Sind die Hartz-IV-Sanktionen richtig oder ungerecht? Im Pro und Kontra debattieren Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband und Holger Schäfer vom IW in Köln.
Bald 14 Jahre gibt es Hartz IV in Deutschland, bald 14 Jahre gibt es Streit ums Arbeitslosengeld II. Besonders kontrovers diskutiert werden seither die Sanktionen, die Betroffene bei Verstößen gegen die Hartz-IV-Regeln erwarten. Soll man sie abschaffen, wie etwa SPD-Linke es fordern? Oder beibehalten, wie vor allem Stimmen aus der Wirtschaft mahnen?
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In einer groß angelegten Studie untersuchen der Verein "Sanktionsfrei" und Wuppertaler Wissenschaftler um Professor Rainer Wieland die Auswirkungen der Sanktionen auf die Betroffenen. Die Teilnehmer erhalten drei Jahre lang alle vom Jobcenter verhängten Sanktionen ersetzt, sie leben also quasi sanktionsfrei. Was für und was gegen eine Abschaffung der Strafmaßnahmen spricht, diskutieren Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, und Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, im Pro und Kontra.
Es ist an der Zeit, den Hartz-IV-Sanktionen endgültig den Rücken zu kehren
Sanktionen sind ein Relikt einer völlig unwirksamen Rohrstockpädagogik. Der Rohrstock war von je her Ausdruck individueller Hilflosigkeit in einem hilflosen und hilfelosen System. Die Sanktionen stehen symbolhaft für das misanthropische Menschenbild, das Hartz IV von Anfang an durchdrang. Sanktionen waren und sind die Kehrseite eines Systems, welches keinerlei Respekt zeigt vor beruflichen Biografien, vor Berufsehre oder gar der Lebensleistung eines Menschen. Sanktionen sind die Kehrseite eines Systems, das nicht nur nicht an den Menschen, sondern nicht einmal an sich selbst glaubt. Gerade einmal drei Prozent der Betroffenen werden damit behelligt, und doch ist das ganze Hartz-IV-System auf möglichen Missbrauch und seine Verhinderung ausgerichtet.
Wenn wir diese Sanktionen endlich abschaffen, geht es also um mehr als ein paar Strafaktionen. Es geht um die Neuausrichtung eines Systems; hin zu einem echten Hilfesystem, das nicht länger in Bürokratie erstickt, sondern sich am Menschen orientiert und nicht nur an Computereingabemasken und betriebswirtschaftlichen Kennziffern der Leistungskontrolle.
Alle würden wir etwas von einem solchen System haben: die betroffenen Langzeitarbeitslosen und ihre Familien, für die im Zweifelsfall öffentliche Beschäftigung zu organisieren wären und die Sachbearbeiter, die hilfreich sein könnten. Letztendlich sogar wir alle, indem wir erleben, dass in Deutschland noch etwas nach vorn geht, ohne sich im Klein-Klein zu verstricken.
Mit Sanktionen schützt sich die Gesellschaft vor Ausbeutung
Geht es um Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger, ist das Gesetz eindeutig: Wer Leistungen empfängt, muss mit den Jobcentern kooperieren, um die eigene Hilfebedürftigkeit zu beenden. Wer das nicht tut, kann mit Sanktionen belegt werden. Als Pflichtverletzung gilt zum Beispiel die Weigerung, eine Arbeit aufzunehmen oder einen vereinbarten Termin im Jobcenter ohne triftigen Grund nicht wahrzunehmen.
Mit Sanktionen schützt sich die Gesellschaft vor der Ausbeutung durch jene, die ihre Selbstverantwortung nicht wahrnehmen wollen. Dem Hinweis, dass ein sanktionsgemindertes Arbeitslosengeld II nicht mehr existenzsichernd sei, muss entgegengehalten werden, dass sich die Verhängung einer Sanktion einfach umgehen lässt – nämlich indem man die gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Nichts anderes wird von Steuerzahlern auch erwartet. Die Abschaffung der Sanktionen wäre außerdem ein Freibrief, sich den Lebensunterhalt dauerhaft und ohne Gegenleistung von anderen finanzieren zu lassen. Die wenigsten dürften das als fair empfinden.
Anders als von manchem Politiker behauptet, wirken Sanktionen keineswegs kontraproduktiv. Die mittlerweile recht umfangreiche arbeitsmarktökonomische Forschung dazu konnte nachweisen, dass sanktionierte Hilfeempfänger schneller in Arbeit kommen. Manche Menschen brauchen einen Anstoß von außen, um wieder in ein ökonomisch selbstverantwortlich gestaltetes Leben zurückzufinden: Sie brauchen auf der einen Seite Unterstützung, auf der anderen Seite aber auch die Erkenntnis, dass etwas von ihnen erwartet wird. Wer Sanktionen abschaffen will, überlässt diese Menschen ein Stück weit mehr sich selbst.