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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Friedrich Merz Seine gewagte Ansage

Friedrich Merz findet in seiner Regierungserklärung vor dem Nato-Gipfel wieder deutliche Worte. Trotzdem wird langsam Kritik an der deutschen Außenpolitik laut – auch in der Union.
Friedrich Merz versucht es zum Schluss mit etwas Zuversicht. Der Bundeskanzler hat an diesem Dienstagmittag schon fast eine halbe Stunde geredet. Seine Regierungserklärung vor dem Nato-Gipfel in Den Haag und dem EU-Gipfel in Brüssel ist eigentlich auf der Zielgeraden, da holt er noch einmal aus.
In der Welt um uns herum, sagt Friedrich Merz, werde es so schnell wohl nicht wieder ruhiger. Die vergangenen Wochen hätten ihn trotzdem "ein wenig zuversichtlich gestimmt". Deutschland könne Einfluss nehmen auf diese "neue Normalität" der Krisen und Kriege.
"Wir können dafür sorgen, dass sie wenigstens für uns einhergeht mit Freiheit, mit Wohlstand und mit Frieden", sagt Merz. "Wir sind als Land dieser Herausforderung gewachsen und wir können die Probleme aus eigener Kraft heraus bewältigen." Die Bundesregierung widme sich "mit ganzer Kraft genau diesem Ziel".
Es ist ein gewaltiges Versprechen des Bundeskanzlers. Ein weiteres, muss man sagen, denn es reiht sich ein in die vielen Wenden, die seine schwarz-rote Regierung angekündigt hat: die Wirtschaftswende, die Asylwende, und so etwas wie eine sozialpolitische Wende soll es ja auch geben. Nun also gewissermaßen eine Zuversichtswende: Wir schaffen das, egal, was die Welt um uns herum macht.
Es ist eine gewagte Ansage. Zumal die vergangenen Wochen aus Sicht von Kritikern auch gezeigt haben, dass Deutschland weniger Einfluss auf die Welt um sich herum hat, als Friedrich Merz es gerne hätte. Vom "Zaungast" war da die Rede, auch in seiner eigenen Partei, der CDU. Hat sich der Bundeskanzler zu viel vorgenommen?
Selbstbewusstsein und Klartext
Friedrich Merz hat sein außenpolitisches Selbstbewusstsein jedenfalls noch nicht verloren. Das wird schon zu Beginn seiner dreißig Minuten langen Rede im Bundestag deutlich. "Deutschland ist wieder zurück auf der europäischen und der internationalen Bühne", sagt er da. Das werde "in der Welt registriert und von unseren Partnern und Freunden sehr begrüßt".
Merz hat auch für diese Regierungserklärung viel von seinem berühmt-berüchtigten Klartext mitgebracht. Es ist die Qualität seiner Außenpolitik, die tatsächlich nicht nur Parteifreunde loben. Gerade, wenn es um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geht.
"In dieser Situation ist es nicht die friedensschaffende Lösung, der Aggression nachzugeben und das eigene Land aufzugeben", sagt Merz. "Das ist nicht der Frieden, den wir wollen und das ist nicht der Frieden, den die Ukraine will."
Was das in der Konsequenz heißt, macht der Bundeskanzler erneut überdeutlich. "Putin versteht nur die Sprache der Stärke", sagt Merz. "Und darum heißt Friedensarbeit jetzt auch, in dieser Sprache zu sprechen." Weitere Sanktionen also. Und deutlich mehr Investitionen in die eigenen Streitkräfte, die auf einem "historischen" Nato-Gipfel beschlossen würden.
"Viel zu lange haben wir in Deutschland die Warnungen unserer baltischen Nachbarn vor Russlands imperialistischer Politik nicht hören wollen", sagt Merz. "Wir haben diesen Irrtum erkannt. Hinter diese Erkenntnis gibt es keinen Weg zurück." Angesichts der deutschen Panzerbrigade an der Nato-Ostflanke sagt Merz sogar: "Die Sicherheit von Litauen ist auch die Sicherheit von Deutschland."
Schiefe Vokabeln im Klartext-Vokabular
An vielen Stellen der Regierungserklärung klingt aber schon an, dass der Einfluss eines Bundeskanzlers endlich ist. Als es um das europäische Sanktionspaket geht, sagt Merz etwa, er habe "ausdrücklich dafür geworben", dass auch die USA ihre Sanktionen noch einmal verstärkten. Er "bleibe zuversichtlich", dass die Regierung "diesen Weg auch mitgeht". Allerdings macht Trump bislang wenige bis keine Anstalten, das auch zu tun.
Zum Angriff auf das iranische Atomprogramm sagt Merz, "wir hoffen heute", dass das Vorgehen Israels und der USA den Iran "dauerhaft davon abbringt, seinem zerstörerischen Ziel noch näherzukommen". Die von Donald Trump angekündigte Waffenruhe "begrüßen wir".
Werben und zuversichtlich bleiben, hoffen und begrüßen: Es sind Vokabeln, die etwas schief im Klartext-Repertoire des Friedrich Merz stehen. Sie sind wohl Ausdruck eines zum großen Teil selbst geschaffenen Problems.
Was folgt dem Klartext?
Denn Friedrich Merz' außenpolitisches Selbstbewusstsein und sein Klartext schaffen natürlich Erwartungen, öffentlich und auch in der Union selbst. Langsam wird hier wie dort eine grundsätzlichere Kritik laut, die sich grob so zusammenfassen lässt: Ist ja schön, dass Merz Klartext redet und mit Donald Trump kumpelt. Nur interessiert den US-Präsidenten am Ende ja doch nicht, was der Bundeskanzler denkt und tut. Der echte Einfluss? Gering.
