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Corona: Diese Menschen wurden in der Impf-Verordnung vergessen


Risikopatienten und systemrelevante Berufe
Diese Menschen wurden beim Impfplan vergessen

  • Marianne Max
Von Marianne Max

Aktualisiert am 25.01.2021Lesedauer: 4 Min.
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Medizinisches Personal schiebt einen Rollstuhlfahrer: Einige Menschen mit Behinderung werden in der Impf-Priorisierung nicht berücksichtigt (Symbolbild).Vergrößern des Bildes
Medizinisches Personal schiebt einen Rollstuhlfahrer: Einige Menschen mit Behinderung werden in der Impf-Priorisierung nicht berücksichtigt (Symbolbild). (Quelle: Tom Weller/dpa-bilder)

Seit Monaten sind viele Menschen, die der Corona-Risikogruppe angehören, in der Selbstisolation. Andere sind beruflich einem beständigen Risiko ausgesetzt, an dem Virus zu erkranken. Und dennoch: Viele von ihnen finden in der Coronavirus-Impfverordnung keinen Platz.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verteidigte Anfang des Jahres seine Impfstrategie. "Natürlich ruckelt es bei der größten Impfkampagne der Geschichte". "Schritt für Schritt" käme man jedoch dahin, dass das Leben nicht mehr von der Pandemie kontrolliert werde, ermutigte er.

Was Hoffnung machen sollte, ist ein schwacher Trost für Menschen, die mehr als andere um ihre Gesundheit oder gar um ihr Leben fürchten müssen. Denn viele Menschen, ob mit gesundheitlichem oder beruflichem Risiko, fallen bei der Impf-Priorisierung der Ständigen Impfkommission (STIKO) durchs Raster – und landen so auf den letzten Plätzen bei der Impfstoffvergabe.

Gerechtigkeit muss in Kategorien verfahren

Menschen, die mit einer Behinderung leben, finden in der Corona-Impfstoffverordnung nur wenig Platz. In Gruppe eins – mit höchster Priorität – sind sie nur, wenn sie in einem Pflegeheim betreut werden. Weitere Personen, die ein sehr hohes oder hohes Risiko haben, bei einer Infektion mit dem Coronavirus einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf zu erleiden, befinden sich derzeit in der Gruppe zwei der Corona-Impfverordnung.

Diese umfasst unter anderem Personen mit Trisomie 21, demenzkranke Personen, Menschen mit einer geistigen Behinderung oder Personen, die eine Organtransplantation hinter sich haben. "Alle Einteilungen in Gruppen haben natürlich auch Nachteile. Die Gerechtigkeit muss in Kategorien verfahren, die natürlich etwas schief sitzen können – das ist das Wesen von Kategorien", sagte Stefan Gosepath, Professor für praktische Ethik an der Freien Universität Berlin, zu t-online.

Für Personen mit Behinderungen abseits von Trisomie 21 oder Pflegeheimen sieht die Impfstoff-Verordnung keine erhöhte Priorität vor. Sofern sie nicht ein gewisses Alter erreicht haben, werden sie also zu den gesunden jungen Menschen gezählt, die bis zum Sommer darauf warten müssen, an der Reihe zu sein.

"Komplett vergessen": Menschen mit Behinderung

Raul Krauthausen ist Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit, lebt selbst mit einer Behinderung und gibt im "Deutschlandfunk"-Interview zu bedenken: "Was viele Menschen mit Behinderungen irritiert, ist, dass die Politik davon ausgeht, dass Menschen, die behindert sind, eine chronische Erkrankung haben, in Einrichtungen leben, in Behindertenheimen, in Pflegeheimen. Dabei lebt ein Großteil von ihnen zu Hause." Diese Menschen lebten seit Beginn der Corona-Pandemie in Selbstisolation. Und "jetzt werden wir auch, obwohl wir alle optimistisch waren, bei den Auflistungen der Phasen, wer wann geimpft werden soll, komplett vergessen", kritisiert Krauthausen.

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Doch es gibt einen Lichtblick: Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat nachgebessert. So heißt es jetzt in ihrer Empfehlung: "Bei der Priorisierung innerhalb der COVID-19-Impfempfehlung der STIKO können nicht alle Krankheitsbilder oder Impfindikationen berücksichtigt werden. Deshalb sind Einzelfallentscheidungen möglich." Diese Einzelfallentscheidungen zu treffen, obliegt allein dem medizinischen Personal, das die Impfung durchführt. "Das sehe ich als äußerst positiv: Die Impfkommission reagiert auf öffentlichen Druck", sagt Gosepath.

