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Bluttest für Down-Syndrom: Zeit, dass sich Muslime an der Debatte beteiligen


Down-Syndrom-Bluttest
Es ist Zeit, dass sich Muslime an der Debatte beteiligen

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 12.04.2019Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Ein Mann mit Down-Syndrom: In der muslimischen Welt haben behinderte Menschen mit starker Ausgrenzung zu kämpfen.Vergrößern des Bildes
Ein Mann mit Down-Syndrom: In der muslimischen Welt haben behinderte Menschen mit starker Ausgrenzung zu kämpfen. (Quelle: getty-images-bilder)

Viele Menschen aus der muslimischen Welt haben ein Problem mit Menschen mit Behinderung. Dabei bietet der Islam eigentlich eine erstaunlich moderne Weltanschauung zu dieser Frage.

Menschen mit Behinderungen haben in der arabisch-islamischen Welt oft einen besonders schlechten Stand. Der Volksglaube unter Muslimen wie unter Christen und anderen religiös-weltanschaulichen Gruppen verknüpft ihre Besonderheiten mit Vorstellungen einer göttlichen Bestrafung, wahlweise für eigene Vergehen oder Vergehen von Angehörigen. Oder man hält sie für verflucht.

Die Folge davon ist, dass sich manche Familien für Menschen insbesondere mit geistigen Behinderungen schämen. Sie verstecken sie vor Nachbarn und Freunden. Aktivisten, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzen, haben dort eine entsprechend harten Job.

Teilweise findet sich dieses Denken auch unter Menschen mit arabischen Migrationshintergründen in Deutschland wieder. Die Vorstellungen hierzulande lassen zwar vielfach mehr Sachkenntnisse durchschimmern als jene in der arabisch-islamischen Welt, weil das Thema Behinderung in der hiesigen Öffentlichkeit präsenter ist, aber ein gewisses Unbehagen im Umgang mit Menschen mit Behinderung lässt sich schon wahrnehmen.

Muslime sollten sich mit dem Thema beschäftigen

Der Bundestag hat gestern das Thema beraten. Konkret ging es um die Frage, ob vorgeburtliche Bluttests zur Diagnose möglicher Chromosomen-Defekte beim Ungeborenen künftig von den Krankenkassen bezahlt werden sollen. Die Angelegenheit reicht inzwischen jedoch viel weiter und wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie wollen wir Menschen mit Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft künftig sehen? Wollen wir sie überhaupt noch unter uns sehen?

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Ich würde mir angesichts der eingangs skizzierten Probleme wünschen, auch muslimische Kreise würden die aktuelle Debatte zum Anlass nehmen, sich untereinander mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Bislang ist von den muslimischen Verbänden und Organisationen über Menschen mit Behinderung kaum etwas zu hören. Vereine wie die DITIB greifen Fragen dazu zwar schon mal in Predigten auf, sodass das Thema nicht völlig ausgeblendet wird, doch zumeist beschränken sich die Auseinandersetzung dann auf körperliche Behinderungen.

Körperliche Behinderungen sind vielen Menschen näher, weil sie wissen: Nur ein Unfall, nur eine schwere Krankheit und ich kann selbst zu dieser Gruppe der Menschen mit Behinderung gehören. Vergessen wird dabei oft, Unfälle oder Krankheiten können ebenso geistige Beeinträchtigungen zur Folge haben. Behinderungen sind nichts, was immer nur die anderen betreffen muss.

Reale Situation zeigt den begrenzen Einfluss von Religion entgegen mancher Vorurteile

Der Islam bietet gute Möglichkeiten für einen offenen Umgang mit dem Thema. Der Koran fordert dazu auf, Menschen mit Behinderungen keine Vorwürfe zu machen und sie nicht auszugrenzen. Auch die Rechtsquellen im Islam ziehen Experten zufolge keine ursächliche Verbindung zwischen dem Verhalten eines Menschen und seiner etwaigen körperlichen oder geistigen Einschränkung.

Damit stellt sich islamische Theologie gezielt gegen die verbreiteten Mythen, Menschen mit Behinderung selbst Schuld an ihrer Situation zu geben, und versucht ihre Stellung zu verbessern; die eingangs erwähnte reale Situation von Menschen mit Behinderung in der arabisch-islamischen Welt zeigt da im Übrigen, wie begrenzt der Einfluss der Religion entgegen mancher Vorurteile bisweilen ist.

Aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich, wie herzlich, offen und lebensbejahend Menschen mit einem Down-Syndrom sein können. Wollen wir ihnen das Recht auf Leben wirklich verweigern? Was gibt uns das Recht dazu? Behinderungen gehören zum Leben. Sie sind ein Zeichen der menschlichen Vielfalt, ein weiterer Hinweis darauf, dass Menschen nicht gleich sind. Der Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigung öffnet zudem Horizonte und lehrt viel über das Leben.

Mit Rührung habe ich jüngst das Buch "Umarmen und loslassen" gelesen. Die Autoren Shabnam und Wolfgang Arzt sprachen mich auf einer meiner Lesungen aus meinem "Bratwurst"-Buch an. Sie schenkten mir ihr Buch und noch auf der Bahnfahrt nach Hause habe ich angefangen zu lesen. Die beiden berichten darin über ihr Leben als Eltern der todkranken Tochter Jaël. Bei ihr wurde im 8. Schwangerschaftsmonat Trisomie 18 diagnostiziert. Damit geht normalerweise eine Lebenserwartung von wenigen Stunden bis wenigen Wochen einher. Doch Jaël wurde unglaubliche 13 Jahre alt.

Nicht jeder muss den Weg so gehen wie Shabnam und Wolfgang Arzt. Die Entscheidung ist eine zutiefst persönliche. Aber es ist wert, sich darüber Gedanken zu machen. Und im Islam könnte dieses Nachdenken über das Leben unverkrampfter vonstatten gehen, als in manch anderem religiös-weltanschaulichen Umfeld. Im Islam werden mehr Freiheiten gewährt als zum Beispiel in der Katholischen Kirche. Bioethische Fragen werden selbst unter konservativen Gläubigen sehr modern beantwortet.

Der Status Mensch etwa wird dem Fötus zumindest in sunnitischen Kreisen vergleichsweise spät beigemessen: nach dem Ende der 12. Schwangerschaftswoche (1.Trimester); zum Vergleich: für die Katholische Kirche beginnt menschliches Leben, wenn Ei- und Samenzelle verschmelzen. Damit einher gehen im Islam entsprechend liberalere Haltungen zum Thema Abtreibung. Techniken der Reproduktionsmedizin oder der Pränataldiagnostik sind in der arabischen Welt weit verbreitet.


Doch so weit man der islamischen Welt bei diesem Thema ist, desto mehr hängt man beim Umgang mit Menschen mit Behinderung zurück. Zeit, sich endlich auch darüber mehr Gedanken zu machen, finde ich.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Sie ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB e.V.). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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