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Staatsanwältin klagt an: Gewalt gegen Beamte ist zum Volkssport geworden


Staatsanwältin schlägt Alarm
Gewalt gegen Beamte ist zum Volkssport geworden

InterviewVon Dietmar Seher

05.07.2019Lesedauer: 3 Min.
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Kein Respekt für die Polizei? Bei einer NPD-Kundgebung im Juli 2015 in Dresden schubsen Demonstrationsteilnehmer Polizisten.Vergrößern des Bildes
Kein Respekt für die Polizei? Bei einer NPD-Kundgebung im Juli 2015 in Dresden schubsen Demonstrationsteilnehmer Polizisten. (Quelle: imago-images-bilder)

Angriffe auf Staatsdiener nehmen zu. Nicht nur Polizisten sind betroffen. Auch Rettungssanitäter und Bademeister. Die Düsseldorfer Staatsanwältin Britta Zur spricht von einem "Volkssport".

Beleidigungen, Bedrohungen, Beißattacken: Aggressionen gegen Staatsbedienstete nehmen zu. Jeden Tag kommt es im Schnitt bundesweit zu 32 körperlichen Angriffen gegen Polizeibeamte. Das neue Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) für 2018 nennt in diesem Zusammenhang 34.168 Fälle von Widerstand und tätlicher Gewalt. Vor allem betroffen: Großstädte mit Berlin an der Spitze. Es folgen Köln, Frankfurt, Düsseldorf und Dortmund. Polizisten beklagen sich: "Die Leute akzeptieren kein Nein mehr". Und: "Man beansprucht das Recht auf Irresein".

Längst werden weitere Bereiche des öffentlichen Dienstes zum Ziel. In dieser Woche wurden in Freibädern in Stuttgart und Düsseldorf Bademeister heftigst beschimpft, auch geschubst und getreten. Immer mehr Badeeinrichtungen wollen Sicherheitspersonal einstellen. "Wenn der Bademeister bedroht und nicht mehr ernst genommen wird, verdeutlicht das einmal mehr die Respektlosigkeit und Gewaltbereitschaft in Teilen der Bevölkerung", sagt Heiko Müller von der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Jetzt wollen die Länder die Justiz im Kampf gegen die Täter stärken – wie in NRW. Bei den Staatsanwaltschaften in Düsseldorf, Aachen und Köln arbeiten seit wenigen Monaten drei "Sonderdezernate für Gewalt gegen Personen mit öffentlichen Aufgaben". Sie sollen auf das ganze Land ausgedehnt werden. Britta Zur ist Staatsanwältin in Düsseldorf. Im Gespräch mit t-online.de warnt sie: Verbale oder tätliche Gewalt entwickelten sich zum "Volkssport". Andererseits: Sind bisher Verfahren wegen der Angriffe auf Staatsdiener eher eingestellt worden, kommt es nach Einrichtung der Sonderdezernate öfter zu Verurteilungen, sagt sie.

t-online.de: Wie viele Fälle bearbeiten Sie?

Britta Zur: Im Jahr 2019 haben wir bereits über 700 Aktenzeichen vergeben.

Nehmen die Fälle von Gewalt gegen Staatsdiener zu?

Das kann ich nicht abschließend beurteilen. Unser Sonderdezernat arbeitet seit September 2018. Vorher waren die Verfahren auf viele Dezernate verteilt. Vergleichszahlen liegen mir nicht vor. Es kann sein, dass die Häufigkeit der Delikte steigt. Mein Gefühl ist aber auch, dass die Anzeigebereitschaft der Betroffenen zunimmt. Wir schaffen es wohl, zu sensibilisieren. Unsere Botschaft ist: Erstattet Anzeige!

Welche Straftaten verfolgen Sie?

Mitarbeiter beim Staat werden verbal wie körperlich angegriffen. Wir bearbeiten Straftaten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, wegen tätlicher Angriffe auf sie, wegen Beleidigungen, einfacher und gefährlicher Körperverletzung. Ich habe auch schon Fälle von Bedrohung und Nötigung gehabt.

