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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Ampel im Dauer-Streit: Wie die Koalition sich selbst lähmt


Die Ampel in der Selbstlähmung
Regierung der Rechthaber

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 23.05.2024Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Bundestag - HaushaltVergrößern des Bildes
Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz im Bundestag. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa/dpa-bilder)

Politik könnte einfacher sein, als die Ampel sie sich macht. Das Heil läge in einem ganz anderen Ansatz: Gemeinsinn statt Starrsinn.

Eine erste Ahnung, dass auf dieser Veranstaltung kein Segen ruht, beschlich mich schon ganz bald nach den zelebrierten Flitterwochen der Ampel. Die Show, "wir haben uns alle ganz neu kennengelernt und bilden jetzt eine Koalition des Fortschritts", war vorüber, der Überfall Russlands auf die Ukraine warf die Jungvermählten ins Eiswasser der Realpolitik. Und zuerst musste hinbekommen werden, wie das Land von jetzt auf gleich ohne fossile Energieträger aus Putins Ressourcenreich auskommt. Ohne dass die Heizungen erkalten und die Wirtschaft in die Knie geht.

Es wäre ein Akt der doppelten Vernunft gewesen, wenn sich in der Situation vor allem Grüne und FDP (bis heute im Dauerclinch) darauf verständigt hätten, unter Schmerzen von Tabus Abschied zu nehmen. Ein mindestens temporäres Tempolimit auf deutschen Autobahnen und ein vorläufiger Weiterbetrieb aller nur irgendwie verfügbaren Atomkraftwerke wären eine beherzte Aktion zum Wohle der Sache gewesen. Bekanntlich kam es zu diesem Doppelbeschluss nicht. Mit Müh und Not und Hängen und Würgen hat der Kanzler durchgedrückt, dass die letzten drei Meiler ganze drei Monate länger als geplant laufen.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".

Ein frühes Armutszeugnis von Fundamentalisten bei Gelb wie Grün, die nicht einmal in einer Extremsituation die Sache pragmatisch über die eigene Überzeugung stellen. Das war nicht Fortschritt. Das war doppelter ideologischer Beton, in dem das Naheliegende eingemauert und verunmöglicht wurde. Eine Regierung der Rechthaber.

Im Grunde hat sich an dieser Borniertheit der beiden Kontrahenten nichts geändert, wobei sich die SPD und/oder ihr Kanzler zu zwei Dritteln auf die Seite der Grünen schlagen, zu einem Drittel auf jene der FDP. Seit Wochen nun geht etwa der Streit darum: Sparen beim Sozialen oder Schuldenbremse lösen? Die Gräben werden dabei tiefer und tiefer gezogen. Geländegewinne sind keine zu erkennen. Weder für die eine (in dem Fall klassisch: Rot-Grün) noch die andere Seite (FDP). Und schon gar nicht für die Allgemeinheit, das Gemeinwesen, das dieser Koalition auf Zeit anvertraut ist.

Wären die Beteiligten imstande, das Gemeinwohl über ihren Rigorismus zu stellen, wäre eine Lösung gar nicht so schwer. Man könnte ein Geschäft machen, nicht unüblich und auch nicht verkehrt als Ansatz in der Politik: Drastische Eindämmung bis Abschaffung der Rente mit 63 gegen Flexibilisierung der Schuldenbremse.

Der arme Dachdecker ist nicht das Problem

Die herzerweichende Geschichte vom armen Dachdecker nach 45 Berufsjahren ist nachweislich widerlegt. Von diesem Instrument, vorzeitig und ohne Abschläge in den Ruhestand zu gehen, machen mehrheitlich die Leute Gebrauch, die fit sind und was können. Also genau jene, nach denen die Plakate gerade alle schreien, auf denen die Unternehmen fast flehend Mitarbeiter suchen.

 
 
 
 
 
 
 

Stattdessen machen die Boomer in Scharen jetzt mal vorher den Schalter zu, die Kosten explodieren. Insgesamt zahlte die Rentenkasse im vergangenen Jahr 46,3 Milliarden Euro nur an die Bezieher der "Rente für besonders langjährig Versicherte" aus, knapp 18 Prozent mehr als 2022. Damit war die "Rente mit 63" die zweitteuerste Rentenart. Die an Leute geht, die besser weiter in die Systeme über ihre Löhne und Gehälter einzahlten. Anstatt die Hängematte vorzeitig auf Kosten der Allgemeinheit aufzuspannen.

Diese "Rente mit 63" war eine Sünde am System. Höchste Zeit, sie im Lichte von Tatsachen zu beenden. Oder jedenfalls ganz scharf zu begrenzen. Und ebenso wie die "Rente mit 63" nicht mehr in die Zeit passt, passt vielleicht auch eine ganz so harte Schuldenbremse nicht mehr in die Zeit (wenn sie es denn je tat). 0,35 Prozent Schuldenaufnahme gemessen am BIP erlaubt die derzeitige Formulierung in der Verfassung. Die Zahl ist ebenso willkürlich gegriffen gewesen wie jene der Maastricht-Kriterien in der Europäischen Union. Wenn die drei großen K unserer Zeit, Krieg, Klima, Corona (okay, nur ein akustisches K) Investitionen außer der Reihe auf einmal oder kurz nacheinander fordern, dann kann man doch schon mal darüber nachdenken, statt der 0,35 da eine 0,55 einzusetzen. (Wofür es die Union bräuchte, aber die will auch mal wieder regieren und weiß insgeheim, dass die jetzige Regelung den Zeitläuften nicht gerecht wird.)

Aber nein, Arbeitsminister Hubertus Heil barmt weiter vom Dachdecker, und Christian Lindner verteidigt die aktuell gültige Schuldenbremse wie Dagobert Duck in Entenhausen seinen Geldspeicher.

Kann man so machen. Ist halt Mist.

Sie können so weitermachen, alle drei. Aber wenn sie so weitermachen, dann längstens bis zum September 2025. Vielleicht sollten die großen Drei dieser Regierung aber die Zeit zwischen der nicht mehr abwendbaren Wahlschlappe bei den Europawahlen im Juni und den Landtagswahlen im September nutzen, um über solch einen gemeinsamen Ansatz zulasten der einen oder anderen zementierten Überzeugung nachzudenken. Es wäre zum Wohle des Landes. Und am Ende auch zu ihrem eigenen Wohl.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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