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Verfassungsrechtler über Corona-Politik: Ist sie verfassungskonform?


Verfassungsrechtler erklärt
Ist der Corona-Lockdown rechtswidrig?

InterviewVon Rebekka Wiese

28.10.2020Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Ein Absperrband vor dem Gymnasium Pfarrkirchen: In einigen Landkreisen, wie dem niederbayerischen Rottal-Inn, gelten bereits strikte Ausgangsbeschränkungen.Vergrößern des Bildes
Ein Absperrband vor dem Gymnasium Pfarrkirchen: In einigen Landkreisen, wie dem niederbayerischen Rottal-Inn, gelten bereits strikte Ausgangsbeschränkungen. (Quelle: Armin Weigel/dpa)

Bund und Länder beschließen neue Corona-Maßnahmen. Dabei gibt es viel Kritik an diesem Verfahren: Ist das eigentlich mit der Verfassung vereinbar? Das erklärt der Jurist Ulf Buermeyer.

Ein Lockdown ist es nicht – aber die neuen Maßnahmen, zu denen sich Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Bundesländer verständigt haben, sind einschneidend. Mehr zu den neuen Regeln ab November lesen Sie hier. Die Kanzlerin schaltete sich dafür mit den 16 Länderchefs zusammen – so wie es seit Beginn der Pandemie schon oft passiert ist. Dass der Bundestag dabei nicht einbezogen wird, sorgt dabei für Kritik: Johannes Fechner, Obmann der SPD-Fraktion im Rechtsausschuss des Bundestages, nannte das Verfahren der derzeitigen Corona-Politik "verfassungsrechtlich bedenklich", Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble forderte, die Stellung des Bundestages müsse wieder gestärkt werden und FDP-Chef Christian Lindner zweifelte im Vorfeld der neuen Beschlüsse an, ob sie überhaupt rechtmäßig seien.

Ulf Buermeyer ist Richter am Landgericht Berlin und Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Derzeit ist er in der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung tätig, außerdem moderiert er den wöchentlichen Politik-Podcast "Die Lage der Nation" mit dem Journalisten Philip Banse. Im Interview erklärt der Verfassungsexperte, weshalb Bund und Länder so stark in die Grundrechte eingreifen dürfen, welche Kritik an den Corona-Maßnahmen berechtigt ist – und welche nicht.

t-online: Herr Buermeyer, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner twitterte gestern: "Laut Medienberichten will Frau Merkel u.a. die Gastronomie komplett stilllegen. Das hielte ich für unnötig und deshalb auch für verfassungswidrig." Liegt Lindner mit dieser Einschätzung richtig?

Ulf Buermeyer (44): Ein solcher Beschluss wäre jedenfalls ein großes verfassungsrechtliches Problem. Aus juristischer Sicht müssen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf einer rationalen wissenschaftlichen Grundlage beruhen. Das Robert Koch-Institut veröffentlicht regelmäßig Angaben dazu, wo sich Menschen nachweislich infiziert haben. Die zeigen, dass private Feiern und Treffen in größeren Gruppen ein zentrales Problem sind – aber eben nicht die Gastronomie.

Aber das heißt, dass andere Auflagen in Ordnung wären – zum Beispiel striktere Obergrenze für private Treffen?

Genau das ist der Punkt. Denn nach den Angaben des RKI scheint es das zentrale Problem zu sein, dass sich immer noch große Gruppen treffen oder dass Hochzeiten im großen Rahmen begangen werden – das geht gerade einfach nicht mehr. Deswegen müssten Einschränkungen bei privaten Gruppen beschlossen werden.

In letzter Zeit gab es immer lautere Kritik, dass der Bundestag in der Corona-Pandemie übergangen worden sei. Ist diese Kritik berechtigt?

Der Bundestag ist nicht übergangen worden. Denn er hat die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, auf denen die derzeitigen Anti-Corona-Vorlagen beruhen. Der Bundestag hätte es in der Hand, die Rechtsgrundlagen zu ändern: Dann wären Corona-Verordnungen entweder gar nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich. Trotzdem sehe ich, dass der Bundestag als Ort der politischen Debatte im Diskurs über die Pandemie zu kurz gekommen ist. Deswegen sollte der Bundestag als Diskussionsplattform stärker genutzt werden – zum Beispiel mit dem Instrument der Aktuellen Stunde.

Auch Angela Merkel sagte vor einigen Monaten, die Pandemie sei eine demokratische Zumutung. Was müsste sich ändern, damit die Corona-Schutzmaßnahmen auf stärkerer demokratischer Basis stehen?

Die Politik muss die Maßnahmen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen ableiten und sie damit begründen. Deswegen waren die Beherbergungsverbote ein echter Sündenfall. Weil es einfach keinerlei Anhaltspunkte gab, dass Reisen oder das Übernachten in Beherbergungsbetrieben einen nennenswerten Beitrag leisten zur Pandemie. Das war schlicht und ergreifend völlig unverhältnismäßig. Das hat natürlich viel Vertrauen gekostet.

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Das Infektionsschutzgesetz ermöglicht es, die Grundrechte teilweise einzuschränken. Wie weit dürfen diese Eingriffe gehen?

Solche Eingriffe könnten potenziell sehr, sehr weit reichen. Das hängt eben immer von der Verhältnismäßigkeit ab. Das heißt, die Eingriffe in das Grundrecht, die getroffen werden, müssen in einem vernünftigen Verhältnis zu den Schutzmaßnahmen stehen. Wenn wir tatsächlich eine Pandemie haben, die völlig außer Kontrolle gerät und potenziell Tausende Tote drohen, dann sind selbstverständlich auch sehr drastische Einschränkungsmaßnahmen verhältnismäßig. Und Medizinern und Virologen zufolge stehen wir jetzt an der Schwelle zu einer solchen ungebremsten Pandemie.


Sind wir jetzt politisch wieder an dem Punkt, wo wir im März schon waren?

Nicht ganz. Im März hatten wir noch keine Erfahrung mit dieser Pandemie, wir wussten nicht genau, was wirkt und was nicht. Deswegen hatte die Politik wesentlich mehr Spielräume. Und deswegen haben die Gerichte auch am Anfang sehr zurückhaltend entschieden. Das ist jetzt anders: Wir wissen inzwischen, was die Pandemie treibt und was nicht. Und daran muss sich die Politik orientieren.

Aber das heißt, das Verfahren, dass sich heute die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten trifft, um neue Corona-Maßnahmen zu beschließen, das ist verfassungsrechtlich grundsätzlich legitim?

Ja, wie gesagt, der Bundestag hat ja die Länder ausdrücklich ermächtigt, solche Maßnahmen zu beschließen. Der Bundestag hat das entsprechende Gesetz beschlossen, das die Voraussetzung für die Maßnahmen ist – und er könnte dieses Gesetz jederzeit aufheben. Dazu müsste der Bundestag nur einen entsprechenden Beschluss treffen, aber das will das Parlament nicht. Insofern ist der Vorwurf der mangelnden demokratischen Legitimation falsch. Ich finde aber, dass der Bundestag als Diskursraum stärker eingebunden werden sollte – weil das der Ort ist, wo sich der politische Wille in Deutschland bildet.

Hinweis: Das Interview wurde bereits vor den neuen Corona-Beschlüssen am Mittwochvormittag geführt und erstmalig veröffentlicht.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Ulf Buermeyer
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