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Genscher nach 25 Jahren zurück in der Prager Botschaft


Gänsehaut-Moment im Wendejahr
Genscher nach 25 Jahren zurück in der Prager Botschaft

Von dpa
Aktualisiert am 30.10.2014Lesedauer: 4 Min.
Hans-Dietrich Genscher kehrt nach 25 Jahren zurück in die Prager Botschaft.Vergrößern des BildesVon diesem Prager Balkon aus sprach er die vielleicht wichtigsten Sätze seiner Politikerlaufbahn: Der Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher. (Quelle: Reuters-bilder)
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Großes Wiedersehen in der deutschen Botschaft in Prag. Was den Balkon angeht, hat Hans-Dietrich Genscher das Zählen aufgegeben. Keine Ahnung, wie oft er nun schon seit jenem 30. September 1989 auf dem Gemäuer des Palais Lobkowicz stand, wo er die vielleicht wichtigsten Worte seines Politikerlebens sprach.

"20 Mal vielleicht", so schätzt der ehemalige Bundesaußenminister selbst. Nun ist es wieder soweit - und trotzdem war es dieses Mal besonders.

"Wirst Du die richtigen Worte finden?"

Auf den Tag genau 25 Jahre später kehrte Genscher in die Vlasská-Straße 19 unterhalb der Prager Burg zurück. Statt der Treppen wie damals nahm der FDP-Mann den Aufzug. Genscher ist jetzt auch schon 87. Dann ging es durch den Kuppelsaal hinaus auf den Balkon - "nicht ohne Bewegung", wie Genscher in seinem verklausulierten Diplomatendeutsch bemerkte. Mehr Gefühl gestattete er sich nicht.

"Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich durch diese Tür kam", berichtete er dann. "Und im Grunde auf dem Weg durch diesen Raum mich immer wieder gefragt habe: "Wirst Du die richtigen Worte finden?"

Man weiß, wie es ausging. Als Genscher an jenem Samstagabend vor einem Vierteljahrhundert nach draußen ins Halbdunkel trat, wo mehr als 4500 DDR-Flüchtlinge auf ihn warteten, hatte er sie.

"Liebe Landsleute" - Der Rest ist Geschichte und Freudengeschrei

Der Halbsatz von damals, wie spontan er auch war, ist bis heute als einer der Gänsehaut-Momente des Wendejahres 1989/90 in der Erinnerung. "Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise..."

Der Rest ("... möglich geworden ist.") ging im Freudengeschrei der Menschen draußen im Garten verloren. Von der Szene gibt es nur einige dunkle Bilder. Damals war nur eine Kamera des ZDF dabei.

"Wollte nicht triumphierend wirken"

Was viele nicht wissen: Der Grund dafür war, dass die Bundesregierung den damaligen Prozess, dessen Ausgang vollkommen unklar war, nicht gefährden wollte: "Ich hatte mir vorgenommen, ganz nüchtern und schmucklos zu sprechen", sagt Genscher rückblickend.

Er habe nicht triumphierend wirken wollen, um den Gegnern der Ausreise im SED-Regime keine Argumente zu liefern. Sogar die Kameraleute sollten draußen bleiben - einige kletterten dann aber doch über den Zaun oder filmten vom Dach eines Trafohäuschens.

"Glücklichster Tag meiner Arbeit"

Heute ist alles anders. Zwar waren nur etwa 150 Flüchtlinge ins Palais Lobkowicz zurückgekehrt - im Unterschied zu Genscher viele von ihnen zum ersten Mal. Dafür waren es umso mehr Kameras. Genscher berichtete in die Mikros immer wieder vom "glücklichsten Tag meiner Arbeit". Zwischen Gulaschkanonen und Rot-Kreuz-Zelten mussten aber auch die ehemaligen DDR-Bürger im Garten ständig Auskunft geben, wie es damals war.

Zeit noch einmal für große Emotionen. Und wieder flossen, wie bei Beate Bendler, die Tränen. Die Frau - heute in Bayern zuhause - war damals zusammen mit ihrem Mann und zwei kleinen Söhnen auf dem Gelände. Genscher verpasste sie jedoch.

Flüchtlinge von damals erinnern sich an "furchtbare Szenen"

Als die Kolonne des Ministers kam, bekam ihr Fünfjähriger ob der Aufregung schweres Nasenbluten. Der Dreijährige musste sich erbrechen. Taschentücher oder Wechselsachen gab es nicht. "Es war so furchtbar", erinnert sich Bendler. Als die anderen in den Garten strömten, um Genscher zuzuhören, ging sie mit den Kindern auf die Toilette. Dort hörte sie den Jubel. Aber erst von ihrem Mann erfuhr sie, was Genscher gesagt hatte. Solche Geschichten gab es am Dienstag viele zu hören.

Viele suchten den Ort, wo sie damals campiert haben. Bei dem einen war es eine Treppenstufe, bei anderen nur eine Pappe auf dem Boden, wieder andere schliefen im Heizungskeller oder in der Garage. Immer wieder fällt das Wort vom "einschneidendsten Wendepunkt" ihres Lebens. Und auch die Fahrt mit dem Zug, mit dem es dann noch einmal über das Territorium der DDR in den Westen ging, hat jeder von den Flüchtlingen noch in Erinnerung.

Viele stiegen selbst auf den Balkon, um den Garten einmal aus Genscher-Perspektive zu sehen. Seit ein paar Jahren erinnert dort oben eine Gedenktafel mit dem Genscher-Satz an jenen Abend. Im Garten steht eine Statue namens "Quo Vadis" - ein Trabant aus Bronze, dem Beine gewachsen sind. Dort nutzen ein paar der Mutigeren die Gelegenheit, um mit Genscher ein Selfie zu machen.

Genscher hat alles gesagt

Der 87-Jährige trat dann ein paar Stunden früher als damals - mitten am Nachmittag - noch einmal auf den Balkon. Wie 1989 hatte er Rudolf Seiters an der Seite, ehemals Kanzleramtschef. Neu dabei: der amtierende Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) und der tschechische Außenminister Lubomir Zaoralek. Nachdenklich standen sie ein paar Minuten zusammen. Jubel kam keiner auf, bevor es zu den Festreden in den Kuppelsaal ging.

Genscher verzichtete auch darauf, von oben aus noch einmal ein paar Worte an die Leute im Garten zu richten. Er beließ es dabei, freundlich nach unten zu winken. Irgendwann ist dann auch an solchen Tagen alles gesagt.

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