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Was bringen Treffen mit Politikern den einfachen Bürgern


Was von Politiker-Besuchen übrig bleibt
"Die wissen nicht mehr, was bei uns Leuten vor Ort los ist"


19.07.2018Lesedauer: 5 Min.
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Großer Medienauflauf: Hartz-IV-Empfängerin Sandra Schlensog traf sich mit Gesundheitsminister Jens Spahn in ihrer Wohnung. Das Gespräch habe etwas gebracht, sagt die Karlsruherin, wenn auch nicht wie anfangs erhofft.Vergrößern des Bildes
Großer Medienauflauf: Hartz-IV-Empfängerin Sandra Schlensog traf sich mit Gesundheitsminister Jens Spahn in ihrer Wohnung. Das Gespräch habe etwas gebracht, sagt die Karlsruherin, wenn auch nicht wie anfangs erhofft. (Quelle: Sina Schuldt/dpa)

Die Kanzlerin ist heute bei einer Milchbäuerin zu Gast. Derartige Begegnungen sind beliebt bei Politikern. Doch was bringen die Treffen? Wir haben bei Bürgern nachgefragt, die Besuch bekamen – von Gerhard Schröder, Martin Schulz und Jens Spahn.

Wenn Kanzlerin Angela Merkel im beschaulichen Nienborstel die Hand der quirligen Frau schüttelt, werden ein Dutzend Kameras klicken. Die Kanzlerin besucht Ursula Trede, eine Milchbäuerin aus Schleswig-Holstein mit Traditionsbetrieb – und Wut im Bauch.

Vor der letzten Bundestagswahl, Wahlarena in der ARD: Trede sitzt im Studio, die Kanzlerin im Scheinwerferlicht. Doch das Spotlight gehört an diesem Abend auch Fragestellern aus dem Publikum. Bäuerin Trede ist eine von ihnen. Als sie an der Reihe ist, klagt sie die Kanzlerin an. Wegen der niedrigen Milchpreise, die ihre Existenz bedrohen. Und wegen der Unwissenheit, mit der Merkel ihren Fragen ausweicht. Das Publikum ist auf ihrer Seite.

Die Kanzlerin verspricht, sich nach der Wahl ihre Probleme noch einmal genauer anzuhören.

Nun treffen sie sich. Es ist nicht neu, dass hohe Politiker bei ihren Sommerreisen auf Tuchfühlung mit dem einfachen Volk gehen. Luft an der Basis schnuppern, nennen das viele. Normalerweise sind das durchgeplante Feel-Good-Momente für die Kameras der Journalisten.

Mit einfachen Bürgern zwar, aber nicht mit Kritikern. Neu ist, dass sich die Kanzlerin auch unangenehmen Situationen stellt. Das hat sie bereits bei ihrem Besuch in einem Altenheim gemacht. Und nun auf dem Bauernhof.

Vor der Kanzlerin waren schon andere Politiker zu solchen Besuchen unterwegs. t-online.de hat bei ein paar der "Normalos" nachgefragt, was diese Treffen brachten. Wie haben sie die Politiker wahrgenommen? Und: War alles nur Show oder haben sich die Gespräche doch für ihre Sache gelohnt?

Kassiererin traf Kanzlerkandidat Schulz

Maurike Maaßen hatte ihren Moment in der Talksendung von Anne Will. Hier ist Kanzlerkandidat Martin Schulz Anfang 2017 zu Gast, der Wahlkampf gegen Angela Merkel auf dem Weg zum Höhepunkt. Die Supermarktkassiererin aus Essen war SPD-Mitglied, fühlte sich aber von den Sozialdemokraten betrogen. Sie trat aus der Partei aus – und geht gegen Schulz in die Vollen. Berichtet von den Missständen in ihrem Beruf, von den prekären Arbeitsverhältnissen, in denen sie und viele ihrer Kollegen arbeiten müssen. Und von dem Vertrauen, das die SPD für diese Menschen verspielt hatte. Sie bringt Kanzlerkandidat Schulz in die Bredouille.

Der verspricht sich mit Maaßen zu treffen und sich noch einmal ihrer Probleme anzunehmen. Schulz kommt wenige Wochen später, redet mit Maaßen und 50 anderen Mitarbeitern des Einzelhandels. "Er war dort ganz anders als vor der Kamera", erinnert sich Maaßen im Gespräch mit t-online.de. Das Treffen sei sehr persönlich gewesen und sie hatte den Eindruck, dass Schulz tatsächlich ihre Nöte versteht. Maaßen: "Er war ehrlich, ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich einfach ruhigstellen wollte."

Hat das Gespräch also eine Wirkung auf den Politiker Schulz? Maaßen hat da eine klare Meinung. "Auf politischer Ebene hat er sich danach leider wieder vollkommen anders verhalten. Ich glaube allerdings nicht, dass das die Schuld von Martin Schulz gewesen ist. Letztlich hat er getan, was die Partei wollte."

