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Loveparade: Prozessauftakt nach tödlichem Behördenversagen in Duisburg


Ankläger im Loveparade-Prozess
"Veranstaltung hätte so nicht genehmigt werden dürfen"

dpa, afp, t-online.de

08.12.2017Lesedauer: 4 Min.
Quälende Erinnerungen: Paco Zapater trägt zum Prozessauftakt ein Foto seiner in Duisburg verunglückten Tochter Clara.Vergrößern des BildesEin Bild als stumme Anklage: Paco Zapater trägt zum Prozessauftakt ein Foto seiner in Duisburg verunglückten Tochter Clara. (Quelle: Ina Fassbender/dpa-bilder)
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Im Gedränge der Duisburger Loveparade starben vor sieben Jahren 21 Menschen. Am Freitag hat in Düsseldorf der Prozess gegen zehn Angeklagte begonnen.

Er war der Mann, der einst die Loveparade in Berlin gründete: Dr. Motte. Mit der tödlichen Veranstaltung von Duisburg hatte er nichts mehr zu tun. Dennoch mahnte er zum Prozessauftakt am Freitag eindringlich: Er erwarte eine “lückenlose Aufklärung“. "Das ist das, was die Eltern wollen, und das ist das Wichtigste", sagte der 57-Jährige.

Tod unter behördlicher Aufsicht

Der Strafprozess um das Loveparade-Unglück begann am Freitag mit einer Flut von Anträgen. Sechs Mitarbeitern der Stadt Duisburg und vier Mitarbeitern des Veranstalters Lopavent wird fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Ihnen drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Bei dem Unglück am 24. Juli 2010 waren 21 Menschen im Alter von 17 bis 38 Jahren erdrückt worden. Mindestens 652 wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Das Verfahren steht unter Zeitdruck: Ende Juli 2020 verjähren die Vorwürfe.

Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff warf den Angeklagten schwere Planungsfehler vor, die zu einer rechtswidrigen Genehmigung der Loveparade geführt hätten. "Die Veranstaltung hätte in der Form nicht genehmigt werden dürfen", betonte Mühlhoff. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft umfasst 556 Seiten.

Sicherheitsrelevante Auflagen seien nicht beachtet und umgesetzt, die Einhaltung nicht kontrolliert worden, so Mühlhoff weiter. Mehrere Angeklagte hätten auch erkannt, dass die Auflagen nicht umgesetzt worden seien.

Erwartete Menschenmassen falsch eingeschätzt

Die Durchflusskapazität des Zugangs von 82 Menschen pro Meter und Sekunde sei für die erwarteten Menschenmassen nicht ausreichend gewesen. Der Faktor entgegenkommender Menschen sei nicht beachtet worden.

Diese Mängel hätten rechtzeitig erkannt werden können und müssen. "Die Gefahr lebensgefährlicher Drucksituationen war ihnen bewusst. Es musste zwangsläufig dazu kommen", sagte der Ankläger. Stattdessen hätten die Verantwortlichen sogar eine zusätzliche Verengung des Zugangs durch illegal errichtete Zäune hingenommen.

Ein Brandschutz- und Sicherheitskonzept habe bis kurz vor der Loveparade nicht vorgelegen. Der Baudezernent Jürgen Dressler habe sich dennoch nicht eingeschaltet. Am Veranstaltungstag sei keine Kontrolle der Auflagen vorgesehen gewesen. "Ich kann den Sinn unserer Anwesenheit nicht erkennen", heiße es in einem Schreiben.

Deswegen sei es am Unglückstag "zu einer Menschenverdichtung auf der Rampe von mehreren 10.000 Menschen gekommen". 21 Menschen starben durch den ungeheuren Druck. Pro Quadratmeter seien dort mindestens sieben Menschen zusammengepresst worden.

Zahlreiche Anträge der Verteidigung

Zuvor hatten die Verteidiger die Anwesenheit potenzieller Zeugen im Saal moniert. Das Gericht unterbrach daraufhin die Verhandlung. Zwei Zuschauer verließen den Gerichtssaal, darunter die Sprecherin von Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller.

