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Tagesanbruch: Massenmorde in den USA — im Würgegriff der Waffenlobby


Im Würgegriff der Waffenlobby

Von Florian Harms

Aktualisiert am 06.08.2019Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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US-Präsident Trump, sein Sohn und die NRA-Chefs auf dem Jahreskongress der US-Waffenlobby.Vergrößern des Bildes
US-Präsident Trump, sein Sohn und die NRA-Chefs auf dem Jahreskongress der US-Waffenlobby. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Tagesanbruch-Freunde,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Irrationalität von Populisten ist ein vielfach beklagtes Übel. Ein eindrückliches Beispiel führt uns der amerikanische Präsident vor. Während Tausende seiner Landsleute um die Opfer der Hassverbrechen in Texas und Ohio trauern, demonstriert der Staatschef Entschlossenheit. Zunächst klangen seine Worte nach den Gewalttaten einfühlsam. Der Mann, der Gefallen daran zu finden scheint, Amerikas Spaltung zu vertiefen, der Minderheiten angefeindet und Rassisten in Schutz genommen hat, las plötzlich klare und empathische Sätze vom Teleprompter vor: Von einem “Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sprach er, “Amerika weint um die Opfer“. Und: "Unsere Nation muss Rassismus, Fanatismus und die weiße Vorherrschaft verurteilen. Diese finsteren Ideologien müssen besiegt werden. Hass hat keinen Platz in unserem Land."

Doch bevor jemand in Versuchung geraten konnte, sich von den wohlklingenden Sätzen einlullen zu lassen, twitterte Trump eine Anspielung auf Einwanderer hinterher, was in den Ohren von Extremisten wie eine Legitimation des Attentäters von El Paso klingen kann. Der soll seine Tat in einem Manifest so begründet haben: "Dieser Angriff ist eine Antwort auf die hispanische Invasion in Texas." Außerdem krönte Trump seine Rede mit einer martialischen Drohung: Täter, die "Hassverbrechen und Massenmorde begehen" müssten zum Tode verurteilt werden. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wo doch längst erwiesen ist, dass die Todesstrafe als Abschreckung für Gewalttäter nicht funktioniert.

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Was stattdessen wirklich gegen die vielen Massenmorde in den USA helfen könnte, wäre ein Verbot des Waffenbesitzes, wenigstens von Schnellfeuergewehren und großen Magazinen, wie sie auch die Täter am Wochenende nutzten. Aber an dieses heiße Eisen traut sich Trump nicht heran, er belässt es bei vagen Vorschlägen für mehr Kontrollen. Wie so viele seiner Vorgänger befindet sich auch dieser Präsident im Würgegriff der Waffenlobby: Wehe, du legst dich mit uns an, dann kannst du deine Wiederwahl vergessen! Das kann man politisch erklären. Irrational ist es trotzdem.


Wenn ein Feuer still vor sich hin kokelt, der Qualm in den Augen brennt, manch einer in die Glut tappt und vor Schmerz aufheult: Was sollte man tun? Ganz klar: ordentlich Öl rein! So könnte man beschreiben, was die Hindu-Nationalisten in der Regierung Indiens sich ausgedacht haben, um ihre aufgepeitschte Anhängerschaft zufriedenzustellen. Große Emotionen hatte sich Premierminister Narendra Modi gewünscht, damit die Aufwallung der Gefühle ihm die Wiederwahl beschere. Im Dauerkonflikt um Kaschmir werde mit den Extrawürsten für die muslimische Bevölkerung Schluss sein. Großspurige Versprechungen, patriotisches Getöse. So ging Modis Wunsch nach einer zweiten Amtszeit bei den Wahlen im Mai in Erfüllung.

