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Gaza: Was bringt die Anerkennung Palästina für den Frieden?


Gaza-Krieg
Warum macht sich Friedrich Merz so klein?

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

27.07.2025 - 06:41 UhrLesedauer: 5 Min.
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Friedrich Merz (l.) und Emmanuel Macron (Archivbild): Beide haben bei ihrem Treffen in Berlin auch über Nahost beraten. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)
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Frankreich will Palästina völkerrechtlich anerkennen. Es ist eine Möglichkeit, an die Zweistaaten-Lösung zu erinnern. Bei solchen Initiativen oder internationalen Appellen an Israel steht Deutschland abseits. Was tun?

Die USA und Israel haben ihre Unterhändler aus Katar abgezogen, womit die leise Hoffnung auf Waffenruhe und Geiselbefreiung mal wieder zerstoben ist. Der Krieg in Gaza geht weiter, immer weiter. Benjamin Netanjahu setzt ihn fort, auf dass seine Koalition, die ihre Mehrheit in der Knesset eingebüßt hat, nicht noch weiter auseinanderfällt.

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Gaza ist ein Trümmerfeld. Vermutlich sind mehr als sechzig Prozent aller Häuser zerstört. Viele der zwei Millionen Menschen hausen zusammengepfercht in Zeltstädten im Süden. Zu wenige Lebensmittel sind über offene Korridore in den Küstenstreifen gelangt. Selbst wenn mehr Konvois hineinfahren dürfen, würden die Menschen ohne Waffenpause weiterhin Hunger leiden.

Militärisch ergibt die Fortsetzung des Krieges keinen Sinn

Die israelischen Streitkräfte kontrollieren ungefähr siebzig Prozent des Gebiets. Die Terrororganisation Hamas ist besiegt, ihre Anführer sind tot, ihre militärische Kapazität ist nur noch ein schwacher Abglanz im Vergleich zu der Zeit vor dem 7. Oktober 2023. Militärisch ergibt die ständige Fortsetzung des Krieges keinen Sinn.

Gerhad Spörl

Zur Person

Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.

US-Präsident Donald Trump schien eine Waffenruhe, in Katar vereinbart, durchsetzen zu wollen. Damit ist er gescheitert. Jetzt ist er mit Wichtigerem beschäftigt als mit Krieg und Frieden – mit Vorwürfen aus den eigenen Reihen wegen der Epstein-Affäre. Da er ja entschlossene Staatenlenker schätzt, bekommt Netanjahu wieder freie Hand.

Was tun? Wie kann man Druck auf den israelischen Premier ausüben, da er Kritik an seiner Person und seiner Politik mit Antisemitismus gleichsetzt?

Macron will im September Fakten schaffen

Emmanuel Macron sprach schon länger von der Option, Palästina völkerrechtlich anzuerkennen. Sein Zögern hing damit zusammen, dass er hoffte, Großbritannien werde mitmachen. Das Versäumte will Macron im September auf der UN-Generalversammlung nachholen.

Er stellt sich ein entmilitarisiertes Palästina vor, das Israel anerkennt, was zur Sicherheit im Nahen Osten beitragen könnte. Natürlich fordert der französische Präsident Israel und die Hamas zur unverzüglichen Waffenruhe auf, und die Terrororganisation zur Freilassung der Geiseln.

Ist dieser Vorstoß klug oder illusorisch? Wahrscheinlich beides.

Sinnvoll ist es, auf der Zweistaaten-Lösung zu beharren, gerade weil diese israelische Regierung offensichtlich die gegenteilige Absicht verfolgt – Gaza zu annektieren und die Siedlungen im Westjordanland massiv voranzutreiben. So trifft ein vernünftiger Vorschlag auf die normative Kraft des Faktischen. Und natürlich holt Netanjahu wie gewohnt die ganz große Keule heraus und spricht von der "Startrampe zur Vernichtung Israels".

Illusorisch ist der Vorstoß, weil, erstens, ein entmilitarisierter Staat schwer vorstellbar ist und weil Europa, zweitens, im Nahen Osten machtpolitisch eine Leerstelle ist. Frankreich betreibt Symbolpolitik, in einem Moment, in dem nichts anderes geht.

Vermutlich sprach Macron bei seinem Besuch in Berlin das Leiden in Gaza und die Möglichkeit der Anerkennung Palästinas an. Natürlich würde es international maximales Aufsehen erregen, wenn auch Deutschland sich für die Zweistaaten-Lösung ausspräche.

