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Mike Schubert: Mediale Hetzjagd auf Potsdamer Oberbürgermeister


Mediale Hetzjagd in Potsdam
Nichts gelernt aus dem Bobbycar im Schloss Bellevue

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

04.06.2024Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
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Zu viel in den Sportstadien? Potsdams OB Mike Schubert steht in der Presse unter Beschuss. (Quelle: IMAGO/Michael Taeger/Jan Huebner/imago)

In dieser Kolumne geht es um Politik. Und um Korruption. Und um Sport. Und um die Medien. Es wird also spannend.

Die stecken doch ohnehin alle unter einer Decke, sagen die einen. Die, das sind die Medien. Und die Politik. Wer sich als Politiker mit den Medien anlegt, hat schon verloren, sagen die anderen. Wie sehen Sie diese Beziehung? Ich lade Sie ein, Ihr Urteil an einem aktuellen Fall zu überprüfen.

Im Mittelpunkt des Falls steht Mike Schubert. Er ist Oberbürgermeister von Potsdam, ein Sozialdemokrat. Schubert muss sich gegen den Vorwurf der Korruption wehren. Die Medien, vorweg die örtlichen "Potsdamer Neuesten Nachrichten", versuchen ihm nachzuweisen, dass er Vorteile in Anspruch genommen hat, die ihm nicht zustehen. Die Sache ist ernst, denn seit Ende April ermittelt auch die Staatsanwaltschaft. Und vor zwei Wochen haben 29 Stadtverordnete ein Amtsenthebungsverfahren gegen Schubert auf den Weg gebracht. Es wird nun eine Abstimmung über die Absetzung des OB geben. Alles deutet darauf hin, dass die Mehrheit gegen ihn steht.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online schreibt er jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".

Was hat der Mann getan? Er hat Einladungen örtlicher Sportvereine angenommen. Er war beim SC Potsdam, der in der Volleyball-Bundesliga spielt, beim VfL Potsdam (Handball, 2. Liga), einmal hat er ein American-Football-Spiel besucht. Vielleicht war er auch beim SV Babelsberg 03 zu Gast oder bei den Fußball-Frauen von Turbine Potsdam. Mindestens viermal hat ihn seine Ehefrau begleitet. Eintritt frei. Die Lokalzeitung hat inzwischen mehr als 50 Artikel über diese skandalösen (!?) Vorgänge veröffentlicht.

Ich persönlich halte das für maßlos übertrieben. Ich wünsche mir in meiner Stadt einen Oberbürgermeister, der den Sportvereinen seine Aufwartung macht, nicht nur, wenn er ganz offiziell eine Rede halten oder einen Pokal überreichen soll. Das Gleiche gilt für Theater, Oper, Konzerte. Ich möchte, dass mein OB in der Stadt präsent ist. Und wenn seine Frau ihn begleitet, soll sie herzlich willkommen sein. Wer weiß, ob ihr das immer Spaß macht. Vielleicht würde sie lieber mit ihrem Mann auf dem Sofa sitzen und bei einer Pizza vom Lieferdienst "Let’s Dance" schauen.

Achtung, Transparenzhinweis!

Achtung, jetzt kommt ein Transparenzhinweis. So nennen wir das, wenn Journalisten offenlegen, dass sie in ihrem Urteil befangen sein könnten. Also: Ich gehöre dem Beirat des M100 Sanssouci Colloquiums an. Das klingt etwas hochtrabend, ist aber nichts Schlimmes. Es handelt sich um eine Vereinigung von Publizisten, die sich für die Freiheit der Medien einsetzen, nicht nur in Deutschland. Wir vergeben jedes Jahr einen Preis, im vergangenen Jahr hat ihn eine iranische Frauenrechtlerin in Empfang genommen, davor Wladimir Klitschko. Auch Alexej Nawalny gehört zu unseren Preisträgern, er saß damals in Putins Gulag und konnte nicht persönlich nach Potsdam kommen.

Mike Schubert, der OB, ist auch Mitglied in unserem Beirat. Die Stadt Potsdam unterstützt M100, den Preis dürfen wir in der Orangerie von Schloss Sanssouci verleihen. Wir bringen, gewissermaßen im Gegenzug, prominente Politiker nach Potsdam, die unsere Preisträger würdigen, zuletzt war es Ursula von der Leyen. Der Bundespräsident war schon da, der Kanzler auch, ebenso die Kanzlerin und Staats- und Regierungschefs aus anderen Ländern. Außerdem debattieren in Potsdam junge Journalisten aus ganz Europa über die Zukunft der Medien und unserer Gesellschaft. Also eine gute Sache. Wenn Sie misstrauisch sind, können Sie trotzdem sagen: Klar, der Elder Statesman steckt mit dem Potsdamer OB unter einer Decke, weil beide diesem Club angehören.

So einfach mache ich es Ihnen aber nicht. Deshalb gleich noch ein Transparenzhinweis: Die Chefredakteurin der "Potsdamer Neuesten Nachrichten" heißt Sabine Schicketanz. Sie steht als Autorin selbst in der ersten Reihe der überaus kritischen OB-Berichterstattung ihres Blattes. Und, Achtung: Sabine Schicketanz ist Mitglied des M100-Beirats. Würden persönliche Netzwerke die Kommentare von Journalisten bestimmen, müsste ich jetzt hin- und hergerissen sein. Bin ich aber nicht.

