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Sahra Wagenknecht: Die Linken-Politikerin ist aus der Zeit gefallen


Aus der Zeit gefallen

  • Lamya Kaddor
Von Lamya Kaddor

15.04.2021Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Sahra Wagenknecht: Die Linken-Politikerin scheint aus der Zeit gefallen zu sein, meint Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrâßern des Bildes
Sahra Wagenknecht: Die Linken-Politikerin scheint aus der Zeit gefallen zu sein, meint Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: Christian Thiel/imago-images-bilder)

An Sahra Wagenknecht zieht die Entwicklung der Gesellschaft offenbar vorbei. WΓ€hrend die Linken-Politikerin von "Lifestyle-Linken" schreibt, ist sie zwischen den Achtzigern und Neunzigern steckengeblieben.

In den sozialen Medien gehârt es für viele Privatleute zum guten Ton, bei religiâsen AnlÀssen ihre christlichen, jüdischen oder muslimischen Freundinnen und Freunden zu grüßen. So dieser Tage zum Ramadanauftakt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel oder der Zentralrat der Juden, der FC Liverpool oder der âsterreichische BundesprÀsident Alexander Van der Bellen tun es seit einiger Zeit. Das wird gerade von jüngeren Musliminnen und Muslimen gebührend gewürdigt. "Habibi Merkel", kommentieren sie auf Instagram: "Ehrenfrau", "Ich küss dein Herz", "Danke, liebe Kanzlerin". Zehntausenden gefallen diese Kommentare und Danksagungen.

Glückwünsche zum Ramadan von Politik und Prominenz signalisieren WertschÀtzung, Anerkennung, Respekt und senden die Botschaft aus: "Wir nehmen euch wahr. Ihr seid ein Teil unserer Gesellschaft." Das ist ein Schritt hin zur NormalitÀt, nachdem die Weltreligion Islam zwei Jahrzehnte lang der Hetze aus allen Richtungen ausgesetzt war, die die berechtigte Kritik an den MissstÀnden in den muslimischen Gemeinschaften so oft überlagert und so viele (muslimisierte) Menschen in großes Leid gestürzt hat.

Sahra Wagenknecht ist keine Rassistin

Vom Ziel NormalitΓ€t sind wir allerdings noch weit entfernt. Das zeigen jene, die sich mit ihrem Γ€tzenden islamfeindlichen Hass auf solche Ramadan-Grüße stΓΌrzen wie Motten in das Licht, und jene, bei denen die RealitΓ€t der Moderne noch nicht angekommen zu sein scheint – wie bei Sahra Wagenknecht, Galionsfigur der Linkspartei, Ex-Bundestags-Fraktionschefin und Buchautorin.

SelbstverstΓ€ndlich ist Sahra Wagenknecht keine Rassistin. Sie trΓ€gt, denke ich, nicht wesentlich mehr Vorurteile in sich, als wir alle es fΓΌr gewΓΆhnlich tun. Ihre Γ„ußerungen gegen Diskriminierung von Minderheiten wirken auf mich authentisch. Sie weiß, wovon sie spricht. Die Tochter eines Iraners erzΓ€hlte dem Zeit-Magazin 2017 ΓΌber ihre Kindheit in der DDR: "Ich sah fremdlΓ€ndisch aus. Da gab es immer wieder unschΓΆne Erlebnisse, Kinder, die mich gehΓ€nselt haben: 'Wie sieht denn die aus?'– 'Kommst du aus China?'"

Aus der Zeit gefallen

Sahra Wagenknecht scheint mir vielmehr aus der Zeit gefallen zu sein. Es wirkt, als wΓ€re sie irgendwo zwischen den Achtzigern und frΓΌhen Neunzigern stecken geblieben. Sie versteht sich als traditionelle Linke; als konservative Linke, wenn man so will. Geboren und sozialisiert im "Arbeiter- und Bauernstaat", dreht sich bis heute alles bei ihr um die Arbeiterklasse. Arbeiterinnen und Arbeiter machen gegenwΓ€rtig noch ein Viertel aller ErwerbstΓ€tigen im produzierenden Gewerbe aus.

Ihre Zahl ist über die Jahrzehnte massiv geschrumpft. 75 Prozent ernÀhrt der Dienstleistungssektor, rund ein Prozent die Landwirtschaft. Am hâchsten ist der Arbeiteranteil laut Rosa-Luxemburg-Stiftung in Wagenknechts alter Heimat Thüringen mit 35,9 Prozent, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt mit etwas unter 30 Prozent. Sahra Wagenknecht weiß offenbar nicht mehr so genau, wo die deutsche Gesellschaft im 21. Jahrhundert steht. Das zeigte schon ihre Bewegung "Aufstehen" von 2018, bei der die meisten von Anfang an einfach sitzen geblieben sind.

