Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kanzler Friedrich Merz Er macht sich das Leben schwerer, als es schon ist

Das war knapp. Als erster Bundeskanzler in spe wurde Friedrich Merz bei seiner Wahl in eine Strafrunde geschickt. Umwege musste er schon oft gehen. Die Gründe dafür liegen in seinem Naturell.
Mit einem ganz festen Vorsatz hatte ich mich auf diese Kolumne vorbereitet: das Gute zu sehen. Darüber zu schreiben, dass sich in Friedrich Merz und Lars Klingbeil zwei nie gesucht und dann eben doch gefunden haben. Was die wichtigste Voraussetzung für ein Funktionieren dieser Koalition sein wird. Denn das war das Problem der Ampel: Zwischen den großen dreien dort gab es nie eine echte Vertrauensbasis. Ich wollte darüber schreiben, dass insbesondere der SPD-Vorsitzende und neue Finanzminister ein wirklich frisches Personaltableau für die neue schwarz-rote Regierung vorgelegt hat. Aber dass auch die Unionsseite mit hoffnungsstiftenden Ministern an den Start gegangen ist. Darüber, dass man sie jetzt einfach erst mal machen lassen sollte und nicht gleich wieder alles schlechtreden muss. Und dass es tatsächlich eine Chance gibt, die Partei gewordene schlechte Laune in diesem Land wieder "kleinzuregieren", wie es Markus Söder formuliert hatte.
Und dann das. Friedrich Merz musste als erster angehender Bundeskanzler in einen zweiten Wahlgang, weil ihm im ersten 18 eigene Leute von der Fahne gegangen waren. Albtraum. Horror. Kann das überhaupt noch was werden?, fragte man sich nicht ohne Grund und im Affekt an jenem denkwürdigen Dienstag, dem ein Eintrag ins Geschichtsbuch sicher ist.

Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.
Jetzt, mit zwei Nächten Schlaf dazwischen und ein wenig Abstand, fasse ich mir ein Herz und sage: Ja, das kann noch was werden. Aber in ureigenem Interesse sollte der neue Bundeskanzler dafür einen etwas kräfteschonenderen Politikstil an den Tag legen. Sonst geht ihm die Puste aus.
Dazu gleich mehr, erst einmal ein paar einordnende Worte zur unerhörten Begebenheit im Bundestag. Bei Lichte betrachtet, ist es so einzigartig und nie da gewesen auch wieder nicht, was Friedrich Merz da als Schock seines Lebens widerfahren ist. Gerhard Schröder hat einmal in trauter Runde erzählt, dass er die Agenda 2010 erst nach seiner Wiederwahl als Bundeskanzler gemacht habe, er betonte, nach seiner Wahl im Bundestag, nicht etwa der Bundestagswahl selbst – weil er dem Rückhalt der eigenen Leute nicht traute. Das konstruktive Misstrauensvotum von Rainer Barzel gegen Bundeskanzler Willy Brandt 1972, auch nichts weiter als eine Variante der Kanzlerwahl, scheiterte daran, dass nicht alle seiner Leute zu ihm standen. Die zwei Abtrünnigen waren sogar, wie sich später herausstellte, ganz schäbig von der DDR herausgekauft, bestochen worden.
Konrad Adenauer fehlten 1953 bei seiner Wiederwahl mindestens 24 eigene Stimmen, 1961 waren es sogar 46. Bei Kurt Georg Kiesingers Großer Koalition 1966 fehlten sogar 104. Bei Merz waren es 18. Da liegt er gar nicht so schlecht im ewigen Mittel. Nur bei ihm hat es eben im Unterschied zu seinen Vorgängern zur Schmach des zweiten Anlaufs geführt. Weil die Mehrheit so vergleichsweise dünn ist, mit der er regiert.
Irgendwie ist es vielleicht einfach sein Schicksal, es immer ein bisschen unbequemer und schwerer zu haben, als es sein müsste. Merz war nur kurz das Dasein als Fraktionschef der Union vergönnt, bis ihn Angela Merkel dort wegschubste. Dann hatte er einen langen Umweg genommen, um Jahrzehnte später einen zweiten Anlauf auf das Kanzleramt zu nehmen. Und selbst auf dem Weg dorthin musste er erst Wahlniederlagen auf Parteitagen wegstecken und zwei Vorsitzende aushalten und aussitzen, die sich vor ihm die Gunst und die Stimmen der Delegierten gesichert hatten – bis er das Basislager auf dem Weg zum Kanzlergipfel, den Parteivorsitz, erreicht hatte.
An seinem Schicksal ist Merz ein Gutteil selbst schuld
Zu diesem Schicksal trägt ein ihm eigener Wesenszug bei, den die Kollegin Franziska Reich vom "Focus" treffend einen "Hang zum Kamikazehaften" genannt hat. Denn der Verdacht ist berechtigt, dass sein Flirt mit der AfD über die Anträge zur Migration in der vulnerablen Phase vor der Kanzlerwahl im Bundestag viele in beiden Fraktionen seiner Regierung verprellt hat. Ebenso wie seine abrupte Abkehr von der Schuldenbremse. Noch mal: Gerhard Schröder hatte seine Agenda 2010 nach der Bundestagswahl am 22. September 2002 auch schon in seiner Aktentasche. Aber er wurde erst am 22. Oktober im Plenum als Kanzler bestätigt. Die Agenda-Rede hielt er dort wohlweislich erst am 14. März 2003.
Weil Merz eben so ist, wie er ist, macht er sich das Leben manchmal schwerer, als es sein müsste. Das macht ihn authentisch, aber eben auch verwundbar, angreifbar. Wie ein Biathlet nach einem Fehlschuss muss er immer wieder in eine Extrarunde. Sein Stehvermögen ist dabei durchaus beachtlich. Auch am Abend des Magenschwingers in der ersten Wahl. In einer ARD-Sondersendung stellte er sich nach einem langen zermürbenden Tag fokussiert und konzentriert den exzellenten und harten Fragen des Moderators Markus Preiß. Hinterher dann im ZDF. Danach folgte noch die erste Kabinettssitzung. Am nächsten Morgen ab nach Paris und Warschau.
Kann man alles so machen. Aber wenn er nicht gerade masochistisch veranlagt ist, sollte er sich dennoch überlegen, diese Extrameilen, die er sich immer wieder selbst beschert, ein wenig im Rahmen zu halten. Denn die zwei, die auf Strecke den Antritt gegen ihn wagen werden, sind deutlich jünger. Und auch robust von Natur aus.
In seinem Finanzminister, dem SPD-Chef Lars Klingbeil, hat Merz den mutmaßlich kommenden Konkurrenten der anderen Partei schon am Kabinettstisch sitzen. In Unionsfraktionschef Jens Spahn den vor Ehrgeiz berstenden Wettbewerber im eigenen Laden. So kraftraubend wie den Weg dorthin wird er seine Zeit im Kanzleramt nicht zubringen können. Zumal jenseits der inneren Fliehkräfte in seiner Koalition eine Welt auf ihn wartet, die zu meinen Lebzeiten jedenfalls noch nie so viele Gefahren und Herausforderungen bereithielt wie heute.
- Eigene Überlegungen