Wer sind die Opfer dieser Art von Gewalt?

Polizeibeamte machen den überwiegenden Teil aus. Aber auch viele Rettungssanitäter werden zu Opfern, Feuerwehrleute, Mitarbeiter der Ordnungsämter, der Jobcenter, Gerichtsvollzieher, Lehrer, Schaffner und Busfahrer.

Aus welchen Kreisen stammen die Täter?

Pauschal ist das schwer zu sagen. Wir haben in Düsseldorf die Altstadt. Partygänger, die betrunken sind und randalieren, gehören mit Sicherheit dazu. Fußballfans machen einen großen Anteil aus, aber auch ganz andere Gruppen sind dabei. Rechtsanwälte und Ärzte, die sich am Flughafen gegen eine zu langsame Sicherheitskontrolle wehren und ausfallend werden. Kunden im Jobcenter, die sich ärgern, dass sie kein Geld bekommen. Verkehrsteilnehmer, die falsch parken, werden gewalttätig gegenüber Mitarbeitern des Ordnungsamtes. Hausfrauen werden bei einer Verkehrskontrolle ausfallend. Es scheint so eine Art Volkssport zu sein.

Wo liegen die Höchststrafen, die Sie beantragen?

Bei fünf Jahren Haft.

Wird die Höchstgrenze von den Gerichten ausgeschöpft?

Das passiert auch bei schwerster Kriminalität eher selten. Aber für uns ist es bereits ein großer Erfolg, dass die hier ansässigen Amtsgerichte größten Teils nicht mehr nach einer möglichen Verfahrenseinstellung fragen. Sie wissen: Sie bekommen eine abschlägige Antwort. Wir stellen in den allerseltensten Fällen ein. Im Regelfall kommt es zu einer Verurteilung. Also Geldstrafe oder Haft.


In Neuss wurde die Mitarbeiterin eines Jobcenters umgebracht. Spielte das eine Rolle bei der Entscheidung, jetzt konzentrierter in solchen Fällen vorzugehen?

Ich habe damals das Verfahren bearbeitet. Die 32-jährige Mitarbeiterin wurde an ihrem Arbeitsplatz erstochen. Der Fall hat bundesweit Aufsehen erregt. Vielleicht hat der Fall dazu beigetragen, dass wir das Sonderdezernat eingerichtet haben.

Elektroschocker zur Abschreckung?
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangt die Ausstattung der Beamten mit Elektroschockern – auch Taser oder Distanzelektroimpulsgeräte genannt –, um körperliche Angriffe zu verhindern. Bisher verfügen nur Spezialeinsatzkommandos (SEK) über solche Geräte, die in ihrer Wirkung zwischen Reizgas und Schusswaffen angesiedelt sind.

Getestet werden Taser bereits in mehreren Bundesländern wie dem Saarland, Berlin, Bremen und Bayern. Hessen und Rheinland-Pfalz gelten als Vorreiter bei der Beschaffung. Rheinland-Pfalz will bis 2011 alle Polizeidirektionen damit beliefern. NRW hat dies aus finanziellen Gründen zunächst zurückgestellt.

Unstrittig sind Taser nicht. Bei Einsätzen in Nürnberg, Pirmasens und Frankfurt soll es bei ihrem Einsatz in den letzten Monaten zu drei Todesfällen gekommen sein. Allerdings bestreiten die Behörden, dass diese auf die Elektroschocker zurückzuführen sind. Amnesty International fordert ein Moratorium, bis eine Überprüfung die Sicherheit ergeben hat. Die GdP weist darauf hin, dass beim regulären Einsatz in England und Wales in vier von fünf Fällen bereits die Drohung durch die Polizisten reicht, um weitergehende Auseinandersetzungen zu verhindern.

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