Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Umbruch in Nahost Krieg gegen alle Feinde gleichzeitig

Ohne Helfer in Iran wäre Israel der Überraschungsangriff auf die Atomanlagen nicht gelungen. Israel scheint militärisch und strategisch überlegen zu sein, kämpft nun aber an vier Fronten zugleich. Kann das gut gehen?
Der Nahe Osten ist eine Region, in der es immer nur bergab zu gehen scheint. Kein Aufatmen, enttäuschte Hoffnungsschimmer. Kein Ende der Erbfeindschaften. Wenn es schlimmer kommen kann, dann kommt es nach aller Erfahrung auch schlimmer. Und diesmal?
Israel ist offensichtlich die stärkste Militärmacht mit dem besten Geheimdienst in dieser Weltgegend. Gleich in der ersten Angriffswelle kamen zwei prominente Pfeiler der stolzen iranischen Streitkräfte ums Leben. Es handelte sich um den Oberbefehlshaber der Streitkräfte und den Oberbefehlshaber der Revolutionsgarden. Der Mossad hat einen guten Ruf, aber es ist kaum zu glauben, dass er alleine vorging. Er muss wohl hochrangige Helfer im Inneren haben, die wussten, wann sich die beiden Militärs an welchem Ort aufhalten würden.

Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
Jetzt muss sich der geistliche Führer Ali Chamenei fragen, ob sie auch ihn töten könnten. Wahrscheinlich wäre die richtige Antwort: Gut möglich.
Israel überraschte die Welt mit dem nächtlichen Angriff auf Iran. Kriege brauchen längeren Vorlauf und präzise Planung. Dass Iran geschwächt ist, trieb den Wunsch nach Aktion sicherlich voran.
Israel kämpft vier Kriege gleichzeitig
Israel scheint dem Iran militärisch und strategisch überlegen zu sein. Nun aber ist Israel gleich in mehrere Kriege verwickelt. Es versucht momentan, den Libanon unter Kontrolle zu halten. Dann setzt es die Bodenoffensive in Gaza fort und führt jetzt auch noch Krieg gegen Iran. Dazu kommt, dass der Ausbau der Siedlungen im Westjordanland ebenfalls militärischen Schutzes bedarf.
Kriege und Konflikte an mehreren Fronten bergen große Risiken und überfordern auch größere Staaten als Israel. Kann das gut gehen?
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Israel ist ein kleines Land. Rund 170.000 aktive Soldaten umfassen die Streitkräfte. Dazu kommen 465.000 Reservisten, die sich zur Mehrzahl freiwillig an eine der Fronten melden. Der entscheidende konventionelle Vorteil für Israel ist die High-Tech-Ausrüstung des Militärs, die Überlegenheit im Krieg gegen Iran garantiert. Aber wie lange bleibt das so?
Donald Trump der widerwillige Kriegsherr
Wie es weitergeht, hängt entscheidend von Donald Trump ab. Ihm wurden gerade wieder einmal die Grenzen seiner Allmacht aufgezeigt. Denn er wollte einen Vertrag mit Iran schließen, der das Atomprogramm verzögert hätte. Daher bat er Netanjahu, still zu halten, um den Deal nicht zu gefährden. Aber der israelische Premier setzte sich darüber hinweg. Er informierte den amerikanischen Präsidenten offenbar erst 24 Stunden vorher von seinem Entschluss, die Atomanlagen in Natans, Fordow und Isfahan zu bombardieren.
Eigentlich müsste Trump, gemäß seinem Naturell, auf Rache sinnen, weil er übergangen worden ist. Er übt jedoch Nachsicht mit Netanjahu, der ihm anscheinend in seiner Kompromisslosigkeit imponiert. Nun droht er Iran mit schrecklichen Konsequenzen, falls die Mullahs auf die Idee kommen sollten, etwa US-Truppen in der Region anzugreifen. Im selben Atemzug bietet er ihnen erneut einen Deal über das Atomprogramm an.
Trotz des israelischen Alleingangs bleiben die USA die Schutzmacht. Sollte das kleine Land in nächster Zeit in militärische Schwierigkeiten geraten, bliebe Trump wohl nichts anderes übrig, als rettend einzugreifen. Aus dem Friedensstifter, der Trump sein möchte, könnte dann ein widerwilliger Kriegsherr werden. Seinen Vorgängern erging es ähnlich.
Iran ist die Spinne im Netz
Selbstverständlich hängt auch viel von Irans Reaktion ab. Wie es aussieht, lässt sich an der militärischen Unterlegenheit nichts ändern. Dieser unerfreuliche Umstand könnte das Regime aber auf andere Ideen bringen, zum Beispiel darauf, die Straße von Hormus zu blockieren. Durch die Meerenge fahren Tanker aus den Golfstaaten, um Öl und Gas in die Welt zu exportieren. Für die Blockade könnten versenkte Schiffe oder auch Seeminen sorgen. Die bloße Aussicht, dass Iran den Schiffsverkehr lahmlegen könnte, treibt die Ölpreise schon jetzt hoch.
Und Israel? Steckt eigentlich eine umsichtige Strategie hinter Netanjahus Vorgehen? Oder reiht sich Krieg an Krieg, wie es sich eben ergibt?
Der israelische Präsident tritt in doppelter Gestalt auf. Einerseits ist er der Kriegsherr, der die Feinde Israels entscheidend schwächt: im Gaza die Hamas, im Libanon die Hisbollah. Iran ist die Spinne im Netz, die auf Hegemonie in der Region abzielt und sich mit Atombomben absichern will. Derzeit aber ist das Regime geschwächt. Aus seiner Sicht nutzt Netanjahu die Gunst der Stunde und nimmt es gleichzeitig mit allen Feinden auf.
Millionen Palästinensern droht Vertreibung
Für den Versuch, das Gleichgewicht in der Region zugunsten Israels bleibend zu verändern, erntet Netanjahu im eigenen Land Anerkennung. Der bestmögliche Effekt wäre es, wenn die Hilflosigkeit der Mullahs einen Aufstand im Land auslösen würde.
Ist das realistisch? Meist ist es so, dass Kriege erst einmal auch auch polarisierte Länder zusammen schweißen. Israel nach dem Massaker am 7. Oktober 2023 ist das beste Beispiel für diesen Effekt.
Andererseits will Netanyahu der Schöpfer eines Groß-Israels sein, das sowohl das ganze Westjordanland als auch Gaza umfasst. Das ist vor allem der Traum der nationalreligiösen Minister in der Regierung Netanjahu. Sie arbeiten darauf hin, dass für dieses Ziel zwei Millionen Palästinenser aus Gaza vertrieben werden.
Was ist zu erwarten? Vieles ist möglich, aber für Prognosen über die Entwicklung des Krieges und seine Folgen ist es noch zu früh. Wie immer im Nahen Osten muss man das Beste hoffen und auf das Schlimmste gefasst sein.
- Eigene Beobachtungen