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Wegen Coronavirus: Ein Newsblog aus dem Homeofficealltag von t-online.de


Redakteure im Homeoffice
In Quarantäne: Lagerkoller und ein zerbrochenes Herz

Von t-online, ari, loe, cja, ds, sle

Aktualisiert am 01.04.2020Lesedauer: 15 Min.
Fertig-Essen, das überall, nur nicht am Esstisch gegessen wird: Improvisation gegen den Lagerkoller.Vergrößern des BildesFertig-Essen, das überall, nur nicht am Esstisch gegessen wird: Improvisation gegen den Lagerkoller. (Quelle: privat)
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Neue Herausforderungen erfordern neue Wege: Für die Welt, unser Land und jeden Einzelnen. Sechs Redakteure berichten, was sie jetzt beschäftigt, sorgt oder freut. Denn das Coronavirus bringt auch ganz neue Erkenntnisse.

Auch die t-online.de-Redaktion arbeitet aktuell im Homeoffice. Es war ein seltsames Gefühl, die gewohnten Redaktionsräume bis auf unbestimmte Zeit zu verlassen. Welche Gedanken, Alltagsprobleme, aber auch kleine und schöne Momente uns alle beschäftigen und verbinden, lesen Sie in diesem Newsblog der etwas anderen Art. Vielleicht finden Sie sich ja auch selbst in den Geschichten wieder?

26. März, 13.09: Lagerkoller und Herzbrechen – von Anna Aridzanjan

Während die Einen die Zeit nutzen, um mal gründlich auszumisten – ich beneide Saskia und ihre WG um diese Motivation! – stand hier schon der erste Lagerkoller an. Obwohl wir uns als kleine Familie mit der Situation ganz gut arrangiert haben und auch extrem privilegiert sind (wir müssen nicht um unser Einkommen bangen, mein Mann hat Zeit für die Kinderbetreuung, ich kann Homeoffice machen) wird immer deutlicher, wie sehr uns die gewöhnliche Routine und die Außenwelt fehlen.

Unsere Tochter ist jetzt sehr reizbar und schnell frustriert. Sie freut sich zwar, dass ihr Vater viel Zeit zum Spielen hat – doch der scheint alles falsch zu machen. Und so höre ich trotz Noise-Cancelling-Kopfhörern immer regelmäßiger den verzweifelten Heul-Schrei "Nein Papa, nicht soooooo". Ich sag’s, wie es ist: Es ist verdammt anstrengend gerade.

Auch gar nicht so einfach: Neben Homeoffice, Kinderbespaßung und Co. an die regelmäßigen Essenszeiten zu denken – und dann noch etwas halbwegs Nahrhaftes hinzubekommen. TK-Pizzen, die direkt vor dem Fenster gegessen werden, retten gerade unseren Alltag. Sorry, liebe Ernährungswissenschaftler, wir sind auch nur Menschen. Der Moment heute, in dem mir vollends das Herz in viele kleine Teile zerbrach: Als sich mein Kind nach einem seiner Wutanfälle wieder beruhigt hatte, mich mit einem herzerweichenden Lächeln ansah und sagte: "Ich freue mich auf den Sommer, Mama. Da sind die Spielplätze nicht mehr gesperrt. Oder?"

Ich hoffe es, mein Kind. Ich hoffe es.

25. März, 16 Uhr: Yoga-Kurs live. Gleich neben der Küche links – von Charlotte Janus

Wie meine Kollegin Sophie betätige auch ich mich in der häuslichen Quarantäne sportlich. Im Homeoffice kommt die Bewegung sonst deutlich zu kurz. Besonders, wenn das ganze Leben zu Hause stattfindet, brauche ich nach einem langen Arbeitstag etwas Ausgleich. Das Yoga-Studio, in dem ich seit fast zehn Jahren praktiziere, hat sich zum Glück auf die neue Situation eingestellt.

