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Amokfahrt in Trier: Respekt für den OB Leibe, dem die Tränen kamen


Amokfahrt in Trier
Triers OB Weiler: Deshalb reagierte er so emotional

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 03.12.2020Lesedauer: 5 Min.
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Oberbürgermeister Wolfram Leibe: In einer improvisierten Pressekonferenz konnte er unter dem Eindruck des Geschehens nicht weitersprechen und gab das Mikro nach wenigen Sätzen ab an seinen Pressesprecher.Vergrößern des Bildes
Oberbürgermeister Wolfram Leibe: In einer improvisierten Pressekonferenz konnte er unter dem Eindruck des Geschehens nicht weitersprechen und gab das Mikro nach wenigen Sätzen ab an seinen Pressesprecher. (Quelle: Screenshot volksfreund.de)

Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe hatte die Stimme versagt. Am Tag nach der Amokfahrt in seiner Stadt erklärt er, wieso seine Reaktion so anders ausfiel als sonst oft von Politikern.

Das Ausmaß des Schreckens von Trier wurde in einem Moment für jeden spürbar, als Opferzahlen und Hintergründe noch völlig unklar waren: Oberbürgermeister Wolfram Leibe brach die Stimme weg, während er berichtete. "Ich bin gerade durch die Innenstadt gelaufen und es war einfach nur schrecklich." Pause. "Da steht ein Turnschuh." Leibe schluckt. "Das Mädchen ist tot." Der Oberbürgermeister will noch etwas sagen, kann es aber nicht und gibt das Mikro ab. Jetzt bekommt er viel Zuspruch dafür. Wer ist Wolfram Leibe und was hat er richtig gemacht? t-online hat am Mittwoch noch einmal mit ihm gesprochen.

Nach dem provisorischen Gespräch mit Journalisten kurz nach dem Geschehen hatte der Oberbürgermeister von Deutschlands ältester Stadt am Dienstagabend vom schwärzesten Tag in der Stadtgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg gesprochen. Er hatte sich für die organisierte Pressekonferenz mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz umgezogen, schwarze Krawatte zum schwarzen Anzug.

"Wir denken, so was passiert nur anderswo"

Wieder wird deutlich, dass Leibe angemessen mit der Situation umgeht, aber alles andere als routiniert. "Wir denken immer, so was passiert nur an anderen Orten", sagte er da. Das war auch das, was mittags bereits sein erster Satz gewesen war in die Kameras vor der Porta Nigra. Das Unvorstellbare ist in Trier passiert. Leibe hat auch einen Anruf von Angehörigen der Anschlagsopfer auf dem Berliner Breitscheidplatz bekommen, Trier steht jetzt in einer Reihe mit der Tat dort.

Leibe hatte im Rathaus sofort alles stehen und liegen gelassen nach der Meldung, dass ein SUV durch die Fußgängerzone gefahren ist, im Zick-Zack-Kurs um 13.46 Uhr den ersten Menschen erfasst hat und dann noch weitere. Mit der Feuerwehr, die ihn sofort verständigt hatte, fuhr er durch die Absperrung, ging dann aber zu Fuß weiter. In seiner Begleitung zunächst zwei Polizisten mit Maschinenpistolen: Zu dem Zeitpunkt ist noch nicht klar, ob es mehrere Täter gibt, ob es Terroristen sind.

Bis zum anderen Ende der Fußgängerzone, der Porta Nigra, ist es fast ein Kilometer, auf dem fünf Menschen vom Wagen des Amokfahrers tödlich verletzt wurden. An dem 1.800 Jahre alten Bauwerk berichtete er in die Kameras von seinen Eindrücken. Und muss dann abbrechen, als er vom Turnschuh erzählt, der da vor seinen Augen lag.

Zur Verarbeitung langes Gespräch mit der Frau

"Ich hatte den irrationalen Wunsch, der jungen Frau ihren Schuh zu geben", sagt er am Tag darauf zu t-online. Er steht nicht nur unter dem Eindruck dieses Erlebnisses. Da sei ein Mann gewesen, der vielleicht zwei Stunden lang regungslos neben einer Leiche gesessen habe. "Und ich habe den Rettungsarzt gesprochen, der sich um das getötete neun Wochen* alte Kind gekümmert hat. Wir sind befreundet, das ist ein Haudegen, aber so etwas hat er noch nicht erleben müssen." Leibe hat ihm angeboten, sich noch einmal zusammenzusetzen. Er selbst hat am Abend zwei Stunden mit seiner Frau über das Geschehene gesprochen. "Reden ist wichtig in so einer Situation". Am Mittwochmorgen war eine Notfallhotline zur psychologischen Betreuung eingerichtet worden. Kurz danach meldete die Stadt, dass es ein Spendenkonto gibt.