Das große Halali auf Christian Wulff

Wenn mich in meinem Urteil über die Potsdamer Vorgänge irgendetwas befangen macht, dann ist es eine alte Geschichte aus meiner eigenen Biografie. Erinnern Sie sich an Christian Wulff? Den Ex-Bundespräsidenten, der nach einer vermeintlichen Korruptionsaffäre zurücktrat. Auch Wulff wurde vorgeworfen, Einladungen und Geschenke angenommen zu haben. Damals war ich Chefredakteur der "Berliner Zeitung", und im großen Halali auf den Präsidenten enthüllte einer unserer Redakteure die Bobbycar-Affäre. Wulff hatte von einem Audi-Händler zum Geburtstag seines Sohnes ein Spielzeugauto aus Plastik geschenkt bekommen. Dass er dieses Geschenk nicht umgehend zurückgeschickt hatte, galt damals als weiterer Beleg für die Korrumpierbarkeit des Staatsoberhaupts. In Wahrheit war es eine Banalität. Mir ist diese Geschichte bis heute peinlich.

Die Vorwürfe gegen Wulff sind später juristisch in sich zusammengefallen, da war er allerdings schon nicht mehr im Amt. Ich vermute, im Fall Schubert wird es ähnlich sein. Die Medien werden darüber nonchalant hinweggehen. Dem OB wird man dann vorhalten, er sei zwar nicht an der Krise gescheitert, aber am schlechten Krisenmanagement. So war es auch bei Wulff.

Tatsächlich machte Wulff damals einen Riesenfehler: Er redete zu viel. Vor allem sprach er die Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs Kai Diekmann voll, mit lauter ungeschickten Sätzen. Die Sache wurde öffentlich, Wulff war als Präsident erledigt. Ach übrigens, Transparenzhinweis: Kai Diekmann ist Mitglied des M100-Beirats. Ich ahne es, Sie denken jetzt, sieh an, die hängen doch alle zusammen. Dabei sind wir nur ein gutes Dutzend Leute, aber die Welt unserer Medien ist überschaubar, da läuft man sich immer wieder über den Weg. Das tut aber wirklich nichts zur Sache: Die Kollegin Schicketanz schreibt über Schubert, was sie für richtig hält, ich schreibe über die Kollegin Schicketanz, was ich für richtig halte. Über den (Ex-)Kollegen Diekmann haben wir sowieso alle schon viel geschrieben, Freundliches war selten dabei.

Der eine redete zu viel, der andere sagt zu wenig

Bei Schubert wird es am Ende genau andersherum sein als bei Wulff: Er redet zu wenig. Der Potsdamer OB will sich partout nicht erklären, wann er in welchem Stadion war, ob mit oder ohne Begleitung. Das motiviert die Reporter nur, ihre Recherche zu intensivieren. Dagegen ist eigentlich nichts zu sagen, man kann kritischen Journalismus gar nicht genug loben – erst recht nicht im Lokalen, wo sich Journalisten und Politiker nicht nur im Rathaus begegnen, sondern auch auf dem Wochenmarkt. Im Lokalen stoßen die Chefredakteurin und der Oberbürgermeister beim Empfang der Stadt mit Sekt an, vielleicht tanzen sie miteinander Walzer beim Ball. Oder sie diskutieren im M100-Beirat. Trotzdem berichtet die Zeitung ohne Ansehen der Person. Gut so, jedenfalls prinzipiell.

Allerdings können Journalisten auch daneben liegen. Mit einer Kolumne. Oder mit einer investigativen Recherche. Nicht alles, was skandalisiert wird, ist ein Skandal. Ein Skandal ist es ganz sicher, wenn in einem Potsdamer Landhaus Rechtsextreme über die "Remigration" von Menschen mit Migrationshintergrund schwadronieren. Die "Potsdamer Neuesten Nachrichten" haben darüber ausführlich berichtet. Aber wenn ich mich nicht verzählt habe, gab es über den OB auf der Tribüne mehr Artikel als über die Nazis im Hinterzimmer. Umgekehrt fände ich es angemessen.

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Das war wirklich Korruption

Vor zwei Jahren ist übrigens ein anderer OB seines Amtes enthoben worden: Peter Feldmann in Frankfurt am Main, ein SPD-Mann wie Schubert. Er war oft bei Eintracht Frankfurt zu Gast. Nach dem Pokalfinale gegen die Bayern entriss er den Spielern den Pokal, um sich vor den jubelnden Fans auf dem Frankfurter Römer selbst als Sieger zu inszenieren. Sehr unangenehm. Aber deshalb musste er nicht zurücktreten. Sondern weil er seiner Frau einen gut dotierten Job samt Dienstwagen bei der Arbeiterwohlfahrt verschafft hatte, die mit der SPD eng verbunden ist. Ich finde, so etwas ist Korruption. Dagegen die Einladung vom SC Potsdam: nicht der Rede wert.

Sehen Sie das anders? Und wie würden Sie nun den Beziehungsstatus zwischen Medien und Politik beschreiben: als eine Affäre? eine Zweckgemeinschaft? eine On-off-Beziehung? Auf einer Dating-Plattform würden wir schreiben: Es ist kompliziert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen und Erfahrungen
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