Als totalen Flop will Maaßen das Treffen dennoch nicht sehen. Ihr Hauptanliegen, die Missstände bei prekären Beschäftigungsverhältnissen, waren "immer noch in den Köpfen der Politiker", sagt sie. Deshalb solle es auch mehr von solchen Treffen geben. Denn Maaßen ist sich nach ihrer Begegnung mit dem damals obersten Mann der Sozialdemokratie sicher: "Die meisten Politiker wissen doch gar nicht mehr, was bei uns Leuten vor Ort los ist."

Kanzler Schröder im Kleingartenverein

Gelsenkirchen im Sommer 2004: Ruhrpott-Idylle im Schrebergarten. Der Kleingartenverein Bismarckhain hat im Vorjahr sein 70-jähriges Jubiläum gefeiert. Ehrengast sollte damals SPD-Kanzler Gerhard Schröder sein. Doch er schlug die Einladung aus. Nicht so beim nächsten Versuch. "Der Kanzler war zuvor bei einer Veranstaltung in Düsseldorf. Plötzlich stand er bei uns vor der Laube", erzählt Ralf Dondrup, der Chef des Vereins.

Schröder galt damals schon als Kanzler der einfachen Leute, legendär sein Ausspruch bei einer Autogrammstunde: "Hol mir mal 'ne Flasche Bier, sonst streik ich hier", den Fernsehmacher Stefan Raab musikalisch sogar in die deutschen Charts bugsierte. Auch in Gelsenkirchen-Bismarck zeigt sich der Kanzler so, isst Currywurst, trinkt Stauder-Bier. Dondrup: "Zwei Stunden hat er sich mit uns unterhalten. Es war keine politische Veranstaltung, daher ging es weniger um solche Themen. Aber es war auch eine andere Zeit."

Heute, da ginge so etwas Zwangloses nicht mehr, ist sich der Kleingärtner sicher. Politiker können sich nicht einfach unter das Volk mischen, sie müssen sich um ihre Sicherheit sorgen, weil es da draußen "genug Bekloppte" gibt, wie er sagt. Für ihn persönlich sind die Treffen mit der hohen Politik auch nicht der richtige Weg, um Dinge zu ändern. Er muss es wissen.

Denn eigentlich hätte es den Kleingartenverein beim Schröder-Besuch gar nicht mehr geben sollen. Kurz vor der Jahrtausendwende sollte der benachbarte Zoo erweitert werden, der Rat der Stadt beschloss dafür den Abriss der Gartenlauben. Doch die Kleingärtner stellten sich quer, luden die Lokalpolitiker aller Parteien ein und fanden Unterstützer. Die Medien berichteten, andere Kleingärtner protestierten – und der Bismarckhain wurde gerettet.

"Wir haben einen Beschluss des Rates gestürzt", ist Dondrup stolz. Er ist sicher: "Wenn der Politiker aus Berlin geht, hat er doch bereits seinen nächsten Termin im Kopf. Der Lokalpolitiker hingegen sieht die Anliegen der Menschen jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit."

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Hartz-IV-Empfängerin trifft Gesundheitsminister Spahn

Der CDU-Politiker Jens Spahn ist Gesundheitsminister unter Kanzlerin Merkel. Seine ersten Wochen im Kabinett nutze er aber, um über andere Dinge auszuteilen. In einem Interview sagte er, von "Hartz IV" zu leben, bedeute keine Armut. Das brachte Sandra Schlensog auf die Palme. Die alleinerziehende Mutter lebt von Sozialhilfe, muss jeden Tag mit wenig Geld über die Runden kommen. Und hatte einen Vorschlag an den Minister: "Leben sie doch selbst einmal einen Monat von fünf Euro am Tag", forderte sie und stellte eine Petition ins Netz.

Innerhalb kürzester Zeit unterschrieben mehrere Hunderttausend Menschen. Jens Spahn lehnt zwar den Versuch ab, trifft sich aber mit Schlensog zu einem Vier-Augen-Gespräch in ihrer Heimat Karlsruhe. "Das Treffen war vollkommen auf Augenhöhe, Herr Spahn hat mir zugehört, er war sehr sympatisch und sehr interessiert", erinnert sich Schlensog.

Die Medien mussten draußen bleiben. "Sonst hätte ich es auch nicht gemacht." Sie stehen zu Dutzenden vor ihrer Haustür. War es denn mehr als reine Politiker-PR? Schlensog glaubt schon: "Herr Spahn hat Verständnis für meine Situation gezeigt, ist aber von seinem Standpunkt nicht abgerückt. Das fand ich gut, denn es hat gezeigt, dass er aufrichtig zu mir gewesen ist."

Und hat sich seitdem etwas verändert? "Herr Spahn spricht weniger über Themen, mit denen er eigentlich nichts am Hut hat. Ich glaube die Aufregung mit mir war ihm auch ein Stück weit eine Lehre", sagt Schlensog und lacht. Doch auch sonst sieht sie ihr Anliegen auf einem besseren Weg. Schlensog: "Arbeitsminister Heil fühlt sich nun auch genötigt, etwas in die richtige Richtung zu tun. Das ist doch schon mal ein kleiner Schritt."

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Maurike Maaßen, Ralf Dondrup und Sandra Schlensog
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