Ein Beispiel für diese Kritik ist der G7-Gipfel in Kanada. Zwar betonten die übrig gebliebenen Partner nach Trumps spontaner Abreise auffallend, wie groß ihr Verständnis für die Nöte des US-Präsidenten sei, weil sie das Bild der Geschlossenheit der G7 nicht gefährden wollten. Warum genau Trump aber nicht noch einen halben Tag länger bleiben konnte, konnte niemand so genau erklären. Er hatte es ihnen schlicht nicht gesagt.
Einige Tage später ein ähnliches Bild bei den diplomatischen Bemühungen der E3 im Krieg zwischen Israel und Iran, also Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens. Die Außenminister versuchten, vor den Militärschlägen zu vermitteln, ohne Erfolg. Donald Trump ließ die eifrigen Europäer wenig charmant wissen: "Iran will nicht mit Europa sprechen. Sie wollen mit uns sprechen. Europa kann dabei nicht helfen."
Nachdem Trump die Atomanlagen dann bombardiert hatte, blieb Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Keir Starmer nicht viel mehr übrig, als in einer schriftlichen Stellungnahme zu erklären, man habe "über die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten beraten". Die diplomatischen Bemühungen werde man fortsetzen.
Die Waffenruhe aber verkündete in der Nacht zum Dienstag einmal mehr: Donald Trump.
Deutschland und Europa? "Zaungäste"
CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter kritisierte die Außenpolitik der E3 schon am Sonntag bei t-online explizit. Deutschland, Frankreich und Großbritannien hätten versäumt, den "Snapback-Mechanismus" auszurufen, sprich sämtliche UN-Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft zu setzen.
Angesichts dieser "diplomatischen Schwäche des Westens" habe Israel den Präventivschlag gewählt, sagte Kiesewetter. "Unsere Außenpolitik hätte dies erkennen müssen." Nun seien die E3 auf "ihre leider klassische Rolle als Zaungäste reduziert".
Zaungäste also – das klingt so gar nicht nach dem Führungsanspruch, den Friedrich Merz gerne formuliert. Jedenfalls klingt der Bundeskanzler auch in seiner Regierungserklärung nicht so, als sei er mit einer Rolle als eine Art Zaunkönig zufrieden. Einem lauten, aber eben auch sehr kleinen Vogel: der Erste unter den Einflusslosen.
Abstimmungsprobleme mit dem Außenminister?
In den vergangenen Tagen machte es ein weiterer Umstand für Friedrich Merz schwierig, seinen hohen außenpolitischen Anspruch einzulösen. Die Absprachen mit seinem Parteifreund und Außenminister Johann Wadephul haben offenbar nicht immer optimal funktioniert.
Am Sonntag, als die Bomben auf Atomanlagen des Iran gefallen waren, schickten einige CDU-Politiker einen Text der "Bild"-Zeitung herum. "Wadephul lag mit Trump-Prognose komplett daneben" lautet die wenig schmeichelhafte Überschrift. Der Außenminister hatte noch am Mittwoch gesagt: "Ich glaube, die Vereinigten Staaten von Amerika werden sich in diesen Krieg nicht einmischen."
Bundeskanzler Friedrich Merz hingegen äußerte sich die ganze Zeit deutlich vorsichtiger. Er sagte Dinge wie: Die USA hätten noch "keine Entscheidung" gefällt. Maximal unverfänglich also. Im Bundeskanzleramt hielten sie eine Bombardierung der Nuklearanlagen seit Tagen für eine mögliche Option.
Bilger: "Schon sehr gut abgestimmt"
Offiziell will man an der Unionsspitze keine Dissonanzen zwischen Bundeskanzler und Außenminister sehen. Im Gegenteil. Der Parlamentarische Geschäftsführer Steffen Bilger sagt am Dienstagvormittag in einer Runde mit Journalisten, die deutsche Außenpolitik sei "schon sehr gut abgestimmt". Merz und Wadephul hätten "ein enges Verhältnis". Es ist ein demonstrativer Schulterschluss.
Es sei richtig, dass Merz "immer wieder sehr klare Worte findet", betont Bilger. Bei Außenminister Wadephul spiele eine Rolle, dass dieser bei seinen Amtskollegen in Europa auch "andere Stimmungen" wahrnimmt gegenüber Israel und dem Iran-Angriff. Wadephul müsse als "Chefdiplomat" darauf achten, mit diesen Ländern "immer eine gute Ebene" zu haben. Es sei deshalb nicht schlimm, wenn es unterschiedliche "Nuancen" in den Aussagen von Kanzler und Außenminister gebe.
Allerdings ist es natürlich mehr als eine Nuance, ob man einen US-Angriff auf den Iran für möglich hält oder nicht.
Friedrich Merz kennt diese Kritik natürlich. In seiner Regierungserklärung baut er an diesem Dienstag einen eigenen Block für Wadephul ein und widmet ihm ein "Wort des Dankes" für "seine intensiven diplomatischen Bemühungen in den letzten Tagen und Wochen". Es dürfte nicht zuletzt ein Signal in die eigenen Reihen sein: Ruhe bewahren.
Eine weitere offene Flanke in der Außenpolitik kann Friedrich Merz nicht gebrauchen.
- Eigene Recherchen und Beobachtung der Regierungserklärung am 24. Juni 2025
- bild.de: "Über Iran-Angriff: Wadephul lag mit Trump-Prognose komplett daneben" (kostenpflichtig)