Ist das ganz undenkbar? Vertragen sich die Anerkennung Palästinas mit Israels Existenzrecht als deutscher Staatsräson?

Anerkennung bedeutet nicht Preisgabe des Existenzrechts

Wenn es mit rechten Dingen zugeht, dann arbeiten Beamte im Auswärtigen Amt und das Team um Kanzler Merz an Optionen, wie weit sie im Verhältnis zu Israel gehen können. Kein Zweifel, die Angst vor der Reaktion in Israel, sowie in Deutschland, beherrscht die interne Diskussion in der Regierung und deren öffentlichen Einlassungen. Aber schreiten wir doch selber mal den Horizont ab.

Die diplomatische Anerkennung bedeutet keineswegs die Einschränkung oder Preisgabe des Existenzrechts. Sie füllt die Lücke, die Israel ließ, seitdem seine Regierungen die Zweistaaten-Lösung verwarfen.

Die Gleichsetzung von Anerkennung und Existenzrecht nimmt Premier Netanjahu regelmäßig vor. Der Vorwurf fiele sicherlich verschärft aus, wenn Deutschland dem Beispiel Frankreichs folgen würde. Man kann sich das Echo in Jerusalem ausmalen: Die Deutschen wollen ihre alte historische Schuld loswerden und laden jetzt neue historische Schuld auf sich.

Der Überfall am 7. Oktober 2023 löste in Israel blanken Horror aus – Erinnerungen an finstere Zeiten, was denn sonst. Seither hat sich allerdings einiges günstig gewendet. Die Hamas: zerschlagen. Die Hisbollah: zerschlagen. Iran: geschwächt. Libanon: womöglich auf dem Weg zu einer Etappe mit zivilen Regierungen. Syrien: instabil.

Israel ist zum Hegemon im Nahen Osten aufgestiegen. Seine Streitkräfte sind überlegen, greifen nach Belieben im Libanon und in Syrien ein. Die Rückendeckung aus den USA hat sich im dualen Angriff auf iranische Atomanlagen bewährt. Das Existenzrecht Israels steht momentan nicht auf dem Spiel – oder vorsichtiger formuliert: erheblich weniger als zuvor.

Man darf Kritik an der israelischen Regierung äußern

Aus diesem Grund lässt sich Kritik am realen Vorgehen der israelischen Regierung üben, ohne das Gebot der Staatsräson zu verletzen. Die Freiheit nimmt sich die deutsche Regierung allerdings nur maßvoll. Ja, Friedrich Merz rügt milde die Zustände in Gaza. Ja, Außenminister Johann Wadephul (CDU) macht ebenfalls vorsichtige Anmerkungen über die Opfer in der Zivilbevölkerung. Die Maxime der deutschen Nahost-Politik scheint zu sein: bloß nicht zu weit zu gehen, lieber auf sicherem Gelände bleiben.

Na ja, man kann auch aus lauter Sorge vor dem Echo unter seinen Möglichkeiten bleiben. Vor ein paar Tagen unterschrieben zum Beispiel 29 Staaten einen Aufruf zum sofortigen Ende des Krieges in Gaza und zur Befreiung der Geiseln. Großbritannien und Japan, Italien, Österreich und die Schweiz, die Niederlande und Norwegen gehörten zu den Unterzeichnern des Appells. Und natürlich Papst Leo XIV. Nicht etwa verdächtige Israel-Feinde kamen da zusammen, sondern eine illustre Auswahl demokratischer Staaten.

Deutschland fehlte. Warum eigentlich?

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Kritik an einem militärisch sinnlosen Vorgehen wie in Gaza zu üben ist legitim. Die systematische Ausbreitung der Siedlungen im Westjordanland, inklusive Zerstörung arabischer Häuser im Schutz der Armee, als Problem zu benennen, rührt keineswegs an die Grundfesten deutscher Staatsräson. Den Verdacht zu äußern, dass die Netanjahu-Regierung an Frieden nicht gelegen ist, drängt sich auf und grenzt nicht an Antisemitismus.

Unser neuer Kanzler nahm sich vor, dass Deutschland wieder eine hervorgehobene Rolle in Europa und der Welt einnehmen sollte. Dass sein Einfluss im Nahen Osten minimal ist, weiß man. Wenn aber andere Staaten nun fordern, was in Katar nicht zustande kam, ist das aller Ehren wert.

Deutschland muss sich im Verhältnis zu Israel nicht kleiner machen, als es ist.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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