Daraufhin stellten Verteidiger Befangenheitsanträge gegen zwei Ergänzungsschöffen. So habe die Stieftochter eines Schöffen die Loveparade besucht – auch wenn sie dabei nicht Zeuge des tödlichen Gedränges geworden sei, reiche dies für eine Befangenheit aus.

Weitere Verteidiger kündigten eine umfangreiche Besetzungsrüge gegen das Gericht an. Schließlich stellte die Verteidigung den Antrag auf Nichtverlesung der Anklage. Rund 20 Nebenkläger tauchten in der Anklage gar nicht als Opfer des Unglücks auf. Mehrfach unterbrach der Vorsitzende Richter Mario Plein die Verhandlung.

3409 Zeugen vernommen

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauerten mehr als dreieinhalb Jahre. 96 Polizisten vernahmen 3409 Zeugen und sichteten Videomaterial in einer Gesamtlänge von rund 1000 Stunden.

Mehr als zwei Jahre lang prüfte dann eine Kammer des Landgerichts Duisburg die Anklage, ließ sie am Ende aber nicht zur Hauptverhandlung zu. Erst eine erfolgreiche Beschwerde der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht ebnete den Weg für den Prozess.

Opferanwalt Baum: "Die Veranstaltung hätte nie genehmigt werden dürfen"

"Das Landgericht hat versagt", sagte Opferanwalt Gerhart Baum vor Prozessbeginn: Erst durch die Beschwerden sei das Verfahren in Gang gekommen. "Die Veranstaltung hätte nie genehmigt werden dürfen. Wären noch 100 000 Besucher mehr gekommen, wäre die Katastrophe noch größer ausgefallen", sagte der ehemalige Bundesinnenminister.

Gabi Müller, deren Sohn Christian in Duisburg im Gedränge sein Leben verlor, erhob im Vorfeld schwere Vorwürfe gegen die Veranstalter und Behörden und verwahrte sich dagegen, von einem Unglück zu sprechen.„Weil ich sage immer, das ist ja keine Naturkatastrophe gewesen, die sich da ereignet hat. Da gibt es ja Verantwortliche für“, sagte Müller dem Radiosender Deutschlandfunk. „Wenn ich doch das plane und dann auch genehmige, was eigentlich nicht genehmigungsfähig ist, dann habe ich doch Verantwortung zu übernehmen und nicht zu sagen, ich war’s nicht und ich war es nicht“, sagte Müller.

32 Verteidiger, 65 Nebenkläger, 1000 Ordner Beweismittel

Das Landgericht Duisburg hat die Hauptverhandlung aus Platzgründen in eine Kongresshalle nach Düsseldorf verlegt. Rund 500 Menschen finden darin Platz. Die Angeklagten werden von 32 Juristen verteidigt. Der Anklage haben sich 65 Nebenkläger angeschlossen. Sie werden von 38 Anwälten vertreten. 45 Besucher hatten sich am Freitag zu Beginn im Saal eingefunden, das Gericht hatte mit einem wesentlich größeren Andrang gerechnet.

Der große Umfang des Verfahrens spiegelt sich auch in der Menge der Akten wider: Die sogenannte Hauptakte, die beim Prozess in Griffweite der Richter steht, umfasst derzeit 117 Bände mit 53 500 Seiten. Hinzu kommen rund 1000 Ordner mit Beweismitteln und weiteren Unterlagen sowie rund 1000 Stunden Videomaterial mit den Aufnahmen von Überwachungskameras und Handys.

Ex-Oberbürgermeister Sauerland als Zeuge

Nicht angeklagt sind der später abgewählte Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) sowie der Fitnessstudio-Unternehmer Rainer Schaller ("McFit"), der einige Jahre vor dem Unglück über sein Tochterunternehmen Lopavent die Rechte an der Loveparade erworben hatte. Beide sollen im Verlauf des Prozesses als Zeugen aussagen.

Für die Angehörigen der Opfer ist der Prozess wichtig. Es geht eben nicht um ein Unglück, sondern um einen Unfall und Versagen. Gabi Müller sagte dem Deutschlandfunk zur Bedeutung des Verfahrens und eines möglichen Freispruchs: „Das wäre natürlich die nächste Katastrophe. Wenn das wirklich passieren würde, dann habe ich meinen Glauben wirklich an unseren Rechtsstaat verloren.“

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