Und wenn er geht?
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
kennen Sie schon das Immer-Gewinner-Modell? Es wird in Deutschland seit Jahren praktiziert und funktioniert folgendermaΓen: Alle Spitzenpolitiker finden wie durch ein Wunder permanent Belege fΓΌr den eigenen Erfolg. RΓΌckschlΓ€ge? Fallen vielen selbst bei schΓ€rfstem Nachdenken kaum ein.
In diesen Tagen lΓ€uft das wieder so: Bei SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht beispielsweise, die lieber ΓΌber die Lieferung von Winterkleidung fΓΌr die ukrainischen Soldaten als ΓΌber nicht gelieferte Panzer spricht. Oder bei GrΓΌnen-Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sich ΓΌber die neue Gaspreisbremse freut β und nicht so gern von seiner ursprΓΌnglich vorgeschlagenen Gasumlage reden will.
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Und bei Landtagswahlen passiert immer Folgendes: Gehen sie gut aus, fΓΌhlt sich die Bundesspitze der jeweiligen Partei bestΓ€tigt. Laufen die Wahlen dagegen schlecht, tragen natΓΌrlich die Parteikollegen in der Ferne die Verantwortung. Immer Gewinner eben, ganz einfach.
Das kann eine Weile gut gehen. Aber selbst der intensivste Immer-Gewinner-Kurs an der Parteispitze stΓΆΓt an seine Grenzen, wenn sich die Niederlagen bei Landtagswahlen hΓ€ufen. Gerade trifft es vor allem FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner.
Es begann im MΓ€rz, bei der Landtagswahl im Saarland. Da kamen die Liberalen nicht ΓΌber die FΓΌnfprozenthΓΌrde. Darauf folgte Schleswig-Holstein im Mai mit 5,1 Prozentpunkten Verlust β die Partei erreichte gerade noch 6,1 Prozent. AnschlieΓend Nordrhein-Westfalen: 6,7 Prozentpunkte Verlust, nur noch 5,9 Prozent. Zwei Regierungsbeteiligungen waren damit passΓ©. Und nun, zum Abschluss des Wahljahres, noch die Hiobsbotschaft aus Niedersachsen: Auch dort wird es nichts mit dem Einzug in den Landtag. Vier krachende Niederlagen. In Folge.
NatΓΌrlich spielen dabei regionale EinflΓΌsse eine Rolle. Doch die Eindeutigkeit der Ergebnisse zeigt auch: Die Politik der Liberalen verfΓ€ngt bei ihrem eigenen Publikum nicht. Das Immer-Gewinner-Modell gerΓ€t bei den Liberalen gerade ins Stocken. Und dieses liberale Problem wird nun gefΓ€hrlich fΓΌr die gesamte Ampelkoalition.
Christian Lindner sagte am Montag mit Blick auf das Ergebnis in Niedersachsen: "Die Verluste von SPD und FDP werden nicht aufgewogen durch die Zugewinne bei den GrΓΌnen. Insofern hat nicht die FDP ein Problem, sondern die Ampel insgesamt muss sich der Herausforderung stellen, fΓΌr ihre Politik mehr UnterstΓΌtzung in Deutschland zu erreichen." Das war mehr als Rhetorik, es war ein eindeutiger Hinweis, dass sich in der Bundesregierung aus seiner Sicht etwas Γ€ndern muss. Noch wankt die Ampelkoalition nicht. Aber allmΓ€hlich wackelt sie erkennbar.
Sicher ist erst mal: Der Umgang wird hΓ€rter β noch hΓ€rter. Schon in den letzten Wochen gingen sich Vizekanzler Habeck und Finanzminister Lindner teilweise heftig an. Diese Streitereien dΓΌrften zunehmen. In der FDP ist jetzt oft die Rede davon, dass man die "eigenen Themen" mehr in den Vordergrund rΓΌcken mΓΌsse. Im Klartext bedeutet das: mehr Attacke, weniger RΓΌcksicht.
Die Partei sollte sich ΓΌberlegen, ob sie nicht ihr Personalangebot jenseits des Parteichefs sichtbarer machen will. Oft tritt der Fraktionsvorsitzende Christian DΓΌrr erst dann mit Forderungen an die Γffentlichkeit, wenn sie bereits von seinem Chef Lindner geΓ€uΓert wurden. GeneralsekretΓ€r Bijan Djir-Sarai gilt als kluger Taktiker, doch er tritt ebenfalls eher leise auf, anstatt auch mal Schlagzeilen zu produzieren. Mehr LautstΓ€rke wird die Ampel nicht stabilisieren, doch ein geschwΓ€chter Koalitionspartner ist auch keine gute Grundlage, um noch drei weitere Jahre zu regieren.
