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Friedrich Merz: Warum die Zeit gegen den CDU-Chef arbeitet


Oppositionschef wider Willen
Warum die Zeit gegen Friedrich Merz arbeitet

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 02.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Friedrich Merz: Damit der CDU-Chef Erfolg haben kann, muss SPD-Kanzler Olaf Scholz Fehler machen.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz: Damit der CDU-Chef Erfolg haben kann, muss SPD-Kanzler Olaf Scholz Fehler machen. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa-bilder)

Opposition ist Mist, sagte einmal der Sozialdemokrat Franz Müntefering. Friedrich Merz ist zwar von der CDU, dürfte aber der gleichen Meinung sein. Vor allem aber macht ein Faktor Merz zu schaffen.

Zum festen Bestand des Soundtracks meiner Jugend gehört eine Band, die sich "Schwoißfuaß" nannte und die wir im Unteren Illertal so grandios fanden, dass sich der ausbleibende internationale Durchbruch für uns nur so erklärte, dass sie nicht nur Deutsch, sondern schlimmer: Schwäbisch sangen.

Die Rocker von Schwoißfuaß waren unsere Welt. Ihr Hit "Oinr isch emmr dr Arsch" handelte von den coolen Typen, denen die Mädels erlagen, und eben den Anderen, also uns. Pennälerprobleme Pubertierender, die mehr sein wollen, als sie sind. "Wenn d’Masgga verrudschd" besang das Gefühl, wenn sich plötzlich das ganze Showgehabe eines von seinen Ängsten getriebenen (schwäbischen?) Rockstars auf der Bühne entlarvt. Der plötzlich patzt, seine Maske verliert und mit einem Mal auch nur so ein Typ mit Schwächen ist wie wir da unten vor der Bühne auch.

Vom Mofa-Frisierer zum Oppositionschef

Friedrich Merz ist nicht im Schwäbischen aufgewachsen, sondern im Sauerland. Dort hat er nach eigenen Angaben in dieser Lebensphase sein Mofa frisiert wie ich zu Schwoißfuaß-Zeiten natürlich auch. Inzwischen steht Merz, Parteichef, Fraktionschef, endlich auf der großen politischen Bühne – auf der ihm auch immer wieder einmal die Maske verrutscht.

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Die Zeitläufte wollen es, dass Friedrich Merz derzeit Staatsmann und Oppositionschef in einem sein muss. Diese Doppelrolle ist ihm nicht auf den Leib geschrieben. Immer wieder, wenn der Staatsmann Merz von ihm gegeben wird, verrutscht die Maske, und der Oppositionschef steht am Rednerpult – und redet auch so. Zuletzt vergangene Woche, als es um den am Ende gemeinsamen Antrag ging von Regierung und Unionsfraktion für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine.

Merz, der vorher mit einem eigenen Antrag eine Art Misstrauensantrag durch die Hintertür geplant hatte, musste nun das gemeinsame Projekt schwerer Waffen von Regierung und Opposition rühmen. Was er nur kursorisch tat und sich vor allem in endloser Kritik am Zauderkanzler Scholz erging.

Jetzt plant Merz auf eigene Faust einen Besuch in Kiew. Sein Büro gibt sich alle Mühe, die Reise als einen Akt der Staatsraison darzustellen. Regierung, Opposition? "N'importe quoi!", wie der Franzose sagt: gleichviel! Hauptsache, jemand aus der deutschen Spitzenpolitik zeigt Solidarität mit Wolodymyr Selenskyj und der Ukraine.

Im Auftreten gemäßigt

Diese Auslegung von Merz’ geplanter Reise liegt irgendwo zwischen frech und frivol. Denn es geht Merz natürlich vor allem darum, deutlich zu machen, wer nicht nach Kiew fährt. Die Aktion erinnert an das Interview der damaligen Oppositionschefin Angela Merkel mit einer großen amerikanischen Tageszeitung, wonach der deutsche Bundeskanzler mit seinem (am Ende richtigen) Nein zum Irakkrieg der Amerikaner nicht für alle Deutschen spräche. Das Interview schlug seine Wellen just in dem Moment, in dem Schröder selbst in die USA flog.

Friedrich Merz hat in den vergangenen Jahren viel dafür getan, ein staatstragenderes Auftreten an den Tag zu lagen. Er ist konzilianter, weniger aggressiv, weniger selbstgewiss, toleranter und offener anderen Meinungen gegenüber. Aber das ist mühsam antrainiert, auch deshalb, weil er seine Wählbarkeit innerhalb der eigenen Partei erhöhen musste und dafür Unterstützer auch jenseits seiner ureigenen Überzeugungen brauchte.

Im Kern ist er immer der Gleiche geblieben. Mit 66 Jahren ändert man sich nicht mehr. Man kann Kreide fressen, man kann eine Maske aufsetzen. Aber man ändert sich nicht mehr. Und Merz ist auf die Rolle des Angreifers geeicht, konditioniert. Sie entspricht auch seinem Naturell. Merz war nie Minister, nie Ministerpräsident, nie Regierung. Er war Oppositionschef im Bundestag, bis ihn Merkel von diesem Posten verdrängte. Er war integraler Bestandteil der IPO in der CDU, Anführer der innerparteilichen Opposition gegen die Merkel-CDU. Und er startete auch jetzt ziemlich gut in dieser Rolle, nachdem Scholz Kanzler geworden war.

Bis ihm Putins Krieg die zweite Position zusätzlich zuwies, die des Staatsmanns. Seither weiß Merz manchmal nicht mehr genau, wer er ist.

Merz braucht Scholz' Scheitern

Die notgedrungen staatstragende Pose passt Merz aus einem weiteren Grund nicht ins Konzept. Seine einzige realistische Chance, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden, besteht in einem fliegenden Wechsel. In einem Übergang von der Ampel nahtlos zu Jamaika. Deshalb hatte er auch vor, mit dem Waffenantrag der Union die Grünen und die FDP von der SPD und dem Kanzler zu separieren.

Er wird das immer wieder versuchen. Es ist seine einzige Chance. Denn es hat sehr lange gedauert, bis er nach Merkel in die Reichweite des Kanzleramtes gelangte. Vielleicht zu lange.

Natürlich war sein Lebensziel nicht, Parteichef und Fraktionschef zu werden. Selbstverständlich möchte Merz Kanzler werden. Fair enough. Aber der lange Umweg um die Merkel-Jahre haben ihn sehr viel Zeit gekostet. Zu viel? Wenn er das nächste Mal regulär gegen Scholz antritt, dann ist er knapp 70 Jahre alt. Letzte Chance.

Im Moment haben der Kanzler und seine Koalition eine Schwächephase, das hatte aber praktische jede Regierung der vergangenen 30 Jahre zu Beginn. Wenn sich die Ampel fängt, was normal wäre, dann wird es Merz schwer haben in vier Jahren. Denn so wie es ein Muster ist, dass jede Regierung im Laufe des ersten Jahres früher oder später Schwächen zeigt, so ist es auch ein Muster, dass die deutschen Wähler ihren Kanzlern zwei Amtszeiten gewähren. Und beim übernächsten Mal muss die Union mit einem Kandidaten oder einer Kandidatin aus der Nachfolgegeneration antreten.

Daher hat Merz so ein dringendes Kanzlerbedürfnis. Weil ihm das Schicksal droht, ein zweiter Rainer Barzel zu werden: Beinahe-aber-dann-doch-nicht-Kanzler.

Hier finden Sie alle Kolumnen von Christoph Schwennicke.

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