Seit dieser Woche gibt es Yoga live zu Hause. Die Klasse kommt einfach zu mir, per Stream auf meinem Laptop. Ich muss mich dafür nur von meiner Küche, in der ich den Großteil des Tages verbringe, ins Wohnzimmer begeben. Dort ist mehr Platz. "Hallo, ihr Lieben!", grüßt meine Lehrerin und winkt in die Kamera. Etwas unbeholfen winken die Teilnehmenden zurück. Über vierzig Yogis sind dabei, alle hochmotiviert. So viele Personen würden gleichzeitig kaum in das kleine Studio passen. Dann gilt: Kamera und Ton aus! Nur die Lehrerin ist noch zu sehen. Wir starten: Om.

Sonnengrüße und Kriegerposen zwischen Schreibtisch, Bücherregal und Plattensammlung. Das ist neu für mich. Ich bin sonst nicht der "Zu Hause"-Sporttyp. Dennoch bleibt ein Anschein von Normalität gewahrt: Die bekannte Lehrerin im gewohnten Umfeld. Durch die Livesituation bleiben auch alle bis zum Ende dabei. Man kann halt nicht auf Pause klicken. Zwischendurch rutscht der Lehrerin ein "gut gemacht" heraus. Sie muss dann über sich selbst lachen: "Ich sehe euch ja gar nicht, habt ihr aber bestimmt trotzdem gut gemacht." Die Situation ist für alle noch etwas gewöhnungsbedürftig.

Ich jedenfalls hoffe, jetzt wieder regelmäßiger zum Yoga zu kommen. Denn der Hinweg ins Wohnzimmer ist durchaus vertretbar. Namaste!

25. März, 15.42: Marie Kondo wäre stolz auf uns – von Saskia Leidinger

Solch eine herzzerreißende Geschichte wie die von Daniel kann ich aus unserer WG nicht bieten. So nah stehen wir uns dann doch nicht. Denn selbst in einer Dreier-WG sieht man sich normalerweise selten. Immer hat jemand etwas zu tun. Die schon lange angedachte Entrümpelung der Wohnung wird von Woche zu Woche verschoben – sorry, keine Zeit. Aber jetzt, endlich ist es so weit. Niemand kann sich drücken, niemand kann weglaufen und plötzlich wird putzen zum neuen WG-Hobby. Marie Kondo wäre stolz.

Schränke werden aufgerissen, leergeräumt und ausgemistet. Plötzlich tauchen längst verschollen geglaubte Schätze wieder auf, zum Beispiel ein türkischer Teekocher. Die Küche gleicht in der Zwischenzeit einem Flohmarkt. Ohne Corona hätten wir jetzt die Nachbarn einladen können und vielleicht noch fünf Euro an den ungebrauchten Gläsern, Tassen und Plastikschüsseln verdient.

Neben ungenutztem Geschirr finden sich auch zahlreiche Lebensmittel, für die sich niemand zuständig fühlt. Nudeln, Backpapier und Achtung: Mehl. Jede Menge Mehl. Wie von selbst hat sich unsere Küche anscheinend über Jahre genau auf diese Krise vorbereitet und jetzt ist ihr großer Moment. Tagelang könnten wir uns nun von Eierkuchen in allen erdenklichen Varianten ernähren. Nur so ganz durchdacht scheint das Vorratskonzept unserer Küche nicht zu sein. Denn für Eierkuchen bräuchte es, nun ja, Eier – die waren aber ausverkauft.

24. März, 13.07 Uhr: Wer braucht schon Sand unter den Füßen? – Von Daniel Schreckenberg

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Momentan fällt es schwer, sein Lächeln nicht zu verlieren. Wie lange wird diese Ausnahmesituation noch anhalten? Sind unsere Jobs eigentlich sicher? Bleiben unsere Eltern und Großeltern gesund? Auch privat läuft grade nicht allzu vieles rund: Im Mai wollten meine Verlobte und ich heiraten, danach war – seit vielen Jahren unser großer Traum – eine Weltreise geplant.

Beides ist nun abgesagt.

