Einer gegen alle
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Da braut sich was zusammen: Christian Lindner will sparen, seine Kabinettskollegen lieber mehr Geld ausgeben β und niemand als Verlierer dastehen.
Es sind zwei SΓ€tze, die in diesen Tagen den Spielraum von Christian Lindner definieren. Sie stammen von ihm selbst, der Finanzminister hat beide am Sonntag im "Bericht aus Berlin" ausgesprochen. Der eine Satz lautet: "Wir haben ein massives Ausgabeproblem." Und der andere: "Wir brauchen kein Machtwort des Kanzlers." Das also sind die aktuellen Maximen des Finanzministers.
Γbersetzen kΓΆnnte man das mit: "Wir mΓΌssen mal grundsΓ€tzlich in der Ampelregierung ΓΌber den Umgang mit Geld reden. Doch diese GesprΓ€che fΓΌhre ich, der Bundeskanzler kann sich da ruhig raushalten." Zu besprechen gibt es einiges. Denn es brodelt in der Koalition.
Eigentlich wollte Lindner an diesem Mittwoch die sogenannten Eckwerte fΓΌr den Bundeshaushalt 2024 vorstellen. Dann wΓ€re klar, welches Ministerium im kommenden Jahr mit wie viel Geld rechnen kann. Doch am vergangenen Donnerstag gab Lindner ΓΌberraschend bekannt: Die Vorstellung verschiebt sich β auf unbestimmte Zeit. Ein neues Datum nannte Lindner nicht. Der Grund: Er wurde sich mit seinen Kabinettskollegen nicht einig darΓΌber, wer wie viel Geld bekommt.
Der eine will sparen, die anderen wollen lieber prassen
In der Frage, wie es jetzt weitergehen soll, steht Lindner zwischen seinen zwei SΓ€tzen vom Sonntag. Innerhalb der Koalition versucht man, den Erwartungshorizont kleinzuhalten: Beim nΓ€chsten Koalitionsausschuss, der wohl Ende MΓ€rz stattfindet, wird der Haushalt eher kein Thema sein, vermutet mancher. Stattdessen soll Lindner mit den anderen Ministern weiterhin GesprΓ€che fΓΌhren. Es kΓΆnnte dabei brenzlig werden.
Das eigentliche Problem der Bundesregierung ist: Der eine will sparen, die anderen wollen lieber prassen.
Lindner will im nΓ€chsten Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten und schlieΓt SteuererhΓΆhungen aus. Damit engt er den finanzpolitischen Spielraum ein. Gleichzeitig wollen seine Kabinettskollegen ΓΌber 70 Milliarden Euro mehr ausgeben als in diesem Jahr. Also grob gesagt: rund 550 statt 476 Milliarden Euro.
"Dynamik der Neuverschuldung ist beispiellos"
Ein Mann, der sich mit der verzwickten Lage auskennt, ist Florian Toncar. Der 43-JΓ€hrige hat einen wachen Blick und einen sauber gezogenen Seitenscheitel. Er arbeitet als Parlamentarischer StaatssekretΓ€r im Finanzministerium und gilt als einer der engsten Vertrauten von Lindner. Auf der Homepage von Toncar steht: "FΓΌr eine Politik, die rechnen kann."
Gerechnet hat Toncar eine Menge in den jΓΌngsten Wochen. Er war eng in das Ringen der Regierung um den Haushalt einbezogen. Wer bei Toncar anruft, hat einen Mann mit klaren Worten am Telefon: "Wir haben keinen Geldsack in Reserve", sagt er.
Der Vertraute des Finanzministers sagt zudem: "Einige Minister haben ihre Agenda β doch manche Erwartungen stammen aus einer Zeit, die so nicht wiederkehren wird: Das letzte Jahrzehnt war eines der sprudelnden Zinsen, dann wurde auch noch die Schuldenbremse in der Pandemie ausgesetzt. Das waren keine normalen haushΓ€lterischen Bedingungen, zu denen wir aber jetzt zurΓΌckkehren mΓΌssen." Toncar hΓ€lt es fΓΌr wichtig, dass sich die Ministerien untereinander absprechen, wer welche Projekte eigentlich durchsetzen kann.
Richtig ist, dass der Staat in den vergangenen Jahren enorme Schulden angehΓ€uft hat. In einer Stellungnahme des Bundesrechnungshofes fΓΌr den Bundeshaushalt 2024 und die weitere Finanzplanung bis zum Jahr 2027 findet sich der Satz: "Die Dynamik der Neuverschuldung ist beispiellos: Innerhalb von drei Jahren wurden MaΓnahmen beschlossen, die den bis zum Jahr 2019 aufgebauten Schuldenberg des Bundes um 60 Prozent auf mehr als 2,1 Billionen Euro erhΓΆhen kΓΆnnen."
