŒhre eine "offene Beziehung", schrieb er. "HĂ€ttest Du gefragt, wĂŒsstest Du das :)"
Die Mitarbeiterin bremste ihn, mehrfach. Fragte, ob sie jetzt Angst haben mĂŒsse. ErklĂ€rte, sie habe schon unangenehme Situationen mit Kollegen erlebt, "die sich nicht wiederholen mĂŒssen". Er antwortete: "Bitte gib mir mal Deine Handy-Nr."
"Ich kriege (boah, ist das arrogant) immer, was ich will."
Als sie ihm daraufhin schrieb, sie sei jetzt total verunsichert, reagierte der Korrespondent erzĂŒrnt: "Was redest Du eigentlich? Du vergĂ€llst mir ja die Wiedersehensfreude." Sie mĂŒsse entscheiden, ob sie wolle. "Das Alpha-Tier hat zwar Sehnsucht nach Dir, aber keinen Bock, sich in eine Reihe mit besoffenen AKS-Doppelzimmer-Redakteuren stecken zu lassen. Böse guck." Die AbkĂŒrzung AKS steht fĂŒr das WDR-Magazin "Aktuelle Stunde".
Der Korrespondent warb jetzt sogar unzweideutig fĂŒr Sex mit ihm. Und er bezeichnete sich erneut als "Alpha-Tier", schrieb: "Ich kriege (boah, ist das arrogant) immer, was ich will." Zu einem Treffen kam es dann nicht.
Der ARD-Korrespondent ist wohl kein zweiter Fall Dieter Wedel. Die VorwĂŒrfe, die "Die Zeit" gegen den Filmregisseur zusammentrug, wiegen schwerer, es geht dort auch um Vergewaltigung. Ihre Macht missbrauchten allerdings beide MĂ€nner, um sich jungen, weniger mĂ€chtigen Frauen in eindeutiger Absicht zu nĂ€hern.
Was die beiden Frauen im Fall des Korrespondenten Ă€rgert: Der Journalist darf weiterhin fĂŒr den WDR berichten. In dem Sender befasste sich die Chefredakteurin selbst mit den VorwĂŒrfen. Sonia Mikich befragte den Korrespondenten und die betroffenen Frauen. Dabei ging es auch um frĂŒhere FĂ€lle. Die lĂ€gen aber 20 Jahre zurĂŒck und dĂŒrften, so Mikich in einem internen Schriftwechsel, nicht mehr ausgewertet werden.
Erst rausreden, dann eingestehen
Protokolle einiger dieser GesprĂ€che zeigen, dass der Korrespondent anfangs von einem "Komplott" gegen ihn sprach. "Hasi" sei in dem Land, aus dem er berichtet habe, ein gewöhnlicher Spitzname. Den Porno, den er einer 22-JĂ€hrigen im Hotelzimmer bei Champagner zeigte, habe er aus journalistischen GrĂŒnden gezeigt. Er versuchte also zunĂ€chst, sich herauszureden.
Irgendwann, so erfuhr es die frĂŒhere Praktikantin spĂ€ter von Mikich, habe der Korrespondent die sexuelle BelĂ€stigung dann doch eingerĂ€umt, er bereue das.
Im Sommer 2017 bedankte sich Mikich fast euphorisch bei der jungen Frau. Die Hierarchien und die Fachabteilung hĂ€tten sich "mit sexueller Nötigung am Arbeitsplatz" befassen mĂŒssen, schrieb Mikich. Und dass der WDR "das Ausnutzen einer Machtposition in keiner Form" toleriere.
"Und dann", sagt im Restaurant in Berlin die Ex-Praktikantin und macht eine kleine Pause. "Dann nichts. Frau Mikich schreibt, dass der WDR solche Sachen nicht toleriert. Aber was war die Konsequenz fĂŒr diesen Typen, der mich immer noch anschaut im Fernsehen? Ein paar GesprĂ€che und ein Eintrag in seiner Personalakte."
HĂ€tte ein groĂes Unternehmen wie der WDR anders reagieren mĂŒssen, wenn zwei mutige Frauen einen prominenten Angestellten derart belasten? Kann ein Arbeitgeber den Frauen die Zusammenarbeit mit einem Kollegen wie dem Korrespondenten weiter zumuten? WĂ€ren also auch bei FĂ€llen jenseits von Vergewaltigung hĂ€rtere Sanktionen im Job angebracht?
Die EinschÀtzung der Rechtsexperten
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat einen Leitfaden erstellt, an dem sich Arbeitgeber orientieren können. "Bei wiederholter sexueller BelĂ€stigung", steht darin, sei "KĂŒndigung ein geeignetes Mittel". Das sieht der Hamburger Arbeitsrechtler Heiko Hecht mit Blick auf den Fall des Korrespondenten Ă€hnlich. "Je nach Schwere kann sogar eine einmalige sexuelle BelĂ€stigung eine KĂŒndigung rechtfertigen", sagt er. "Der Arbeitgeber hat ja auch eine FĂŒrsorgepflicht gegenĂŒber den anderen Arbeitnehmern." Notfalls mĂŒsse man sich eben vor Gericht wiedersehen.
Hechts Kollege Markulf Behrendt von der renommierten Kanzlei Allenâ&âOvery hat in einem Fachaufsatz zur sexuellen BelĂ€stigung darauf hingewiesen, dass es fĂŒr die SchĂ€rfe der Sanktion wichtig sei, ob der TĂ€ter sein Verhalten glaubwĂŒrdig bereue. Allgemein, sagt er, reiche es heute eher nicht, nur ein bisschen Reue zu zeigen. Eine KĂŒndigung bezeichnet er gleichwohl als "Ultima Ratio", sie könne in EinzelfĂ€llen unverhĂ€ltnismĂ€Ăig sein.
Der WDR wollte sich zu dem konkreten Fall nicht Ă€uĂern. In den vergangenen zehn Jahren seien sieben FĂ€lle von sexueller BelĂ€stigung aktenkundig geworden, erklĂ€rte eine Sprecherin. Diese habe man konsequent verfolgt, "mit dem Maximum an rechtlichen und disziplinarischen Möglichkeiten".
Nach Recherchen von "Stern" und "Correctiv.org" zÀhlte zu diesem "Maximum" im Fall des Korrespondenten, dass er kein Auslandsstudio mehr leiten darf. Zu einer Abmahnung kam es hingegen nicht. Der Korrespondent selbst lieà Fragen unbeantwortet.
Die Autoren sind Redakteure des Recherchezentrums Correctiv.org und des Sterns, mit dem Correctiv fĂŒr diese Recherche zusammenarbeitete. Die Redaktion finanziert sich ausschlieĂlich ĂŒber Spenden und MitgliedsbeitrĂ€ge. Ihr Anspruch: In monatelanger Recherche MissstĂ€nde aufdecken und unvoreingenommen darĂŒber berichten. Wenn Sie Correctiv.org unterstĂŒtzen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen finden Sie unter correctiv.org/unterstuetzen