"In guten wie in schlechten Zeiten" ist ein Satz, der sich mit Sicherheit in unseren Ehegelübden verirrt hätte. Statt ihn auszusprechen, leben wir ihn jetzt halt umso mehr. Wenn wir uns wie kleine Kinder auf den Start des Streamingdienstes von Disney freuen, einer plötzlich den "Lion King" anstimmt und wir vor Lachen auf dem Boden liegen. Wenn da ungefragt plötzlich ein griechischer Jogurt auf dem Tisch steht, weil vor lauter Arbeit der Magen lauthals knurrt. Wenn da die kurzen Momente des Schwermuts kommen, weil alles grade nicht ganz so leicht fällt, und wir zwar keine Ringe um den Finger tragen, uns aber schnell an den Händen halten und wissen: Scheiß drauf – wir haben ja uns.

Wer braucht schon Sand unter den Füßen, wenn er mit Adiletten auf dem Sofa lümmeln kann? Wer braucht schon den Sonnenuntergang unter Palmen, wenn auf dem Balkon die Frühlingssonne seine Nase kitzelt? Wer braucht schon exotisches Essen, wenn jeder unserer Kochversuche zum improvisierten Spektakel mutiert? Eine Hochzeit und eine Weltreise können nachgeholt werden. Unsere alltäglichen Quarantäne-Momente kann uns hingegen niemand nehmen.

23. März, 16.30 Uhr: Zeit nutzen für eine Quarantäne-Challenge – von Sophie Loelke

Ich stimme meiner Kollegin Anna zu. Angesichts der wirklich krassen Arbeitsbedingungen von Ärzten, Pfleger und auch Verkäufern rücken die eigenen kleinen Probleme für den Moment ganz schnell in den Hintergrund. Generell finde ich es großartig, was sich die Menschen einfallen lassen. 180 Radiosender spielten gleichzeitig "You´ll never walk alone" für Ärzte und Pfleger, Kranke und Einsame. In Innenhöfen versammeln sich Menschen auf Balkonen, um gemeinsam zu musizieren, zu tanzen oder sogar Sport zu treiben.

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Komplett die Fassung zu verlieren, ständiges Selbstmitleid und eine gänzlich negative Stimmung, nur weil wir jetzt auf den Luxus von Freizeit- und Genussaktivitäten verzichten müssen, wären unangebracht. Aus Situationen wie diesen – und ich spreche von Menschen wie mir, die zum Glück nicht gefährdet sind, sondern "nur" ein Kontaktverbot haben – lässt sich allerlei Positives gewinnen. Zum Beispiel eine neue Beschäftigung. Das wäre eventuell auch etwas für meine Kollegin Charlotte Janus, die – wie sie sagt – mit zu viel Zeit zu oft über ihren möglicherweise kratzenden Hals nachdenkt:

Ich nutze die Zeit, die ich jetzt habe, um eine "Sechs-Wochen-Challenge" durchzuziehen. Da ich – außer aus dem Homeoffice zu arbeiten und einkaufen zu gehen – nichts mehr zu tun habe, kann ich ebenso gut etwas für meine Gesundheit und Fitness tun. Das bleibt oft auf der Strecke. Essen gehen mit Freunden, feiern oder einen Sonntag komplett im Bett bleiben übertrifft nicht selten den regelmäßigen Sport. Damit ist jetzt erst einmal Schluss!

Ausgestattet mit einer neuen App, einem Fitnessarmband und ganz günstig online bestelltem Fitnessequipment unter zehn Euro steigt meine Motivation ins Unermessliche. Na ja, wollen wir mal nicht übertreiben. Zumindest steigt sie … Fürs Erste. Aber drei- bis viermal in der Woche für 30 bis 45 Minuten Sport treiben, werde ich ja wohl in meinen leeren Wochenplan einbauen können – da bin ich sicher!

Diese "Quarantäne-Challenge" – so nenne ich sie jetzt – kann jeder individuell ausbauen. Meine Mutter kocht zum Beispiel jeden Tag ein neues Gericht aus ihren verstaubten Kochbüchern. Das ist natürlich nicht schlecht, denn Essen steht auf der Beliebtheitsskala oft über dem Sport. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten: Meditieren lernen, Yoga, alle Serien auf Netflix schauen, jeden Tag gesund kochen, ein Buch pro Woche lesen oder ein Instrument lernen: Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Für was haben Sie nun endlich Zeit?