Der Konflikt in Kaschmir ist weit weg von Deutschland, man kann fast vergessen, dass es ihn überhaupt gibt. Die Nachrichtenmeldungen sind immer dieselben: eine Autobombe hier, eine Demonstration dort. Auf der einen Seite die Übergriffe indischer Sicherheitskräfte gegen die ansässige Bevölkerung, auf der anderen der Terror der Extremisten. Gelegentlich schauen wir genauer hin, wenn Pakistan und Indien besonders scharfe Töne anschlagen und wir uns erinnern, dass die beiden verfeindeten Nachbarn deswegen schon mehrere Kriege geführt haben. Das muslimische Pakistan sieht sich als Sachwalter der Glaubensbrüder in Kaschmir, Indien sieht es als Strippenzieher hinter den Terroranschlägen. Erst im Februar haben sich Jets der beiden Nuklearmächte in Luftkämpfen duelliert, Bomben fielen vom Himmel, Kampfflugzeuge auch. Meistens beschießt man sich einfach nur ein bisschen über die Demarkationslinie. Sollten wir in unserer Lebenszeit einen Atomkrieg erleben müssen, wird es mit einiger Wahrscheinlichkeit wegen eines Disputs an dieser Grenze sein.

Seit Jahrhunderten besingen Poeten die Schönheit des Tals von Kashmir. In jeder Filmschnulze aus Bollywood gehört eine romantische Szene auf die blumenübersäten Wiesen zur Grundausstattung (nur dreht man wegen der Gewalt inzwischen in der Schweiz). Berge und Seen sind tief in das indische Bewusstsein eingegangen, als Ort zauberhafter Hochzeiten und Zuflucht vor der Sommerhitze in den Ebenen. Ein Indien ohne Kashmir? Undenkbar. Den Einwohnern des Tales gewährte man einen Sonderstatus, als Großbritannien seine Kolonialgebiete in die Unabhängigkeit entließ. Über ihre Zugehörigkeit zu Indien sollten die Bewohner später entscheiden dürfen – doch zu der Abstimmung kam es nie. Immerhin genoss die Region eine größere Unabhängigkeit von Delhi als die regulären Bundesstaaten, und auch dem Zuzug von Ortsfremden waren enge Grenzen gesetzt. So war es. Bis gestern.

Denn gestern wurden das Mobilfunknetz abgeschaltet, der Internetzugang beschnitten, Scharen frischer Truppen in das Tal gebracht. Schon am Wochenende waren Touristen und hinduistische Pilger aufgefordert worden, sofort mit Sack und Pack aus Kaschmir zu verschwinden. Tausende reisten in Panik ab. Die Leute vor Ort bunkern Lebensmittel, die Straßen sind leer gefegt. Narendra Modi hat sein Wahlversprechen wahrgemacht: Der Sonderstatus Kashmirs ist Geschichte. Nun folgt das Warten. Auf den großen Knall.


WAS STEHT AN?

Lassen Sie mich Ihr Augenmerk auf eine obskure Personalie lenken: Jair Bolsonaro, rechtspopulistischer Präsident Brasiliens und Freund großer Töne, hat den Direktor des Nationalen Instituts für Weltraumforschung in die Wüste geschickt. Der renommierte Physiker Ricardo Galvão wurde gefeuert, denn er hat einen großen Fehler gemacht: Die Satellitendaten seines Instituts belegten, dass sich im Juli das Tempo, in dem der brasilianische Regenwald abgeholzt wird, gegenüber dem Vorjahr verdreifacht hat. Das hat den Präsidenten sehr geärgert (die Veröffentlichung der Zahlen, nicht die Rodung). Das könne ja gar nicht stimmen, tönte Bolsonaro, sonst wäre der Wald ja schon längst weg. Stattdessen ist jetzt der Direktor weg.

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Der Urwald im Amazonasbecken hat enorme Dimensionen. Vierzig Prozent des gesamten tropischen Waldes unseres Planeten sind dort angesiedelt, einzigartige Pflanzen und Tiere rascheln, sirren, knarren in seinem grünen Universum um die Wette. Der Riesendschungel reguliert das Klima, dämpft den Anstieg der Temperaturen und bindet große Mengen erderwärmender Treibhausgase. Super Sache in Zeiten der globalen Klimakrise. So groß ist das Ökosystem im Amazonasbecken, dass es sich selbst am Leben erhält, eigener Wasserkreislauf inklusive. Doch der Kreislauf ist verwundbar. Schrumpft der Wald zu sehr, verliert er die Fähigkeit, sich selbst zu erhalten. Danach ist sein Niedergang nicht mehr zu stoppen, selbst wenn der Mensch ihm nicht länger zusetzt.