Gesellschaftlicher Wandel ist an ihr vorbeigegangen

In ihrer Fixierung auf Arbeiter richtet die 51-JΓ€hrige ihre Ansprache primΓ€r an BundesbΓΌrger ohne Zuwanderungsgeschichte. Arbeiter, die seit Mitte der 50er eingewandert sind, so wie meine Eltern, die als "Gastarbeiter" den RΓΌcken krumm gemacht haben, hat sie nicht im Blick. Sie adressiert sie jedenfalls mit ihrer Wortwahl nicht, obwohl bereits mehr als 26 Prozent aller Arbeiter einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Der gesellschaftliche Wandel ist augenscheinlich an ihr vorbeigegangen.

Bei mir rufen Sahra Wagenknechts Γ„ußerungen Gedanken an Sozialismus und Nationalismus hervor. Über diese Kombination muss man sich nicht wundern, sozialistisches und nationalistisches Denken passten schon frΓΌher gut zusammen – spΓ€testens seit Friedrich Naumann. 1896 hatte der Pfarrer und Publizist den "Nationalsozialen Verein" gegrΓΌndet. Mit AnsΓ€tzen von gestern jedoch, die an nationalstaatliche oder sogar vΓΆlkische Einstellungen anknΓΌpfen und letztlich gute Lebensbedingungen primΓ€r fΓΌr deutsche Arbeiter ohne Migrationshintergrund suchen, lΓ€sst sich in einer modernen Einwanderungs- und Dienstleistungsgesellschaft der EuropΓ€ischen Union, eingebettet in globalisierte Strukturen, kein großartiger politischer Erfolg mehr erzielen.

Wagenknechts Buch wird keinen besonderen Einfluss haben

Sahra Wagenknechts Buch "Die Selbstgerechten", das sie diese Woche vorgestellt hat und das ihre Ideen zusammenfasst, wird daher keinen besonderen Impact haben. Schon gar nicht wird es dafür sorgen, "dass die Linke wieder mehr Rückhalt gewinnt", wie sie hofft. Im Gegenteil. Ihre Überlegungen spalten die Linke, und wer sich in Teilen der Republik als Volkspartei begreift, darf nicht einmal daran denken, sich in so eine politische Nische zu begeben.


Die klassischen Arbeiter sind ΓΌber die Jahrzehnte des Strukturwandels selbst zur Minderheit geworden und haben sich von SPD und Linken abgekoppelt. Die meisten fΓΌhlen sich bei anderen Parteien besser aufgehoben – und das gilt nicht nur fΓΌr die AfD; vor allem CDU/CSU und die GrΓΌnen formulieren selbstverstΓ€ndlich ebenfalls Angebote an Arbeiter. Bei der Landtagswahl in Baden-WΓΌrttemberg wurde die AfD unter ihnen zwar die stΓ€rkste Kraft, die Linke jedoch rangierte auf dem letzten Platz. Mit mageren drei Prozent. Sogar noch deutlich hinter der FDP. Ein Γ€hnliches Bild fΓΌr die Linke ergibt sich in Rheinland-Pfalz.

Flirt mit dem Rechtspopulismus

Es ist wichtig, sich fΓΌr Arbeiter, BeschΓ€ftigte im Niedriglohnsektor und Arbeitslose in Deutschland politisch zu engagieren. DarΓΌber hinaus fΓΌhlen sich benachteiligte Deutsche ohne sogenannten Migrationshintergrund nach meinen Beobachtungen zu Recht hΓ€ufig ΓΌbergangen und in ihren NΓΆten, Γ„ngsten und Sorgen alleingelassen. Das mΓΌssen sich alle Parteien selbstkritisch vorhalten. Diese Gruppen brauchen eine politische Vertretung. Dass sich Sahra Wagenknecht fΓΌr sie einsetzt, ist also gut und richtig.

Diejenigen, die vorgeben, besonders viel fΓΌr sie tun zu wollen, flirten jedoch zu oft mit dem Rechtspopulismus und versuchen, selbst Krakeeler bei ihren wΓΌtenden Tiraden und ausgrenzenden Γ„ußerungen noch abzuholen. Das gilt auch fΓΌr Sahra Wagenknecht. Sie argumentiert mit rechten Reizthemen und nutzt Sprachcodes von AfD und Co. Sie ruft das Feindbild "alter weißer Mann" auf, feuert Polemiken gegen das Gendern ab, bemΓΌht den Vorwurf der "Nazi-Keule", redet Alltagsrassismus klein und kritisiert IdentitΓ€tspolitik, indem sie bereits marginalisierte Gruppen noch weiter verΓ€chtlich macht.

