Neue Rekrutierungstaktik Russlands "schamlose Täuschung"

Russland lockt ahnungslose Bewerber offenbar mit unehrlichen Stellenanzeigen in die Armee. Die suchen meist ganz andere Jobs.
Eigentlich bewerben sie sich als Bauarbeiter, Ingenieure oder Fahrer für humanitäre Hilfsgüter – am Ende können sie an der Front in der Ukraine landen: Das russische Verteidigungsministerium geht bei der Rekrutierung von Soldaten neue Wege und täuscht die Bewerber dabei offenbar bewusst, um die Zahlen nach oben zu treiben.
In den Stellenanzeigen steht zunächst nichts davon, dass auch Einsätze auf dem Schlachtfeld möglich sind, berichtet das russische Exilportal "Verstka". Die Anzeigen sind in den vergangenen Wochen auf zahlreichen russischen Plattformen, insbesondere auf dem Kleinanzeigen-Marktplatz Avito, erschienen.
Eigentlich sollen sie nur im Hinterland arbeiten
Darin wird zwar klar, dass die Arbeitssuchenden für die Armee arbeiten sollen, der genaue Einsatzbereich wird aber offenbar bewusst falsch angegeben. So wirbt Russland explizit mit der Möglichkeit, im Hinterland zu dienen – konkret als Fahrer humanitärer Hilfsgüter, Erbauer von Befestigungsanlagen oder Wächter "neuer Gebiete".
Dabei sollen die Bewerber eigentlich Teil spezieller Hinterland- oder Ingenieurstruppen werden, so das Versprechen. Einem Bauarbeiter wird in der Anzeige Folgendes versprochen: "Dies ist ein Soldat, der für den Bau, die Verstärkung und die Instandsetzung von Einrichtungen zuständig ist, die die Kampfkraft der Armee gewährleisten." Es handelt sich um eine der wichtigsten und angesehensten Spezialitäten, ohne die weder Verteidigungs- noch Angriffsoperationen möglich sind."
Ein Mitarbeiter der Moskauer Verwaltung berichtet "Verstka", es gebe eine Quote für die verschiedenen Fachrichtungen. Werde die Quote erfüllt, erteile er den Befehl, den Bewerber in einer bestimmten Fachrichtung speziell auszubilden.
Anzeigen als "schamlose Täuschung"
Eine Quelle im Bürgermeisteramt stuft das aber als falsch ein: "Es sind nur Worte – welche Quote, welche Befehle? So etwas existiert einfach nicht." Es sei eine "schamlose Täuschung".
So berichtet "Verstka" von einem Fall, in dem sich ein Mann als Fahrer bewarb und zunächst in ein zwielichtiges Büro in Moskau bestellt wurde, um einen Einjahresvertrag zu unterschreiben. Schließlich wurde er in das Militärrekrutierungszentrum in der Jablotschkowa-Straße im Norden Moskaus gebracht, wie zahlreiche andere auch.
Ein Einsatz in dem gewünschten Bereich kann dabei gar nicht garantiert werden, erzählt ein Mitarbeiter einer Personalvermittlungsagentur, die die Anzeigen für das Verteidigungsministerium verbreitet. "Eigentlich hängt Ihre Verteilung nicht von uns ab, insbesondere nicht von mir. Verschiedene Betreiber versprechen Ihnen, dass Sie Fahrer werden und dorthin oder dorthin fahren, aber in Wirklichkeit passiert das nicht. Das ist alles nur ein Trick, um mehr Leute anzulocken."
Klares Muster der Hereingelegten
Er erklärt: "In Wirklichkeit hängt das alles von den Kommandanten der Einheiten ab. Und wenn Sie als Richtschütze eingeteilt werden, gehen Sie nirgendwo anders hin." Eine andere Quelle erklärt: "Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn Sie zum Trainingsgelände gebracht werden, landen Sie meistens dort, wo der Kommandant es will."
Auch der versprochene Einjahresvertrag ist offenbar eine Täuschung, er kann bis zum Ende der russischen Mobilisierung verlängert werden. Obwohl die Bewerber bei der Vertragsunterzeichnung von diesen Details überrascht werden, gibt es laut "Verstka" kaum jemanden, der den Vertrag ablehnt.
"Das typische Bild einer getäuschten Person ist provinziell, naiv, bewusst ignorant und jemand, der zuvor nicht gedient hat", beschreibt einer der Verantwortlichen die Bewerber. Meist kämen sie aus Kleinstädten nach Moskau. Die Anwerberagenturen bezahlen dann ihre Anreise und bearbeiten sie, bis sie zustimmen.
Russland: Neue Rekrutierungskampagne angelaufen
Die Masche ist offenbar Teil einer groß angelegten neuen Rekrutierungskampagne. Nachdem die Behörde ihre Bemühungen am Ende des vergangenen Jahres stark zurückgefahren hatte, wird in Moskau auch öffentlich wieder verstärkt für Militärverträge geworben – etwa mit öffentlichen Bannern und Flyern, die an Haustüren verteilt werden. Auch die Zahl der Telegram-Posts zu dieser Thematik schoss ab März in die Höhe.
Putin selbst hatte zuletzt behauptet, Russland rekrutiere pro Monat 60.000 Soldaten, doppelt so viele wie die Ukraine. Unabhängig überprüfen lassen sich die Zahlen nicht. Neben der Verschleierung setzt Russland offenbar auch auf hohe Boni für die Anwerbung. Der Experte Janis Kluge erklärte im t-online-Inteview: "Der Kreml scheint den einzelnen Regionen Zielwerte für die Rekrutierung zu geben. Das übt Druck auf die Gouverneure aus, den diese teils an die Kommunen und Unternehmen weitergeben. Jeder versucht also, seine Quote zu erfüllen. Und dort, wo die Rekrutierung insgesamt schwieriger ist, steigen die Boni."
In den meisten Regionen seien das mittlerweile mehr als eine Million Rubel, umgerechnet mehr als 11.000 Euro. "Und das sind nur die Kosten für die Anwerbung, die laufenden Gehälter gehören nicht dazu. Es wird für Putin also immer teurer, Soldaten für seinen Krieg zu finden", betont Kluge.
- verstka.media: "Водитель, строитель, охранник. Как россиян заманивают на войну с Украиной" (russisch)
- themoscowtimes.com: "‘Provincial, Naive and Willfully Ignorant’: Russians Lured to War With Fake Job Ads" (englisch)
- themoscowtimes.com: "Moscow Renews Military Recruitment Efforts Despite U.S. Push for Peace Talks – Vyorstka" (englisch)
- themoscowtimes.com: "Putin Claims Russia Is Recruiting Nearly Twice as Many Soldiers as Ukraine" (englisch)