23. März, 16.30 Uhr: Mein Hals kratzt – eingebildet krank? – von Charlotte Janus

Ablenkung in Maßen kann manchmal auch ganz gut sein. Ich habe davon gerade zu wenig. Daher mache ich etwas Neues. Ich höre in meinen Körper hinein. Das bin ich nicht gewohnt, denn ich bin selten krank. Vielleicht auch, weil ich es mir einfach nicht zugestehe. Achtsamkeit ist sicherlich gut und ich sollte mir und meinem Körper gegenüber manchmal aufmerksamer sein. Doch aktuell wird es mir zu viel.

Ja, ich war zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt im Urlaub in Tirol. Viele Menschen haben sich dort genau zu der Zeit mit SARS-CoV-2 infiziert. An dem Ort, wo ich war, hat es aber keinen einzigen registrierten Corona-Fall gegeben. Also: Kein Grund zur Beunruhigung – theoretisch.

Praktisch sieht das ganz anders aus. Ich horche unentwegt in mich hinein. Könnte ich mich doch irgendwo infiziert haben? Hat mich ein Fremder im Skilift angehustet? Ein Symptom von Corona soll ja Halskratzen sein. Ständig stelle ich mir die Frage: Kratzt da was? Je mehr ich darüber nachdenke, ob ich Halskratzen habe, desto mehr überlege ich auch: Soll sich das in meinem Hals wirklich so anfühlen? Ist das normal? Wie fühlt sich überhaupt ein gesunder Hals an? Da habe ich noch nie drüber nachgedacht. Sobald ich von anderen Themen abgelenkt bin, ist das komische Gefühl im Hals weg.

Vermutlich ist da einfach nichts und ich habe schlichtweg viel zu viel Zeit, mir Gedanken über mein gesundheitliches Wohlbefinden zu machen.

23. März, 13.58 Uhr: Gott segne Noise-Cancelling-Kopfhörer – von Anna Aridzanjan

Solidarität ist etwas Schönes, ja! Es wäre aber auch gut, wenn wir – außer Applaus – unsere Pflegekräfte, Ärztinnen und Helfern generell mehr unterstützen könnten. Das fordern sie ja auch selbst:

Sie leisten jeden Tag Übermenschliches. Nicht nur während dieser Krise, sondern immer. Sie verdienen Respekt, Anerkennung, bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Apropos Arbeitsbedingungen. Ich bin in der sehr luxuriösen Situation, dass meine Tochter von meinem Mann betreut wird, während ich im Homeoffice arbeite. Das ist wirklich gut, denn sonst könnte ich mich niemals länger als zehn Minuten auf etwas konzentrieren. Mein zuckersüßes Kind möchte schließlich auch mit uns interagieren. Langeweile ist doof. Da ist es eine Entlastung, dass mein Mann zu einhundert Prozent für unsere Tochter da sein kann.

Und trotzdem: Wir drei – meine Tochter, mein Mann und ich – sind in einer Wohnung. Die beiden spielen, toben, lachen. Meine Tochter – mit drei Jahren mitten in der anspruchsvollen "Autonomiephase" – lernt gerade den Umgang mit Wut und Frust. Wird auch mal zornig, schreit herum, ist unausgelastet, vermisst ihre Freunde und die Kita. Der Geräuschpegel hier ist um einiges lauter, als ich es sogar aus unserer Großraumredaktion gewohnt bin.

Ich bin irre dankbar für meine Noise-Cancelling-Kopfhörer. Kann mal bitte jemand dem Erfinder einen Preis verleihen? Sie dämpfen die Umgebungsgeräusche und helfen mir, mich zu konzentrieren. So wie jetzt: Ich schreibe diesen Text und im Hintergrund verhandelt meine Tochter mit meinem Mann lautstark etwas sehr, sehr Wichtiges aus (ich kann gerade nicht hören, was es ist. Und das ist auch gut so).

20. März, 20.54 Uhr: Applaus der Solidarität – von Charlotte Janus

Auch ich bin sonst immer viel unterwegs gewesen, habe mich fast täglich mit Freunden getroffen, war oft sogar mehrfach die Woche im Kino. Jetzt sitze ich am Freitagabend alleine zu Hause. Es ist kurz vor neun. Ich rufe bei meinen Eltern in Hamburg an.