Eine Ausnahme für Einzelfälle zu machen, sei ein guter Schritt. "Es muss jedoch aufgepasst werden, dass Ärzte und Impfzentren dadurch nicht überlastet werden. Es müssen Ausnahmen bleiben", betont der Experte. Für Gosepath ist die Priorisierung nicht der entscheidende Punkt. "Das Wichtigste ist, dass alle möglichst schnell geimpft werden und wir schnell einen positiven Effekt der Impfung sehen."

Bestatter sind dem Coronavirus ausgeliefert

Auch Menschen, die in Bestattungsunternehmen arbeiten, müssen erneut um ihren Platz kämpfen. Bereits im Frühjahr wurden sie vergessen, als es um die Einschätzung der systemrelevanten Berufe ging. Im Dezember dann zeigte sich die Systemrelevanz ihres Berufes, als sich die Särge der Corona-Toten in den Krematorien stapelten. Und dennoch: In der Corona-Impfverordnung erhalten sie keine besondere Priorisierung. Geimpft werden zunächst nur Personen, die in medizinischen Einrichtungen arbeiten – Bestatter zählen nicht dazu.

Zwar ist noch nicht geklärt, ob man sich auch beim Kontakt mit Corona-Toten infizieren kann, dennoch empfiehlt das Robert Koch-Institut (RKI) besondere Schutzmaßnahmen im Umgang mit ihnen, da ein erhöhtes Infektionsrisiko nicht auszuschließen ist. "Wir brauchen deshalb dringend Priorität bei den Impfungen", fordert Ralf Michal, Vorsitzender des bayerischen Bestatterverbands gegenüber dem "Münchner Merkur".

Kein Lichtblick und kein Schutz für Kinder mit Behinderung

Für Kinder ist die Corona-Impfung bislang noch nicht vollständig auf Wirksamkeit und Sicherheit erforscht. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist ein Grund dafür, dass Kinder aus ethischen Gründen nicht für frühe Testphasen vorgesehen sind.

Während also Erwachsene, die mit einer Behinderung leben, derzeit wenigstens auf die letzten Plätze der Impfstoffvergabe warten können, besteht für Kinder mit einer Behinderung noch keine Hoffnung. Werden die Kinder zu Hause gepflegt, so sieht die Prioritätenliste für die Impfstoffvergabe auch für ihre nahen Angehörigen kein Recht vor, sich zeitnah impfen zu lassen.

700.000 Pflegekräfte aus Osteuropa

Pflegekräfte, die in ambulanten oder stationären Pflegediensten arbeiten, haben die höchste Priorität bei der Impfstoffvergabe. Sie können sich schon jetzt impfen lassen. Nicht berücksichtigt werden hingegen private Pflegekräfte. Doch es gibt ein Schlupfloch: Zu den Personen der zweiten Kategorie, und damit von hoher Priorität, zählt "eine enge Kontaktperson". Wird die private Pflegeperson also von der zu pflegenden Person als einzige "enge Kontaktperson" auserkoren, steht dieser eine Impfung zu – wenn sie bei einer deutschen Krankenversicherung versichert ist. "Die meisten Pflegekräfte aus Mittel- und Osteuropa erfüllen diese Anforderung nicht. Und das ist ein Problem", sagte Frederic Seebohm, Vorsorgeanwalt und Geschäftsführer des Verbands für häusliche Betreuung und Pflege e.V. (VHBP), der "Deutschen Welle". Viele Pflegekräfte seien in ihren Heimatländern versichert.

Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege e.V. schätzt, dass in Deutschland bis zu 700.000 Pflegekräfte jährlich in der häuslichen Pflege tätig sind – 90 Prozent davon, so die Vermutungen, arbeiten illegal. Gosepath gibt zu bedenken, "die Tatsache, woher die Pflegekräfte kommen, sollte für die Vulnerabilität keinen Unterschied machen." Auch Niklas Harder, Integrationsforscher am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin fordert deshalb im Interview mit der "taz": "Die Gruppe der osteuropäischen Betreuerinnen müsste unbürokratisch Zugang zu Impfungen erhalten." Gosepath schlägt vor, "mobile Impfteams, die solche Personen auch anonym impfen, könnten langfristig gesehen eine Lösung sein".

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Prof. Dr. Stefan Gosepath
  • Bundesgesundheitsministerium: "Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronavirus-Impfverordnung – CoronaImpfV)"
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