Viele deutsche Regionen sind abgehĂ€ngt â nicht nur im Osten
Eine Studie zeigt: In fast allen lÀndlichen Kreisen, aber auch in den meisten ostdeutschen StÀdten haben die Menschen weniger Einkaufsmöglichkeiten, weitere Wege zum Arzt oder langsameres Internet.
30 Jahre nach der Wiedervereinigung liegen die meisten ostdeutschen Regionen noch in vielen Bereichen zurĂŒck. Das zeigt der "Teilhabeatlas" des Berlin-Instituts und der WĂŒstenrot Stiftung, der am heutigen Donnerstag vorgestellt wurde. In fast allen lĂ€ndlichen Kreisen, aber auch in den meisten ostdeutschen StĂ€dten haben die Menschen demnach mit weniger Einkaufsmöglichkeiten, weiteren Wegen zum Arzt oder langsamerem Internet zu kĂ€mpfen als anderswo.
Dieses Schicksal teilten sie aber mit den Bewohnern einiger westdeutscher StĂ€dte, vor allem im Ruhrgebiet, aber auch im SĂŒdwesten von Rheinland-Pfalz, im Saarland sowie in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In der Studie wurde untersucht, welche gesellschaftlichen Teilhabechancen die 401 deutschen Landkreise und kreisfreien StĂ€dte ihren Bewohnern bieten.
Gemessen wurde die Teilhabe anhand einer Reihe von Indikatoren wie der Quote von SozialleistungsempfĂ€ngern, der Höhe der Einkommen, der VerfĂŒgbarkeit schneller InternetzugĂ€nge und der Erreichbarkeit von Ărzten, SupermĂ€rkten und weiteren alltĂ€glichen Dienstleistungen. Das Ergebnis zeigt, dass die Teilhabechancen in lĂ€ndlichen Regionen des SĂŒdens oft besser sind als in manchem Ballungsraum im Norden wie etwa Berlin.
Beispiel Sozialleistungen: WĂ€hrend in sĂŒdlichen Landkreisen oftmals nahezu VollbeschĂ€ftigung herrscht, ist in vom Strukturwandel betroffenen StĂ€dten wie Gelsenkirchen oder Bremerhaven fast jeder Vierte unter 65 von Sozialleistungen abhĂ€ngig. In Berlin, Wilhelmshaven oder Duisburg ist es jeder FĂŒnfte.
FĂŒr den urbanen Arbeitsmarkt ist es eine Herausforderung, dass viele junge Menschen die lĂ€ndlichen Regionen verlassen, um in den GroĂstĂ€dten zu arbeiten. Dort sind die BeschĂ€ftigungsverhĂ€ltnisse zwar insgesamt vielfĂ€ltiger, oft aber auch befristet und unsicherer als auf dem Land. FĂŒr Geringqualifizierte gibt es wenig Aussichten auf einen guten Job.
AuĂerdem gibt es in den StĂ€dten mehr junge Menschen, Alleinerziehende und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit â sie alle haben ein erhöhtes Risiko, ihren Job zu verlieren oder erst gar keinen zu finden. Das schlĂ€gt sich in höheren Arbeitslosenquoten in den StĂ€dten nieder. Die Autoren der Studie zĂ€hlen etwa Offenbach am Main, Duisburg und Hamm sowie die meisten StĂ€dte in Ostdeutschland zu denjenigen mit den geringsten Teilhabechancen. Durchschnittlich beziehen hier 16 Prozent der Einwohner Sozialleistungen.
Menschen schÀtzen ihre Lebensbedingungen weitgehend realistisch ein
"Deutlich erkennbar wird, wie wichtig eine differenzierte, diese Unterschiede aufgreifende Handlungsstrategie ist, gerade auch in der Politik", erklĂ€rte der stellvertretende GeschĂ€ftsfĂŒhrer der WĂŒstenrot Stiftung, Stefan KrĂ€mer.
Die Macher der Studie besuchten auch ausgewĂ€hlte Regionen, um die gefĂŒhlten Teilhabechancen mit den erhobenen Daten abzugleichen. "In den GesprĂ€chen zeigte sich, dass die Menschen ihre Lebensbedingungen weitgehend realistisch einschĂ€tzen", sagte Manuel Slupina, Mitautor der Studie. "Mit den Unterschieden bei den Teilhabechancen gingen sie recht nĂŒchtern und pragmatisch um."
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Je nach Wohnort hĂ€tten die Menschen auch andere Erwartungen an ihr Umfeld, fĂŒgte Slupina hinzu. Die befragten Landbewohner seien sich meist des Nachteils bewusst, dass sie zum Arbeiten pendeln mĂŒssten und fĂŒr manche Erledigungen auf die nĂ€chste gröĂere Stadt angewiesen seien. "Trotzdem Ă€uĂerten sie, dass sie gern dort leben."