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Mehr Geld fΓΌr die Bundeswehr β das unterstΓΌtzt sogar Lindner
Schulden kosten Geld, denn auch der Staat muss Zinsen zahlen. In den vergangenen Jahren war das allerdings kein allzu groΓes Problem, denn die Zinsen waren niedrig. Teilweise zahlten die GlΓ€ubiger dem Bund sogar Geld dafΓΌr, dass sie seine Anleihen kaufen durften.
Zuletzt sind die Zinsen allerdings stark gestiegen. Im Interview mit t-online sagte Lindner vor Kurzem dazu: "In diesem Jahr zahle ich als Finanzminister voraussichtlich 36 Milliarden Euro mehr an Zinsen als 2021. 36 Milliarden Euro, die ich an die FinanzmΓ€rkte fΓΌr die Vergangenheit ΓΌberweisen muss, statt heute in Digitalisierung oder Bildung zu investieren."
Das sind gute Argumente. Aber auch die anderen Minister, die lieber mehr ausgeben wollen, haben gute Argumente. So will der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius zusΓ€tzlich zehn Milliarden Euro fΓΌr die Bundeswehr. Dagegen hat auch Lindner eigentlich nichts.
Doch nicht nur ihn dΓΌrfte die Sorge umtreiben, dass auch im AuΓenministerium der grΓΌnen Amtschefin Annalena Baerbock und im Entwicklungsministerium der SPD-Politikerin Svenja Schulze die Rufe nach mehr Geld lauter werden kΓΆnnten. Die vereinfachte Rechnung dahinter: Wer mehr Geld fΓΌr das MilitΓ€r ausgibt, muss auch mehr in Frieden investieren.
Hinzu kommt der Streit um die Kindergrundsicherung. Familienministerin Lisa Paus (GrΓΌne) will etwa elf Milliarden dafΓΌr. Wie das Vorhaben finanziert werden soll, steht jedoch nicht im Koalitionsvertrag.
Nun sind da also die Minister-Forderungen, die an einem Finanzminister grΓΆΓtenteils abprallen. Das Problem ist: Sparen ist gar nicht so einfach. Die Personalausgaben sind weitgehend fix und liebgewonnene Projekte will auch niemand gern aufgeben.
Wer neue Ideen hat, soll woanders sparen
Jedes Haus, so das Argument der Haushaltspolitiker, kΓΆnnte allerdings ernsthafter als bislang Einsparungen prΓΌfen. Etwa VertrΓ€ge mit bestimmten Anbietern kΓΌndigen oder Liegenschaften nicht mehr weiterbetreiben. Also den Rotstift ΓΌberall dort ansetzen, wo es geht.
Das Potenzial ist durchaus da. Denn in Haushaltsverhandlungen gilt oft: Fordere mehr, als du brauchst, damit du am Ende erhΓ€ltst, was du wirklich willst. Nach dem Prinzip wird seit Jahrzehnten Politik gemacht. Das Problem im Moment ist, dass die Minister sich mit ihren Forderungen bereits weit vorgewagt haben. Niemand mΓΆchte am Ende als derjenige dastehen, der sich nicht durchsetzen konnte β die Stimmung in der Koalition ist ohnehin schon etwas gereizt.
Es liegt nun am Finanzminister, eine LΓΆsung zu finden, bei der alle gesichtswahrend aus der verfahrenen Lage herauskommen β auch er selbst. In den nΓ€chsten Wochen dΓΌrfte es viele GesprΓ€che auf Ministerebene geben. Weil die Zeit nun drΓ€ngt. GrΓΌnen-Chefin Ricarda Lang erklΓ€rte bereits, der MΓ€rz sei "der entscheidende Monat" bei den GesprΓ€chen.
Eigentlich sollte die Planung des Haushalts, die dann viel detaillierter ist als die Eckwerte, um die es bislang geht, bis zum Beginn der Sitzungswoche des Bundestags am 19. Juni abgeschlossen sein. Jetzt heiΓt es bei den Liberalen bereits: Zur Not kΓΆnnte man die Haushaltsplanung noch etwas weiter nach hinten schieben.
Florian Toncar, der StaatssekretΓ€r im Finanzministerium, findet, die einzelnen Ministerien kΓΆnnten ihre Lieblingsprojekte auch anders finanzieren: "Wenn ein Minister neue Ideen umsetzen mΓΆchte, kann er im Gegenzug ja auch andere Projekte beenden. DafΓΌr sind wir im Finanzministerium natΓΌrlich offen." Es sei ja "kein Naturgesetz, dass nur die Ausgaben steigen" und dafΓΌr nicht an anderer Stelle gespart werde.