Was der FDP derzeit vor allem fehlt, ist ihre Wahrnehmung ΓΌber Inhalte. Viele ihrer WΓ€hler wollen, dass die Liberalen verhindern, dass das Land politisch zu sehr nach links rutscht. Doch eine Verhinderer-Partei ist noch kein Wert an sich. Als die Liberalen noch in der Opposition waren, tΓΆnten sie gern: Alles mΓΌsse schneller und digitaler werden. Und jetzt? Ist die Partei genau wie das Land im Krisenmodus. Das ist verstΓ€ndlich, einerseits. Doch die Reformen bei Digitalisierung und Bildung lassen auf sich warten.
Wenn die FDP die Koalition nicht platzen lassen will, muss sie in den nΓ€chsten Monaten gerade bei ihren Kernthemen liefern. Dann wΓ€re sie auch wieder besser wahrnehmbar. Der breite Korridor der politischen Mitte ist durch die Krise schmaler geworden. Trotzdem darf die FDP nicht darin verschwinden. Sonst bleibt ihr eines Tages doch nichts anderes ΓΌbrig, als die KoalitionsreiΓleine zu ziehen.
Christian Lindner, der noch 2017 erklΓ€rte, es sei besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren, kΓΆnnte in diesen Tagen an seine eigenen Worte denken. Die FDP, die schon einmal politisch fast tot war, wurde von ihm reanimiert β und erst zurΓΌck ins Parlament und dann in die Regierung gefΓΌhrt. Ihm ist es zu verdanken, dass es die Partei noch gibt. Er wird entscheiden, wie lange die Liberalen noch mitregieren. Doch er dΓΌrfte sich hΓΌten, seinen bislang grΓΆΓten Triumph zu gefΓ€hrden. Denn ob die Partei eine zweite Nahtoderfahrung ΓΌberlebt, ist fraglich.
Was steht an?
Gestern lieΓ der russische Autokrat Wladimir Putin die Innenstadt Kiews beschieΓen, Bomben schlugen mitten im Zentrum ein. Heute wird der ukrainische PrΓ€sident Wolodymyr Selenskyj den fΓΌhrenden Industrienationen vermutlich erklΓ€ren, wie die Lage in der Ukraine ist. Die Beratungen der G7-Staaten beginnen am Dienstagnachmittag deutscher Zeit, Selenskyi soll via Video zugeschaltet werden.
Olaf Scholz kΓΆnnte heute versuchen, ein bisschen Zukunft zu produzieren. Zumindest lautet so das Motto des "Deutschen Maschinenbaugipfels", der am Dienstag in Berlin beginnt. Maschinen- und Anlagenbauer diskutieren, wie es mit der Branche weitergehen soll. Der Besuch des Kanzlers dΓΌrfte kein Zufall sein, sondern ein Signal: Wir vergessen euch nicht, liebe Wirtschaft. Passenderweise schaut morgen dann auch sein Vizekanzler Robert Habeck vorbei.
Die Wirtschaft schwΓ€chelt, weltweit. Die Chefin des WeltwΓ€hrungsfonds (IWF), Kristalina Georgiewa, hat bereits angekΓΌndigt, dass sie die Prognose fΓΌr die Entwicklung der Weltwirtschaft senken will. Heute wird das offiziell verkΓΌndet. FΓΌr dieses Jahr wird noch mit einem globalen Wachstum von 3,2 Prozent gerechnet, fΓΌr nΓ€chstes Jahr dann nur noch von 2,9 Prozent. Es bleibt zu hoffen, dass die Talfahrt spΓ€testens 2024 endet.

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Das Historische Bild
Fidel Castro ist vielen Menschen als BerufsrevolutionΓ€r in Erinnerung geblieben. Doch der Kommunist war auch ein exzellenter Sportler. Hier lesen Sie mehr.
Was lesen?
Sie haben gebrΓΌtet β und sie haben vorgelegt: Nach 35-stΓΌndiger Beratung prΓ€sentierte gestern eine Expertenkommission ihren Vorschlag fΓΌr eine Gaspreisbremse der Bundesregierung. Meine Kollegen Johannes Bebermeier und Fabian Reinbold schreiben in ihrer Analyse, warum das Instrument trotzdem eine "GieΓkannenlΓΆsung" darstellt.
Mit dem Vorschlag sollen die meisten Menschen in Deutschland entlastet werden. Was Sie persΓΆnlich davon haben kΓΆnnten, hat meine Kollegin Frederike Holewik hier aufgeschrieben.
Unsere Chefreporterin Miriam Hollstein hat ΓΌbrigens einen pragmatischen Blick auf die Lage der FDP: "Regierungsverantwortung zu ΓΌbernehmen, bedeutet immer auch, dass man einen Teil seiner AnhΓ€ngerschaft enttΓ€uschen wird", schreibt sie in ihrem Kommentar.
Was amΓΌsiert mich?
Immerhin, es gibt vorsichtigen Anlass fΓΌr Optimismus.
Kommen Sie gut in diesen Dienstag. Morgen schreibt an dieser Stelle unser stellvertretender Chefredakteur Peter Schink fΓΌr Sie.
Herzliche GrΓΌΓe
Ihr
Tim Kummert
Tim Kummert
Politischer Reporter im HauptstadtbΓΌro von t-online
Twitter: @TKummert
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Mit Material von dpa.
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