Meine Mutter ist am Apparat: "Aber das geht doch gerade nicht. Jetzt ist doch Klatschen." Ich frage: "Wie bitte? Was ist?" Meine Mutter erwidert: "Na, wir müssen doch jetzt Klatschen, auf dem Balkon. Das machen wir zurzeit jeden Abend – für die Helfer. Jetzt sind wir draußen. Es sind wieder viele Leute da." Ich lausche. Plötzlich brandet tosender Applaus auf, dringt durch den Hörer zu mir nach Berlin herüber. Offenbar sind die meisten Bewohner der Straße auf ihren Balkon getreten und machen mit. Ich bin fast zu Tränen gerührt.

"Hörst du? Hörst du?", fragt sie. Ich antworte: "Ja, ich höre, aber leg doch mal das Telefon aus der Hand. Du willst doch klatschen." Meine Mutter: "Ich klatsche so gut es geht und ansonsten klatscht halt dein Vater für uns beide mit."

Durch das gemeinsame Klatschen zeigen die Hamburger Ärzten, Pflegern und anderen Helfern in der Corona-Krise ihre Dankbarkeit. Andere Städte tun das ebenfalls. Eigentlich auch Berlin, bei mir in der Gegend aber wohl nicht. Vom Balkon nebenan ruft die Nachbarin: "Bis morgen dann!" Und ich denke mir: Vielleicht bin ich dann auch wieder dabei, um neun Uhr beim Klatschen in Hamburg. Es ist eine starke Geste der Gemeinschaft und Solidarität – und ich habe gerade abends nicht viel anderes zu tun als gedanklich in Hamburg mitzuklatschen.

20. März, 14.29 Uhr: In Phasen zur Coronavirus-Akzeptanz – von Sophie Loelke

Ähnlich wie das Kind meiner Kollegin Anna brauche auch ich besonders viel Auslauf. Ich bin ein extrem freiheitsliebender Mensch – und sicherlich nicht der einzige. Besonders nicht hier in Berlin. Wo wir es gewohnt sind, uns nach der Arbeit auf einen Feierabenddrink zu treffen oder am Wochenende zu Gruppen-Workouts in den Park zu gehen. Und – natürlich – nachts mit Freunden um die Häuser und durch die Clubs zu ziehen. Das ist jetzt vorbei und sicher nicht nur für mich eine große Einschränkung.

Bis zu meiner jetzigen Akzeptanz der Situation habe ich bemerkenswert viele Phasen durchlebt. Hier zuhause hatte ich abends Zeit, mir einmal Gedanken darüber zu machen, wie sehr sich das Denken und Fühlen bezogen auf diese Krise bei mir geändert hat.

Es fing an mit einem "Sich-lustig-machen" und dem Kleinreden der immer neu hereinkommenden Nachrichten ganz zu Beginn. Es wurde zum Gefühl "Das wird schon werden in zwei Wochen. Es gibt doch ständig diese Phasen". Doch nach einigen Wochen war es eben nicht vorbei. Das Gefühl ging über zu einem sich sehr langsam einschleichenden Gedanken: "Vielleicht ist es mehr als vermutet?" Als immer mehr Maßnahmen auch hier in Deutschland griffen, kam etwas schwer Definierbares in mir auf: Mir fiel länger kein Wort ein, um es zu beschreiben. War es Wut auf das Virus? Sicher auch. Doch vor allem waren es Ohnmacht und Machtlosigkeit.

Diese Gefühle habe ich persönlich noch nicht oft erlebt. Denn auch ich – die nicht im stillen Kämmerlein sitzen kann und im freien Deutschland vieles tun darf – muss mich dem ganzen Ausmaß beugen. Heute ist Freitag. Wochenende. Für mich bedeutet das: Kopf frei bekommen nach der Woche und machen, was ich will. Tanzen, Feiern, Freunde treffen, Ausstellungen besuchen, Essen gehen. Normalerweise. Jetzt werde ich mir etwas anderes überlegen müssen.