Nicht, dass wir auf ein baldiges Ende der Abholzung hoffen könnten. Präsident Bolsonaro hält den Klimawandel für Quatsch und den Wald für eine super Produktionsfläche, wenn erst einmal die blöden Bäume weg sind. Andere müssen Herrn Bolsonaro bremsen, sogar die brasilianische Agrarlobby und seine eigene Landwirtschaftsministerin. Denn eine allzu aggressive Förderung des Kahlschlags behindert das Geschäft mit europäischen Konzernen, die sich um ihr grünes Image sorgen. Das Pariser Klimaschutzabkommen will Bolsonaro ebenfalls einhalten (tönt er jedenfalls). Frankreichs Präsident Macron hatte zuvor gedroht, andernfalls den Abschluss des Handelsabkommens zu verzögern, das Brasilien Zugang zu der gigantischen Freihandelszone mit Europa verschafft.

Unter all dem Druck wurden die Umweltschutzgesetze Brasiliens bisher nicht ganz so radikal abgeholzt wie der Regenwald. Aber was bedeuten Gesetze, wenn man sich um sie nicht schert? Fast die gesamte gegenwärtige Rodung ist illegal, und Herr Bolsonaro hat wieder und wieder erkennen lassen, dass sie ihn nicht stört. Kaum verwunderlich, dass immer schneller gefällt wird. Pflichtschuldig haben die Europäer auch diesen Punkt in das große Freihandelsabkommen aufgenommen – leider mit einem Schönheitsfehler: Bis die Bestimmungen des Vertragswerks greifen, ist es für den Amazonas-Urwald zu spät.

Wir wissen aber, was den Wald retten kann: Herr Bolsonaro braucht das Geschäft mit den Europäern – und seine eigene Lobby steht ihm auf den Füßen, sobald er das vergisst. Die deutsche Bundesregierung sollte sich deshalb innerhalb der EU schnell für wirtschaftliche Strafen starkmachen, solange der brasilianische Staatschef die Axt an das Klima unseres Planeten legt. Deutschlands Klima wird auch am Amazonas verteidigt.


WAS LESEN?

Manche Denker sind so groß, dass Sie uns ein ganzes Leben lang inspirieren. Theodor W. Adorno war so einer. Heute vor 50 Jahren ist er gestorben. Ein Grund für unseren Kolumnisten Gerhard Spörl, dem großen Philosophen einen großen Artikel zu widmen: Verstehen macht glücklich.


Das Internet hat viele Jauchegruben, aber eine der übelsten ist 8Chan: Auf dem Portal werden Amokläufer und Attentäter bejubelt, wenn sie möglichst viele Menschen töten. Auch der Mörder von El Paso in Texas kündigte seine Tat auf der Website an, so wie zuvor schon der Mörder von Christchurch in Neuseeland. Warum wird das Teufelszeug nicht gesperrt – obwohl der Gründer des Portals das sogar will? Unser Rechercheur Lars Wienand ist dem Fall nachgegangen.


Vor zehn Jahren lag Amerikas Wirtschaft darnieder. Die Schulden- und Finanzkrise hatte ein ökonomisches Massaker hinterlassen. Heute erleben die USA wieder einen Boom – weil die Firmenlandschaft innerhalb eines Jahrzehnts komplett umgekrempelt worden ist. Die Korrespondentin der “Neuen Zürcher Zeitung“ erklärt uns pointiert die Hintergründe dieses Wandels, dessen Folgen auch wir jeden Tag zu spüren bekommen.


WAS FASZINIERT MICH?

Wie Regen aussieht, wissen Sie. Auch einen Platzregen haben Sie vermutlich schon mal gesehen. Trotzdem sollten Sie sich dieses kurze Video ansehen. Ich bin sicher: So etwas haben Sie noch nicht gesehen.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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