Es ist sein Auftritt vom 1. Dezember, der in Erinnerung bleiben wird. "Seine Art, auch in solchen Momenten gleichzeitig klare, einfühlsame, aber auch besonnene Dinge zu sagen, verdient absoluten Respekt", kommentiert auf Twitter Christian Thome, Redakteur bei der örtlichen Tageszeitung "Trierischer Volksfreund". "Man muss an der Stelle auch mal sagen, was für ein Glück Trier mit OB Leibe hat." Die Reaktion des fast zwei Meter großen Oberbürgermeisters ragte heraus aus dem, was sonst in dieser Situation nach vielfach gehörter Phrase klingt.

Leibe erklärt das damit, wie nah ihm auch selbst das Geschehen ging: "Ich bin OB einer kleinen Großstadt, in der ich die Menschen kenne, und ich war sofort am Tatort. Das hat mich natürlich selbst sehr direkt berührt." Deshalb sei es dann für ihn ein Schock gewesen, dass der Täter auch aus der Stadt kommt. "Wie kann ein Trierer Trierer morden?" Er denkt auch schon weiter: "Es muss alles genau dokumentiert und aufgearbeitet werden. Das schulden wir den Menschen."

Schulbusse warteten auf die Freigabe

Sein erstes bewegendes Statement vor der Presse hatte sich am Mittag kurz verzögert, weil Leibe erst noch ein anderes Thema zu klären hatte: Gibt es noch Gefahr? "Ich musste noch das Telefonat führen", sagte er entschuldigend zu den Reportern. "Das war jetzt für Eltern, Kinder und Angehörige wichtig, dass alle Kinder in Kindergärten und Schulen ohne Gefahr nach Hause gehen können." Es stand fest: Der Täter ist festgenommen, es gibt nur ihn und der OB kann Entwarnung geben. Die aufgehaltenen Busse mit Schülern dürfen losfahren.

Leibe bestätigte in dem Moment den Eindruck vieler Trierer, dass der Oberbürgermeister für sie da ist. In der Corona-Krise stellte er sich selbst mit den Experten der Verwaltung online in bisher fünf Bürgersprechstunden den Fragen zu den Maßnahmen und dem Umgang der Stadt damit. In der Verwaltung stöhnen manche, wie viele Termine der OB wahrnehmen möchte und wie viele Menschen er dann auch einlädt, um etwas bei einem Gespräch im Rathaus zu vertiefen.

Dabei ist der 60-jährige gebürtige Badener Verwaltungsmann durch und durch, der Volljurist war Mitglied der Geschäftsführung in der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit in Stuttgart, als er 2015 zum Bürgermeister in Trier gewählt wurde. Dort war er auch schon Geschäftsführer der Agentur für Arbeit. In Trier ist seine Frau Andrea Sand Professorin für Anglistik, zusammen haben sie eine 21-jährige Tochter. "Ich habe am Dienstag auch angerufen, gefragt, ob sie zuhause ist", so Leibe zu t-online.

Als Dienstwagen ein Elektro-Smart

Es gibt auch Trierer, die fremdeln mit dem Opernfreund aus der SPD, der in der Verwaltung manches anders machen will und sich auch einmischt, wenn es ihm nicht schnell genug geht. Digitalisierung ist sein Thema, fehlende Mehrheit im Stadtrat ist manchmal seine Last. Dazu positioniert er sich deutlich. Er gehört dem Netzwerk der "Mayors for Peace" für eine Welt ohne Atomwaffen an, er ging zum Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit mit einem Videoappell an die Öffentlichkeit. Er positioniert sich deutlich zum Klimaschutz – und hatte mit Problemen bei den öffentlichkeitswirksam angeschafften E-Bussen zu kämpfen.

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Die Stadt verfügt über einen Wagen mit Fahrer für die Stadtspitze, Leibe sieht man aber oft selbst hinter dem Steuer seines eigenen Dienstwagens, einem Elektroauto. Damit wurde er auch schon mal nicht auf den VIP-Parkplatz bei einem Konzert durchgelassen. Der Sicherheitsdienst hatte sich nicht vorstellen können, dass der Oberbürgermeister im Smart kommt. Aber er ist ja auch ein Oberbürgermeister, der vor der Kamera weint. Und am Mittwoch von der Trauerfeier direkt in die Krankenhäuser ging. "Die Klinikleitungen hatten mich gefragt, weil das Personal Großes geleistet hat."

Der Text wurde nach einem Gespräch mit Oberbürgermeister Leibe aktualisiert.

*An dieser Stelle hatten wir zunächst von neun Monaten geschrieben. Das getötete Kind war der Polizei zufolge jedoch nur neun Wochen alt.

Verwendete Quellen
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