Wagenknecht setzte sich als Spitzenkandidatin durch

Letzteres fΓΌhrte am Wochenende beim Landesparteitag der Linken in NRW dazu, dass die 20-jΓ€hrige Genossin Hannah Harhues kurzfristig gegen sie antrat: "Ich stehe hier", sagte Harhues, "und kandidiere auf Platz 1, weil ich es nicht akzeptiere, als queere Person von Sahra Wagenknecht in ihrem Buch als Teil einer 'skurrilen Minderheit' mit 'Marotten' beleidigt zu werden." Am Ende setzte sich Sahra Wagenknecht gegen sie und Angela Bankert mit mageren 61 Prozent als Spitzenkandidatin durch.

Ihr Vorgehen und ihre Absicht, der neuen "Arbeiterpartei" AfD WΓ€hler abzujagen, tauchen zudem ihre Auseinandersetzungen mit dem Thema Zuwanderung in ein braunes Licht. Dazu tragen ihre SchmΓ€hungen anderer Linker des Weiteren bei. Sie spricht davon, dass die vermeintlich linken Eliten auf Menschen herabsehen wΓΌrden, die "nie eine UniversitΓ€t besuchen konnten, eher im kleinstΓ€dtischen Umfeld leben und die Zutaten fΓΌr ihren Grillabend schon deshalb bei Aldi holen, weil das Geld bis zum Monatsende reichen muss."

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Auftreten der Linken-Politikerin ist seit Jahren auffΓ€llig

Dabei geht es hier in der Regel um die Herabsetzung von rassistischen und antidemokratischen Haltungen pseudobesorgter Bürger: "Faschisten hâren niemals auf, Faschisten zu sein. Man diskutiert mit ihnen nicht, hat die Geschichte gezeigt", fasst der Rapper "Danger Dan" (Antilopen Gang) auf seinem derzeit vieldiskutierten Klavieralbum "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" ganz treffend zusammen. Bei Sahra Wagenknecht heißt es dagegen beschânigend über pegidaeske Gruppen, dass sie "zuweilen hÀrter oder grimmiger wirken und schlechter gelaunt sind", weil sie viel hÀrter um ihr bisschen Wohlstand kÀmpfen müssten. Als kânnte das Anfeindungen gegen Minderheitengruppen rechtfertigen?!

Das Auftreten der Linken-Politikerin ist seit Jahren derart auffΓ€llig, dass sie sich vor Avancen Rechter und ihrer GewΓ€hrsleute kaum retten kann und sich immer wieder genΓΆtigt sieht, Umarmungsversuche der AfD abzuwehren. Dass das ausgerechnet eine fΓΌhrende Politikerin einer Partei betrifft, die von diesen Umarmern sonst als SED-Nachfolgepartei und linksradikaler Haufen beschimpft wird, ist mehr als bemerkenswert. Das rΓΌckgratlose Instrumentalisieren von Sahra Wagenknecht ist so durchschaubar wie armselig.

Sie macht sich zum Problem fΓΌr progressive politische BΓΌndnisse

Die politischen Botschaften der AfD sind offenkundig so schlecht, dass selbst eine verhasste Gegnerin benâtigt wird, um sie unters Volk zu bringen. Als Waffe gegen Vielfalt und Gleichberechtigung ist alles und jeder willkommen. So wie früher soll es sein, mit "Cancel Culture" für die lÀstigen Minderheiten. Um sich davon loszusagen, reichen DistanzierungsÀußerungen nicht aus, hier müsste Sahra Wagenknecht mit substanziellem Handeln reagieren.

An einigen Stellen ihrer Analysen liegt sie gar nicht falsch und an anderen produziert sie durchaus diskussionswΓΌrdige Thesen. Man kΓΆnnte sich an ihrer Grundthese, dass Linke bisweilen selbstgerecht, ΓΌberheblich und weltfremd agierten, weshalb sie sie abschΓ€tzig als "Lifestyle-Linke" bezeichnet, durchaus selbstkritisch abarbeiten, wenn da nicht der ganze Ballast wΓ€re. Indem sie ihren Cocktail unnΓΆtigerweise mit Gendern, Migration, Integration etc. zusammenrΓΌhrt, was besser getrennt voneinander diskutiert werden sollte, umgarnt sie eindeutig Gruppen, die sich demokratischen Grundgedanken verweigern. Damit stellt sie sich nicht nur selbst ins Abseits, es macht sie auch zum Problem fΓΌr progressive politische BΓΌndnisse.

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Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, ReligionspÀdagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der UniversitÀt Duisburg-Essen und ist Kandidatin der Grünen für den Bundestag. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie kânnen unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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