20. März, 14.25 Uhr: Kuchen zum Frühstück von Anna Aridzanjan

Ja, es ist erstaunlich, wie ein paar Tage Zuhause – und in unserem Fall: ohne Kita – die Perspektive ändern und Prioritäten gerade rücken können. Nicht nur, wenn es um Absprachen mit dem Partner über die Haushaltsaufteilung geht, sondern auch bei Dingen wie "Erziehung".

Mir wird mit jedem Tag, jeder Stunde klarer, was für eine riesige Anpassungsleistung mein Kind jetzt vollbringen muss. Keine Kita heißt auch: Keine gewohnte Routine mehr, keine tollen Erzieherinnen, keine Freunde, keine Gruppenausflüge, keine Spiele mit anderen Kindern. Und es gibt noch mehr Einschränkungen: Spielplätze sind jetzt natürlich auch tabu. Und als Einzelkind ist das alles besonders heftig, weil es jetzt nur noch von Erwachsenen umgeben ist.

Deswegen ist es für uns umso wichtiger, dass die Stimmung nicht kippt. Dass unsere Tochter ihre – bis jetzt noch andauernde – gute Laune behält, dass sie uns weiter vertraut und glückliche, schöne Tage erlebt – trotz dieser Einschränkungen. Daher gab es heute Kuchen zum Mittagessen und so viele Zeichentrickserien wie sie wollte. Denn wir sind noch ganz am Anfang.

20. März, 13.32 Uhr: Arbeitsteilung von Daniel Schreckenberg

"Achtzig, Zwanzig" ist so ein Ausruf, den ich – mal im Spaß, oft im Ernst – immer dann verwende, wenn die Arbeitsteilung bei uns im Haushalt beschrieben wird: Wenn sich die Verlobte morgens im Badezimmer fertig machte, übernahm ich den Abwasch. Wenn ich nach einer Frühschicht früher zu Hause war, saugte ich, schmiss die dreckigen Klamotten in die Waschmaschine und übernahm den Einkauf fürs Abendessen. Achtzig Prozent Haushalt lag also bei mir, zwanzig bei der Verlobten, dachte ich – und lag dermaßen falsch.

Nach ein paar Tagen im Homeoffice fällt mir auf, wie meine Verlobte in ihrer Mittagspause plötzlich mit dem Wischmopp durch die Bude wuselt. Ich sehe, wie sie sich, mit der einen Hand das Handy für die nachmittägliche Telefonkonferenz am Ohr, einen Lappen schnappt und den Staub von Möbeln, Fensterbank und Küche fegt. Ich höre das Rattern der Waschmaschine: voll mit Bettwäsche, Handtüchern und sonstigen Kram – und kann mich nicht daran erinnern, jemals eine für etwas anderes als Klamotten gestartet zu haben.

Ich staune, als sie sich am Abend vollgepackt mit Einkaufstüten, Klopapier und Drogeriezeugs in die Wohnung schleppt und wieder in ihre Arbeit vergräbt. Ich frage sie, wann sie das denn sonst immer alles macht. Sie antwortet: Immer dann, wenn sie wegen meiner Frühschichten abends länger aufbleiben konnte als ich. Oder wenn ich beim Sport war. Oder mich mit meinen Jungs zum Fußballgucken traf.

"Achtzig, Zwanzig" ist der Ausruf, der bei uns die Arbeitsteilung im Haushalt beschreibt. Achtzig Prozent macht meine Verlobte, gerade einmal zwanzig mache ich. Ein paar Tage Homeoffice und mir wurde klar, dass ich ihr da künftig viel mehr helfen muss.

20. März, 11.25 Uhr: Mindestabstand: Fehlanzeige von Charlotte Janus

Immerhin seid ihr zu zweit. Ich sitze ganz allein zu Hause. Es ist Tag sechs meiner Post-Österreich-Quarantäne am Prenzlauer Berg in Berlin. Eigentlich hatte ich Angst vor der Stille um mich herum, zu sehr ins Grübeln zu geraten, in Panik zu verfallen – mit mir selbst nicht mehr klarzukommen.

Doch aktuell beschäftigt mich im Homeoffice eher etwas anderes: Lärm. In meinem Hinterhof befindet sich eine Kita. Sie ist nun geschlossen. Doch von dort dringen weiterhin allnachmittäglich laute fröhliche Kinderstimmen zu mir herauf. Eine Gruppe von etwa sechs Eltern mit zehn Kindern nutzt den versteckten Spielplatz der Kita. Hier lassen sie ihre Kinder sich so richtig austoben. Aus dem Fenster kann ich beobachten, wie die Kinder rangeln und spielen – Mindestabstand: Fehlanzeige.

Unter Normalbedingungen wäre das sicherlich toll für die Kinder. Genau das sollte doch jetzt aber unbedingt vermieden werden. Bei dem Ärger über die Verantwortungslosigkeit stört es nun nicht mehr ganz so sehr, dass ein Nachbar plötzlich seine Liebe zum Schlagzeugspiel entdeckt hat.

19. März, 15.45 Uhr: Überlebensstrategie von Daniel Schreckenberg

Ich bin ja mal gespannt, wie viele Eurer kleinen Schicksalsgemeinschaften die Corona-Krise überdauern. Ich sitze mit meiner Verlobten auf 38 Quadratmetern fest. Wir beide sind im Homeoffice. Wir beide brauchen eigentlich unsere Laptops - und Platz. Um uns nicht zu sehr in die Quere zu kommen, haben wir gerade fein säuberlich die Mini-Wohnung aufgeteilt.

Ich sitze am Esstisch, die Verlobte hat den Balkon und das Schlafzimmer bekommen. War eine gute Aufteilung angesichts des Kaiserwetters, da draußen. Also, für meine Verlobte. Und wenn ich so drüber nachdenke: Auch im Bett hat sie es deutlich bequemer als ich am viel zu kleinen Esstisch. Ich muss also nachverhandeln. Oder ab morgen gilt ein Rotationsprinzip.

19. März, 13.45 Uhr: Spielplatz in der Wohnung von Anna Aridzanjan

Ach, was heißt hier Dorf. Unsere Schicksalsgemeinschaft besteht im Moment aus meinem Mann, unserer dreijährigen Tochter und mir. Wir haben dem Kind jetzt ein Trampolin geholt, weil wir ja nicht mehr auf Spielplätze gehen sollen. Vorteil: Es kann sich drinnen so viel es mag bewegen und auspowern.

Nachteil: Ich sehe uns schon mit Platzwunde am Kopf in der Notaufnahme sitzen, weil das Kind einen Hechtsprung gegen die Bettkante gemacht hat. Noch ist aber alles in Ordnung. Irgendwie auch spannend zu sehen, wie viel Vertrauen man zum eigenen Kind entwickeln lernt, wenn man keine Wahl hat. Oh Verzeihung, ich meinte natürlich: Zum eigenen Kollegen.

Diesen Tweet will ich Ihnen nicht vorenthalten:

19. März, 11 Uhr: Dörfer ticken überall gleich von Saskia Leidinger

Berlin hat etwa 3,7 Millionen Einwohner. Darunter auch mich und meine zwei Mitbewohnerinnen. Eine kommt aus Spanien, die andere aus Österreich. Wir wohnen erst seit ein paar Wochen zusammen. Und jetzt das Coronavirus, jede Menge Zeit uns kennenzulernen.

Die erste Erkenntnis: Dörfer und ihre Bewohner sind überall gleich. Denn obwohl wir alle drei in der Hauptstadt gelandet sind, kommen wir ursprünglich aus Gemeinden mit überschaubarer Einwohnerzahl. Dort gibt es meist nur einen Supermarkt und vielleicht einen Ort, an dem sich Jugendliche treffen können. Aber vor allem gilt: Jeder kennt jeden. Egal, wo dein Dorf ist. Wenn du zu viel gefeiert hast, dich „heimlich“ mit einem Jungen getroffen hast, in der Schule blau gemacht hast – du kannst dir sicher sein: Deine Eltern wissen bereits Bescheid. Denn Dörfer ticken überall gleich.

In diesem Newsblog schreiben abwechselnd die t-online.de-Redakteure Anna Aridzanjan, Charlotte Janus, Daniel Schreckenberg, Noah Platschko, Sophie Loelke und Saskia Leidinger.

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